70. Kräuterbücher
Bearbeitet von Bernhard Schnell
KdiH-Band 7
Seit den Anfängen der abendländischen Heilkunde wurden Medikamente bzw. Arzneidrogen vor allem aus pflanzlichen, weniger dagegen aus tierischen und mineralischen Substanzen gewonnen. Im gesamten medizinischen Schrifttum der Zeit begegnet die materia medica vegetabilis: Bei der Heilung wie bei der Verhütung von Krankheiten, in der Ernährungslehre – stets war man auf die Verwendung von Heilpflanzen angewiesen und hat dies auch in der Theorie entsprechend berücksichtigt. Für die medizinische Versorgung waren sie von zentraler Bedeutung und wurden sowohl von lateinisch gebildeten Medizinern als auch von Laien benutzt. Das Standardwerk auf dem Gebiet der Drogenkunde war bis zum Ende des Mittelalters die Arzneimittellehre ›De materia medica‹ (ca. 60–78 n. Chr.) des Pedanios Dioskurides. In fünf Büchern wurden hier über 800 pflanzliche und jeweils etwa 100 tierische und mineralische Drogen vorgestellt. Entsprechend der Dreiteilung der zur Anwendung kommenden Substanzen entwickelten sich im Laufe der Jahrhunderte die Gattungen der Kräuter-, Tier- und Steinbücher, in denen jeweils die betreffenden Drogen und deren Wirkung vorgestellt wurden. Dabei dominierten im heilkundlichen Schrifttum die Kräuterbücher, da die Zahl der Pflanzen die der verwertbaren animalia und mineralia bei weitem übersteigt. In nicht wenigen Fällen wurden in den Kräuterbüchern auch mineralische und tierische Drogen inseriert oder im Block als fester Bestandteil mitüberliefert. Im deutschen Schrifttum gibt es etwa 25 mittelalterliche Kräuterbücher. Sie zählen neben dem Arzneibuch, dem Rezeptar und dem ›Regimen sanitatis‹ zu den Großformen der deutschen Medizinliteratur des Mittelalters. Aus diesem Grunde hätte man sie auch in der Stoffgruppe 87. Medizin behandeln können, zu der es Überschneidungen gibt (
In der Grundstruktur besteht ein mittelalterliches Kräuterbuch, dies gilt sowohl für die lateinischen als auch für die deutschen, in der Aneinanderreihung einzelner Pflanzenmonographien: Jeweils in einem eigenen Kapitel wird eine Pflanze vorgestellt. Dabei steht ihre medizinische Verwertbarkeit, ihre Anwendung bei der Behandlung von Krankheiten, im Vordergrund und nicht so sehr die naturwissenschaftlich-botanische Beschreibung. Nicht die Form, das Aussehen oder das Vorkommen einer Pflanze finden das Interesse der Autoren, sondern ihre Heilkraft, ihre vires und virtutes. Es gilt also grundsätzlich festzuhalten: Mittelalterliche Kräuterbücher sind Werke der Medizin und nicht der Botanik. Die einzelnen Kapitel bestehen daher in der Regel aus kurzen Rezepten, die Aufschluss geben, gegen welche Krankheit die Pflanzen bzw. Teile der Pflanzen (z. B. Wurzel, Blatt, Blüte) oder Pflanzenprodukte (z. B. Harz, Bernstein) helfen. Die Zubereitung und Verabreichung dieser Medikamente wird nur sehr sporadisch und wenn, dann überaus knapp mitgeteilt.
Den uns bekannten deutschen Kräuterbüchern ist gemeinsam, dass die medizinische Anwendung der einzelnen Heilpflanzen ausschließlich auf schriftlichen Quellen beruht. Alle Autoren haben ihr Wissen aus den Werken ihrer Vorgänger genommen. Mündlich tradiertes Erfahrungswissen lässt sich in den überlieferten Kräuterbüchern nicht nachweisen. Der Wissenstransfer erfolgte stets über das Medium ›Buch‹. Alle deutschen Kräuterbücher basieren auf lateinischen Quellen, deren Entstehungsort in der Regel außerhalb des deutschen Raums liegt. Das Wissen über die Heilkräfte der Pflanzen hat sich schließlich über Jahrhunderte hinweg kaum verändert und wurde stets weiter tradiert.
Obwohl im lateinischen Schrifttum einige Herbare illustriert und diese relativ breit überliefert wurden, wie
Nicht berücksichtigt werden hier Sammlungen von reinen Pflanzenabbildungen (Herbarium pictum). Die Abbildungen enthalten keinen Text, sondern bieten nur eine Bezeichnung der Pflanzen bzw. eine Auflistung von wenigen lateinischen und deutschen Synonymen. Insgesamt sind drei Handschriften (alle medizinische Sammelhandschriften) dieses Typus aus dem 15. Jahrhundert bekannt (
Ebenfalls ausgeklammert werden die Naturselbstdrucke (Herbarium vivum). Bei dieser Technik, die vor allem durch die Beschreibung von Leonardo da Vinci bekannt geworden ist, wurden die Pflanzen eingefärbt, um diese dann auf Papier abzudrucken. Freilich ist dieses Verfahren keine Erfindung von ihm gewesen, sondern wurde nördlich der Alpen bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts angewandt (
Schließlich werden hier auch diejenigen Kräuterbücher nicht berücksichtigt, die als Teil einer naturwissenschaftlich ausgerichteten Enzyklopädie konzipiert wurden und bereits an anderer Stelle im Katalog (Stoffgruppe 22.) vorgestellt wurden: so Teil V von Konrads von Megenberg ›Buch der Natur‹ (22.1.) und Teil XXII von Peter Königschlachers ›Buch von Naturen der Ding‹ (22.2.).
- Nr. 22. ›Buch der Natur‹
- Nr 49a. Hausbücher
- Nr. 87. Medizin