KdiH

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73.1.1. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2687

Bearbeitet von Kristina Domanski

KdiH-Band 8

Datierung:

Um 870.

Lokalisierung:

Weißenburg (Elsass).

Besitzgeschichte:

Vermutlich zwischen 1480 und 1505 unter Johannes Trithemius in die Sponheimer Klosterbibliothek übergegangen, 1513 von ihm dort erwähnt, nach der Mitte des 16. Jahrhunderts in Wien, spätestens seit 1576 Eigentum der Hofbibliothek.

Inhalt:
1r–194v Otfrid von Weißenburg, ›Evangelienbuch‹, Hs. V
I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament, I + 193 + I Blätter (Zählung des 16. Jahrhunderts mit Tinte rechts oben, radiert und verbessert im 18. Jahrhundert, überspringt 190 und endet mit 194), 262 × 212 mm, mehrere Varianten der karolingischen Minuskel für den Text, dazu Capitalis Quadrata, Uncialis, Capitalis Rustica als Auszeichnungsschriften, sechs Hände, darunter von Otfrid: 31r, Z. 21–31v, Z. 2; 144v, Z. 16–145v, Z. 16; 145v, Z. 18–22; 193v, Z. 1–194v, Z. 20, darüber hinaus Marginalien und Korrekturen seiner Hand im gesamten Manuskript (zur Händescheidung der übrigen fünf Schreiber im Einzelnen Kleiber [2004] Bd. I,2, S. 53), einspaltiger Schriftspiegel für den althochdeutschen Text mit abgesetzter Spalte für die Anfangsbuchstaben der Versanfänge, auf den äußeren Seitenrändern durchgehend Einträge der lateinischen Bibeltexte, meist in roter Tinte, überwiegend 21 Zeilen, in Ausnahmefällen 22, 23 oder nur 19–20 Zeilen, Überschriften, Kapitelverzeichnisse und Zeilenanfänge in verschiedenen Auszeichnungsschriften von den einzelnen Schreibern mit individueller Ausprägung, in den Widmungsschreiben an König Ludwig, Bischof Salomon I. und die St. Galler Mönche Hartmut und Werinbert abgesetzte, in roter Tinte ausgeführte Buchstaben der Zeilenanfänge und -enden für das jeweils gleichlautende Akrostichon und Telestichon, Griffelritzungen und Griffelglossen.

Schreibsprache:

südrheinfränkisch.

II. Bildausstattung:

Vier teilweise kolorierte Federzeichnungen (Ir, 112r, 112v, 153v), von denen 112r später überarbeitet und 112v später nachgetragen wurde.

Format und Anordnung:

Ir auf der Vorderseite eines Doppelblattes, zu Beginn des Gesamtwerks, vor den Widmungsschreiben. 112r und 112v auf dem letzten Blatt am Ende der 15. Lage. 112v (unten Mitte mit Kustode XV) zwischen dem Ende des dritten und vor Beginn des Kapitelverzeichnisses zum vierten Buch platziert, das vom Aufenthalt in Bethanien über die Passion bis zur Grablegung Christi reicht. 153v am Ende der 20. Lage (Kustode fehlt), nach dem Kapitelverzeichnis zum fünften Buch, das Auferstehung, Himmelfahrt und Jüngstes Gericht umfasst. Alle Illustrationen ganzseitig, Ir, 112v und 153v ungerahmt, 112v und 153v reichen über die eingeprägte Linierung des Schriftspiegels hinaus. Nur 112r mit einem Rahmen in der Größe des Schriftspiegels eingefasst, die Breite der Rahmenleisten, die ohne weiteren Dekor blieben, entspricht dabei der den Schriftspiegel einfassenden Spalte für die abgesetzten Versanfänge. Angesichts der Korrekturen und Änderungen am Text, die sogar die Kapiteleinteilung und einen nachgetragenen Verweis auf ein exegetisches Kapitel betreffen, und des Gesamteindrucks der Handschrift als Handexemplar ist kaum davon auszugehen, dass eine illustrative Ausstattung von Beginn an Teil des Konzeptes war. Die Beschränkung auf das vierte und fünfte Buch sowie die Positionierung am Ende einer Lage sprechen für die Nutzung verbliebener Freiräume, die vielleicht ursprünglich für etwaige weitere Textergänzungen vorgesehen waren. Diese Vermutung stützen weiterhin die Unterschiede in der Gliederungsstruktur, denn die Federzeichnungen befinden sich einmal vor (112r), einmal nach (153v) Beginn des Kapitelverzeichnisses.

Beim ersten Buch ist weder vor noch nach dem Kapitelverzeichnis Freiraum verblieben, die Seiteneinteilung ist gedrängt, so schließt etwa das Explicit des Kapitelverzeichnisses in derselben Zeile an die Überschrift des 28. Kapitels Spiritaliter an. Beim zweiten und dritten Buch beginnen Kapitelverzeichnis und Vorrede übereinstimmend jeweils auf einer neuen Seite, die Incipits sind jeweils am unteren Rand auf der gegenüberliegenden, ansonsten leeren Versoseite vorangestellt. Beim vierten Buch fehlt das Incipit zum Kapitelverzeichnis, beim fünften Buch hingegen befinden sich die Incipits zum Kapitelverzeichnis und zur Vorrede als Überschriften auf derselben Seite.

Daher sollte die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass auch die Federzeichnungen 112r und 153v erst nach Beendigung der inhaltlichen Arbeit und der Textgestaltung dem Manuskript hinzugefügt wurden, was vielleicht sogar erst nach dem Tod Otfrids der Fall war.

Bildaufbau und -ausführung:

Schon Hermann (1923) hat darauf hingewiesen, dass nach Ausweis der verwendeten Tinten, der geringen Ausführungsqualität und der stilistischen Diskrepanz sowohl die Illustration 112v wie auch Teile der Illustration auf 112r erst im 11. Jahrhundert, vermutlich von derselben Hand, ergänzt wurden und damit nicht zum karolingischen Bestand gehören.

Das Labyrinth Ir aus zwölf schmalen konzentrischen Kreisringen, dessen Eingang beidseitig eine dreilappige Blattranke flankiert, stimmt in der Kolorierung mit der Kreuzigung 153v überein, sodass von einer konzeptuellen Zusammengehörigkeit auszugehen ist. Bei der verschiedentlich behaupteten Übereinstimmung der Maße des Kreuzes (180 mm Höhe des Stamms; 161 mm Breite des Querbalkens) mit dem inneren Durchmesser des Labyrinths (172 mm) handelt es sich allerdings um einen Irrtum.

Beim Einzug nach Jerusalem 112r gehören zum Ursprungsbestand die drei über die ansonsten leere Bildfläche verteilten Figurengruppen des auf einem Esel reitenden Jesus am linken Bildrand, der Jünglinge unter der Palme in der rechten unteren Ecke sowie die vier Männer nebst dem Bauwerk in der rechten oberen Bildecke. Die mit grauschwarzer Tinte gezeichnete Figur rechts hinter dem Sakralbau ist eine neuzeitliche Ergänzung, die wohl zeitgleich mit der Beschriftung der Sockelzone des Baus vorgenommen wurde. Als Lesarten für die Jahreszahl 1615 und die Initialen, mit denen sich wohl ein Benutzer des Manuskriptes eingetragen hat, wurden bislang I H E für den Freiherrn Job Hartman Enenkel (1576–1627, Hermann [1923] S. 129) und IMF für In Memoriam Fernberger für Karl Ludwig Fernberger (1569–1635, Menhardt 1 [1960] S. 114) vorgeschlagen.

Auch in der Ausführung der Figurengruppen 112r werden Differenzen hinsichtlich der Flüssigkeit und Präzision der Strich- und Linienführung deutlich, die eine Beteiligung zweier Zeichner wahrscheinlich machen, von denen der ungeübtere für die vier Männer neben dem Bauwerk einschließlich des Terrains und die drei Köpfe in der zweiten Reihe rechts unten verantwortlich war. Vergleiche für den ursprünglichen Bildaufbau, die großzügig über die ungefüllte Bildfläche verteilten Figurengruppen, die durch Gestik in Beziehung gesetzt werden, bieten insbesondere die narrativen Szenen des Goldenen Psalters, die zwischen 883 und 885 in St. Gallen entstanden (Cod. Sang. 22, z. B. S. 75, 132, 140; Hermann [1923] S. 129).

Dem Zeichner der nachgetragenen Apostelköpfe, den ein dünnflüssiger Auftrag der sepiabraunen Tinte, zittrige Konturen und unregelmäßige Proportionen auszeichnen, ist auch die Darstellung des Abendmahles 112v sowie die Kolorierung der beiden Illustrationen 112r und 112v mit Gelb und Graublau zuzuweisen.

Die Kreuzigungsdarstellung 153v, die zum karolingischen Bestand gehört, ist einem weiteren Zeichner zuzuschreiben, dessen Figurenstil sich gegenüber dem Einzug durch eine ausgeprägtere Flächigkeit der Körper auszeichnet. Da hier dynamisierende Elemente wie aufgebauschte Gewandsäume vollständig fehlen, ist eine räumliche Beziehung zwischen Christus am Kreuz, den Trauernden Maria und Johannes und den Medaillons mit den Personifikationen von Sol und Luna kaum herzustellen. Unter stilistischen Gesichtspunkten sind der Verzicht auf antikisierende Raumsuggestionen im Verbund mit der teigigen Anmutung der Körper als charakteristische Merkmale spätkarolingischer Malerei gut mit den Stilmerkmalen der wohl für Arnulf von Kärnten nach 887 angefertigten Kreuzigungsdarstellung im Berliner Psalter zu vereinbaren (Berlin, Ms. theol. lat. fol. 58, 120r; Crivello [2007] S. 216–219). Die Entstehung der beiden figurativen Illustrationen in spätkarolingischer Zeit, die für 112r ebenfalls in Zweifel gezogen wurde (Haubrichs [1980] S. 156, wohl aufgrund eines Missverständnisses von Butzmann, vgl. Faksimile Codex Vindobonensis 2687 [1972] S. 25), ist trotz unterschiedlicher Bildkonzeption und Ausführung aufgrund der zeitgenössischen Stilvergleiche schlicht durch die Beteiligung eines zweiten Zeichners zu erklären.

Bildthemen:

Insbesondere die Darstellung des Labyrinths Ir hat eine Vielzahl von Deutungsversuchen vor dem Hintergrund der differenzierten bildlichen und intellektuellen Auseinandersetzung mit dem Thema in karolingischer Zeit herausgefordert. Die aufgrund der Farbigkeit hergestellte optische Zusammengehörigkeit von Labyrinth und Kreuzigung lässt sich, gestützt auf die Platzierung innerhalb des Manuskriptes sowie aufgrund von Textstellen im Werk Otfrids und der Beziehung zu formalen Vorbildern, als konzeptuelle Verknüpfung des zu Beginn stehenden Symbols für den mundus peccatus mit dem durch die Kreuzigung erfolgenden Erlösungswerk im fünften Buch schlüssig deuten (Haubrichs [1980] S. 150–158).

Die formale Nähe des Labyrinths mit einem später verbundenen Exemplar in einer St. Galler Handschrift hat Anlass zu der Vermutung gegeben, es könne sich dabei um Überreste einer verlorenen Abschrift für das dortige Kloster handeln (St. Gallen, Cod. Sang. 197, S. 122, der Bibeldichtung des Alcimus Avitus vorgebunden; Haubrichs [2004] S. 10).

In diesen Deutungsansatz lässt sich auch die Darstellung des Einzugs in Jerusalem 112r einbinden, denn in ihr wird die Ankunft des Retters, dem es gelingt, in die »labyrinthisch verschlossene Welt« vorzudringen (Haubrichs [1980] S. 152), veranschaulicht und dabei ikonografisch dem Adventus des Herrschers in der Antike nachgebildet. Zudem setzt liturgisch gesehen mit dem Beginn der Karwoche die Passion Christi ein. In diese spätkarolingische Bildsequenz von mundus peccatus, Adventus des Erlösers und Vollzug des Opfers Christi wurde in späterer Zeit die Darstellung des Abendmahls an passender Stelle zwischen Einzug und Kreuzigung in einen verfügbaren Freiraum sinnfällig nachgetragen. Da Jesus mit der Stiftung des Sakraments seinen Jüngern vorweist, wie seines Opfers liturgisch gedacht werden sollte, kann durchaus von einer planvollen, wenngleich von ungeschickter Hand vorgenommenen Erweiterung der Illustrationsfolge gesprochen werden.

Diverse ikonografische Besonderheiten der einzelnen Bildthemen blieben bislang ungeklärt. Für den Einzug 112r wären die Besonderheit des im ursprünglichen Bildkonzept zunächst allein dargestellten Jesus und die unklare Deutung der Architektur als Stadttor, Stadtmauer oder Tempel, zu nennen. Der häufiger in der Literatur monierte relativ zierliche Kopf des Reittiers und seine Schrittstellung, bei der das vom Betrachter abgewandte (linke) Vorderbein erhoben ist, entsprechen hingegen den ikonografischen und stilistischen Gepflogenheiten der Zeit, die nicht an naturalistischen Details interessiert war und bei der Kreuzigung 153v auch die Darstellung eines Johannes mit sechs Zehen tolerierte. Dort entsprechen die Medaillons mit Sol und Luna, beide nimbiert und mit ehrfürchtig verhüllten Händen, der zeitgenössischen, spätantike Elemente tradierenden Darstellungsweise. Auffällig bleiben aber der stehende Christus, das eigentümliche Podest, auf dem das Kreuz steht, die von einer umlaufenden, farbig abgesetzten Rahmenleiste eingefassten Kreuzbalken und die Phiole zu Füßen Christi, mit der sein Blut aufgefangen wird. Eine umfassende Interpretation der Bilder unter Berücksichtigung der zeitgenössischen Exegese, insbesondere jener Otfrids, wäre daher wünschenswert.

Farben:

Ir, 153v: Rotbraun, Ockergelb, Olivgrün und Mennigrot; 112r, 112v: Gelb und Graublau.

Literatur:

Hermann (1923) S. 126–131; Menhardt 1 (1960) S. 113–115. – Faksimile Codex Vindobonensis 2687 (1972) S. 15–24; Batschelet–Massini (1978) S. 33–64; Haubrichs (1980) S. 150–158; Ott (2004).

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 4: 153v. Kreuzigung.

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Abb. 4.