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73.1. Otfrid von Weißenburg, ›Evangelienbuch‹

Bearbeitet von Kristina Domanski

KdiH-Band 8

Aufgrund seines ›Evangelienbuches‹ ist Otfrid von Weißenburg als erster althochdeutscher Dichter namentlich bekannt. Außer in seinen literarischen Werken, die neben dem ›Evangelienbuch‹ umfangreiche lateinische Bibelkommentare und althochdeutsche Glossen umfassen, ist sein Wirken vor allem im Ausbau der Bibliothek des elsässischen Klosters Weißenburg greifbar, wo er die Stellung eines magister, eines Klosterlehrers, innehatte. Sein Studium in Fulda, vermutlich um 830 unter dem Abbatiat Rabanus’ Maurus, sowie seine engen persönlichen Verbindungen zu den klösterlichen Intellektuellen in St. Gallen und auf der Reichenau lassen ihn als einen der literarisch produktiven Gelehrten hervortreten, der die karolingischen Reformbestrebungen mit dem Ziel eines ›richtigen‹ Schriftverständnisses umsetzte.

Sein volkssprachiger ›Liber evangeliorum‹ präsentiert in fünf Büchern, unterteilt in 140 Kapitel, in Langzeilen mit Endreimen das Leben Jesu nach dem Prinzip einer Evangelienharmonie. Allerdings führt das Werk nicht nur die neutestamentlichen Berichte zusammen, sondern ergänzt diese um deutende Kapitel, die der exegetischen Tradition eines mehrfachen Schriftsinnes folgend mit Spiritaliter, Moraliter und Mystice benannt werden. Vorangestellt sind dem Werk Widmungsadressen an den fränkischen König Ludwig, Erzbischof Liutbert von Mainz und Bischof Salomon I. von Konstanz. Eine vierte Dedikation, an die fratres und magistri Hartmut und Werinbert in St. Gallen, bildet den Abschluss, so dass sich die Entstehungszeit durch die Amts- und Lebensdaten der Widmungsträger auf die Jahre zwischen 863 und 871 eingrenzen lässt. Eine präzisere Datierung scheint nicht möglich, da ein Todesdatum für Otfrid nicht bekannt ist.

Zusätzlich zu den heute noch materialiter erhaltenen vier Abschriften des 9. und 10. Jahrhunderts dürften weitere Exemplare für die Widmungsadressaten existiert haben. Von ihnen gibt möglicherweise die mit dem Eröffnungsbild der Wiener Handschrift übereinstimmende, später verbundene Darstellung eines Labyrinthes in der Stiftsbibliothek St. Gallen noch Zeugnis (St. Gallen, Cod. Sang. 197, S. 122). Die Wiener Handschrift (Nr. 73.1.1.) kann der eigenhändigen Korrekturen Otfrids wegen gleichsam als eine vom Dichter autorisierte Ausgabe letzter Hand betrachtet werden und dürfte das älteste der in den KdiH aufgenommenen Objekte darstellen. Nur in dieser Abschrift finden sich mit vier Federzeichnungen eigenständige Illustrationen, während die übrigen mittelalterlichen Abschriften ohne figürlichen Buchschmuck blieben. Doch verfügen auch sie über ein sorgfältiges Layout mit Auszeichnungsschriften und kalligrafischen Differenzierungen auf mehreren Gliederungsebenen.

Die Ausstattung eines volkssprachigen Werkes mit illustrativen Federzeichnungen ist sicherlich als ungewöhnlicher Vorgang zu werten, wobei die insgesamt geringe Zahl von Handschriften mit mehrheitlich althochdeutscher Literatur diesen Eindruck zusätzlich verstärkt. Für ein im Hinblick auf Umfang und Intention mit Otfrids ›Evangelienbuch‹ vergleichbares Werk, die um 830 in Fulda entstandene Übersetzung der Evangelienharmonie des Tatian etwa, zeigt sich, dass das einzig überlieferte Manuskript mit Kanontafeln ausgestattet und mithin ebenfalls eine anspruchsvolle, für zeitgenössische Evangelistare geläufige Form gliedernden Buchschmuckes gewählt wurde (St. Gallen, Cod. Sang. 56, S. 3–18). Insgesamt bleiben Federzeichnungen als Illustrationen mit Textbezug in karolingischer Zeit im Vergleich zur Vielzahl der mit Deckfarbenminiaturen ausgestatteten, liturgischen Prachthandschriften eine seltene Variante der bildlichen Ausstattung, die häufig den Schreibern zuzuordnen oder als Nachträge zu betrachten sind. Jedoch finden sich auch für zyklische Bildfolgen als fortlaufende Begleitung biblischer oder hagiografischer Erzählungen vereinzelte Beispiele wie etwa der in St. Gallen hergestellte Goldene Psalter mit der Geschichte Davids (St. Gallen, Cod. Sang. 22), das am Bodensee entstandene Martyrium des Romanus von Cäsarea in einer Sammlung der Carmina des Prudentius (Bern, Cod. 264, 122v–148r) oder die Kreuzauffindungslegende vom Beginn des 9. Jahrhunderts (München, Clm 22053, 1r–21r).

Die neuzeitliche Rezeption des ›Evangelienbuches‹ setzt Ende des 15. Jahrhunderts mit einer Würdigung Otfrids durch Johannes Trithemius in seinen Sammlungen von Schriftstellern und Berühmtheiten ein (De scriptoribus ecclesiasticis, Basel 1494, GW M 47578, ISTC it00452000, 46r–v; Catalogus illustrium virorum Germaniae, Mainz 1495, GW M 47516, ISTC it00433000, 7v–8r). Eine erste neuzeitliche Ausgabe erscheint bei Heinrich Petri 1571 in Basel (VD16 B 4664), der die gleichfalls in Weißenburg angefertigte, aber unvollständige Heidelberger Handschrift als Grundlage diente. Der Druck übernimmt mit den abgesetzten Anfangs- und Endbuchstaben für die Widmungsschreiben, die als Akrosticha und Telesticha Namen und Stellung des Widmungsträgers bilden, Gestaltungselemente in die Typografie, die bereits in den karolingischen Manuskripten zur Strukturierung des Schriftbildes entwickelt wurden.

Literatur zu den Illustrationen:

Hermann (1923) S. 126–131; Menhardt 1 (1960) S. 113–115; Faksimile Codex Vindobonensis 2687 (1972) S. 15–24; Haubrichs (1980) S. 150–158; Ott (2004).