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44.2. Rulman Merswin / Nikolaus von Löwen,
›Memoriale‹ vom Grünenwörth

Bearbeitet von Christine Stöllinger-Löser

KdiH-Band 6

Rulman Merswin, Straßburger Kaufmann und Bankier, gründete nach seiner Bekehrung zu einem geistlichen Leben (1347) durch seinen Beichtvater Johannes Tauler in seiner Heimatstadt eine religiöse Gemeinschaft auf dem Grünen Wörth, die 1371 zur Johanniterkommende umgewandelt wurde. Nach Merswins Tod (1382) wurden zur Dokumentation seiner Schriften sowie der Stiftungsgründung Memorialbücher angelegt. Für deren Kodifizierung und Redigierung verantwortlich ist der engste Mitarbeiter Merswins seit 1366, der 1402 gestorbene Johanniterpriester Nikolaus von Löwen (Claus von Lófen; in der Forschung meist: N. von Löwen; dagegen Ruh [1981] S. 50: von Laufen. In den Regionen im näheren Umkreis Straßburgs existieren mehrere Orte mit dem Namen Laufen, etwa im Breisgau und im Basler Umland. Für die Herkunft aus dem brabantischen Löwen spricht allerdings die Verbindung Nikolaus’ zu dem Straßburger Kaufmann Heinrich Blankhart von Löwen [von Lófen], dessen Schreiber er war; eine Familie Blanckaert ist in Löwen nachgewiesen, vgl. Philipp Strauch: Rulman Merswin. In: Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche. 3., verbesserte und vermehrte Auflage. Bd. 17 [1906] S. 203–227, hier S. 212, 224). Der Vorrede des sog. ›Großen deutschen Memorials‹ zufolge ist dieses eines von drei Memorialbüchern (Dis ist der drier vrkúnde búcher eins, 6r), die im Haus der Gemeinschaft aufbewahrt werden sollten; der wenige Jahre später vorgebundene Anfangsteil der Handschrift erwähnt weitere Bücher. Die Sammlungen bezwecken die Erinnerung an die Stifter des Hauses, besonders an den spirituellen Leiter Rulman Merswin und seine Lehre von der »Gottesfreundschaft«; die damit bezeichnete, nicht institutionalisierte aszetische Lebensform wird in exemplarischen Bekehrungsgeschichten dargestellt. Möglicherweise gehen einige der Schriften Merswins auf ältere mystische Texte zurück, die er überarbeitet oder umgestaltet hat. Einige Schriften werden dem unbekannten Gottesfreund vom Oberland als seinem erleuchteten Ratgeber und Mahner zugeschrieben; Merswins Berufung auf diesen, in dem früher Johannes Tauler vermutet wurde, der aber eher als Exempelfigur und nicht als reale Person zu verstehen ist, diente wohl der Vermittlung seiner spirituellen Anliegen an die Mitglieder der Kommende; vgl. Georg Steer: Merswin, Rulman. In: 2VL 6 (1987), Sp. 420–442; zur Neubewertung der Fragen um Authentizität und Fälschung vgl. Krusenbaum-Verheugen (masch. 2008). – Die verschiedenen Exemplare der Memorialbücher mit jeweils denselben Texten in variierender Zusammenstellung, auch in lateinischer Übersetzung, waren für verschiedene Adressaten bzw. Zwecke im Rahmen der Johanniterkommende gedacht. So war für die drei weltlichen Pfleger der Stiftung jeweils ein eigenes Memorialbuch vorgesehen. Von den repräsentativ gestalteten Exemplaren ist vor allem das sog. ›Große deutsche Memorial‹ (Strasbourg, Bibliothèque nationale, Ms. 739) erhalten (Nr. 44.2.1.).

Der Bildschmuck des ›Großen deutschen Memorials‹ begleitet nicht den Hauptinhalt der Handschrift, die erbaulich-mystischen Schriften Merswins bzw. des Gottesfreundes vom Oberland, sondern die einleitenden faktischen Mitteilungen über Stiftung und Stifter des Klosters auf dem Grünen Wörth, die das historische Gedächtnis (eine ältere Klosterstiftung hatte dort bereits seit dem 12. Jahrhundert bestanden) und das Selbstverständnis der Gemeinschaft ausdrücken; neben Wappendarstellungen ist die figürliche Darstellung des Apostels Jacobus maior mit den Pilgerinsignien hervorzuheben, in der Initiale am Beginn des Berichtes über die Stiftung des Jakobsaltars als Buße für eine unterlassene Pilgerfahrt durch den oben erwähnten Straßburger Bürger Heinrich Blankhart. Der Jakobskult und die Wallfahrt nach Santiago de Compostela hatten in Straßburg über den Grünen Wörth hinaus einen großen Stellenwert (vgl. Plötz [1995]). Die zentrale Bedeutung der mystischen Traktate und Bekehrungsgeschichten wird schon in den kostbaren Niederschriften an sich, die zum großen Teil auf Pergament erfolgten, manifest.

In Format und Ausstattung bestehen Parallelen zu zwei weiteren erhaltenen Handschriften, die hier jedoch nicht mit einer eigenen Beschreibung aufzunehmen sind:

– Strasbourg, Archives departementales, Ms. ABR, H 2184, das sog. ›Erste lateinische Memorial‹ (auch ›Zweites übriggebliebenes Lateinbuch‹; Pergament, 50 Blätter, überwiegend lateinisch) ist in Ausstattung, Schriftcharakter und formaler Einrichtung ebenso angelegt wie das ›Große deutsche Memorial‹. Es enthält als Haupttext (2r–46r) ›De novem rupibus‹, die lateinische Übersetzung des ›Neunfelsenbuches‹ durch Johannes von Schaftholzheim, mit deutschem und lateinischem Prolog und weiteren Notizen (49r–50v deutsch). Genau im Stil der Initialen auf Bl. 6r und 6v des ›Großen deutschen Memorials‹ ist hier die große Initiale H zu Beginn des lateinischen Prologs (1v): zwölfzeilig, ca. 80 × 80 mm, mit blau-rot unterteiltem Buchstabenkörper mit zwei Tiergrotesken als Füllmotiv, rotem und blaugrauem Fleuronnée im Binnenraum, in dessen Zentrum ein Medaillon mit dem Wappen Merswins; seitliche Stableiste mit Besatz und Blumenmedaillons. Auf der letzten Seite (Spiegelblatt) das ganzseitige Wappen Werners von Hüneburg in identischer Gestaltung wie dort. Beschreibung zuletzt bei Krusenbaum-Verheugen (masch. 2008) S. 141–161, Abb. S. 61–75.

– Strasbourg, Archives départementales, Ms. ABR, H 2185, das sog. ›Briefbuch‹ mit deutschen Texten (Pergament und Papier, 82 Blätter), weist eine weniger kostbare Ausstattung und einfachere Schrift auf. Es enthält Briefe des Gottesfreundes vom Oberland an Rulman Merswin und andere Personen der Kommende sowie deren Briefe an ihn aus den Jahren von 1368 bis 1380, ferner den Traktat ›Schürebrand‹ (56r–73r); außerdem sind zwei ursprünglich selbständige Faszikel, eines davon in kleinerem Format, eingeheftet: Rulman Merswins ›Buͦch von den vier ioren sines anevohenden lebendes‹ (33r–40v; sog. Autograph; Ausgaben: Rieder [1905] S. 191*–198*; Strauch [1927b] S. 3–27) und das ›Buͦch von den fúnf mannen‹ des Gottesfreundes vom Oberland (4r–11v; Ausgabe: Strauch [1927b] S. 30–81). Nur ein einziges Blatt (76r) ist aufwändig verziert: Der Beginn eines Gedichts über die Namen Jesu ist mit einem schmalen Leistenrahmen in Rot und Blau mit Fleuronnée-Verzierungen und Medaillons mit Fabelwesen ausgestattet; das große Incipit Jhesus suͤsser namen ist mehrfarbig unterlegt, der Name Jhesus mit 20-zeiliger, in Ranken auslaufender J-Initiale, rot-blauer Buchstabenkörper mit weiß ausgesparten Tiergrotesken, die restlichen Buchstaben in Goldschrift. Beschreibung zuletzt bei Krusenbaum-Verheugen (masch. 2008) S. 94–140, Abb. S. 95–111.

– Es gab darüber hinaus mit Illustrationen geschmückte Aufzeichnungen der Kommende, die nicht erhalten sind. Dies bezeugen die Angaben über Bilder und ihre gereimten Beischriften im verlorenen sog. ›Meistermemorial‹, die das oben genannte ›Briefbuch‹ tradiert (73rv: Dis sint figuren Also sii in des obersten meisters memoriale buͦch von des gruͤnenwerdes stiftunge gemolet sint vmbe daz es ime deste lústlicher vnd ahtberer sige dicke sich darinne zuͦ ergetzende vnd die materien zuͦ lesende durch der gerúmeten sprúche willen, die bi ieglicher gemoleten figuren blo vnd rot geschriben stont …). Die angegebenen Bildthemen (die Gemeinschaft vom Grünen Wörth; Prozession; Übernahme durch die Johanniter; Wappen der Kommende [Des ordens wafen]; die Patrone; Crucifixus; Jesus uff siner muͦter schos; Das Veroniken antlit; Die visione; Das iungeste gerihte) lassen erkennen, dass dort über den erhaltenen Bildbestand hinaus weitere Themen gestaltet worden waren.

Editionen:

(jeweils einzelne Texte, keine Gesamtedition):

Das Buch von den neun Felsen von dem Strassburger Bürger Rulman Merswin. 1352. Nach des Verfassers Autograph hrsg. von Carl Schmidt. Leipzig 1859. – Karl Schmidt: Nicolaus von Basel. Leben und ausgewählte Schriften. Wien 1866. – Karl Schmidt: Nicolaus von Basel. Bericht von der Bekehrung Taulers. Straßburg 1875. – Auguste Jundt: Histoire du panthéisme populaire au moyen âge et au seizième siècle (suivie de pièces inédites concernant les frères du libre esprit, Maître Eckhart, les libertins spirituels, etc.). Paris 1875. – Auguste Jundt: Les amis de Dieu au quatorzième siècle. Paris 1879. – Auguste Jundt: Rulman Merswin et l’Ami de Dieu de l’Oberland. Un problème de psychologie religieuse. Avec documents inédits et fac-similés en phototypie. Paris 1890. – Karl Rieder: Der Gottesfreund vom Oberland. Eine Erfindung des Straßburger Johanniterbruders Nikolaus von Löwen. Innsbruck 1905, S. 3*–47*. – Philipp Strauch (hrsg.): Schriften aus der Gottesfreund-Literatur. 1. Heft. Sieben bisher unveröffentlichte Traktate und Lektionen. Halle (Saale) 1927 (ATB 22). – Philipp Strauch (Hrsg.): Schriften aus der Gottesfreund-Literatur. 2. Heft. Merswins Vier anfangende Jahre. Des Gottesfreundes Fünfmannenbuch (Die sogenannten Autographa). Halle (Saale) 1927 (ATB 23). – Philipp Strauch (Hrsg.): Schriften aus der Gottesfreund-Literatur. 3. Heft. Merswins Neun-Felsen-Buch (Das sogenannte Autograph). Halle (Saale) 1929 (ATB 27). – Markus Baumann: Das ›Meisterbuch‹ des Rulman Merswin: Textgeschichte und Teiledition. Diss. (masch.) Eichstätt 1992, 307 Seiten (Mikrofiche-Ausgabe ca. 1996).

Literatur zu den Illustrationen:

Ellen J. Beer: Beiträge zur oberrheinischen Buchmalerei in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung der Initialornamentik. Basel, Stuttgart 1959 (zum Umfeld); Saurma-Jeltsch (2001) Bd. 1, S. 115. – Christiane Krusenbaum-Verheugen: Figuren der Referenz. Untersuchungen zu Textualität und Komposition der »Gottesfreundliteratur« in der Straßburger Johanniterkomturei zum ›Grünen Wörth‹. Diss. (masch.) Köln 2008, 2 Bde. (passim, bei den Beschreibungen der Handschriften; mit zahlreichen Abb.).