65. Kalender
Bearbeitet von Pia Rudolph
KdiH-Band 7
Im Kalender des Mittelalters wurden der julianische und der liturgische Kalender zusammengeführt, er beginnt – im Gegensatz zum Kirchenjahr – mit dem ersten Januar. Wegweisend für dieses Verfahren war Beda Venerabilis († 735), der seinem ›Martyrolog‹ das römische Sonnenjahr zu Grunde legte (
Des Weiteren zählt der mittelalterliche Kalender die Tage des Monats in Kalenden, Nonen und Iden auf. Die KL-Ligaturen zu Beginn eines jeden Monats können in Handschriften, gleich einer Initiale, besonders hervorgehoben sein. Vor allem seit Johannes Regiomontanus († 1476) werden die Tage des Monats in arabischen Zahlen angeführt. Zu den im Kalender notierten unbeweglichen Monatsereignissen gehören meist außerdem Angaben zum Wechsel der Sternzeichen (z. B. wann der Wassermann in den Fisch tritt; häufig in Handschriften durch einen roten Strich markiert), zum Äquinoktium, zu den Sonnenwenden, zur Dauer von Tag und Nacht (in Stunden) oder zum Jahreszeitenwechsel. Hinzu kommen häufig Monatsregeln, die u. a. diätetische Hinweise für den jeweiligen Monat geben. Neben den unbeweglichen Zeitpunkten erfassen die zwölf Kalenderseiten zu den zwölf Monaten weitere Informationen zu beweglichen Ereignissen, wie die Fastenzeiten, den Ostertermin, die goldene Zahl, die Sonntagsbuchstaben, die verworfenen Tage etc. Über die zwölf Kalenderseiten hinaus können weitere Tabellen, Prognostiken oder Erklärungen zur praktischen Nutzung den Kalender ergänzen (vgl. u. a. Nr. 65.2.1., Nr. 65.2.4., Nr. 65.2.5.). Beispielsweise erfassen Intervalltafeln den genauen Abstand zwischen Weihnachten und der Fastenzeit über mehrere Jahre hinweg. Ebenso kann in Tabellenform der Ostertermin über einen längeren Zeitraum hinweg angegeben werden (Nr. 65.2.2.).
Komplexe Kalenderrechnungen (Computistik) waren notwendig, um das Osterdatum für Jahre im Voraus und allerorts übereinstimmend ermitteln zu können, also zu bestimmen, wann der erste Frühlingsvollmond, der dem Ostersonntag vorangeht, erscheinen würde. Hierzu mussten der 19-jährige Mond- und der 28-jährige Sonnenzyklus miteinander abgeglichen werden. Ostertafeln gaben meist die Ostertermine über einen Mondzyklus hinweg an, weshalb die goldene Zahl (angeblich in goldener Tinte geschrieben), ein Hilfsmittel zur Berechnung des Osterdatums, in jedem Jahr eine Zahl zwischen eins und 19 sein kann (
Die iatromathematischen Hausbücher mit illustriertem Kalender werden ebenfalls in der Stoffgruppe 87. Medizin behandelt (vgl. auch Nr. 49a.1.1.: Hausbuch der Familie Herberstein mit Kalender). Dasselbe gilt für die iatromathematischen Handschriften, deren astronomisch-astrologischer Teil bereits in der Stoffgruppe 11. Astronomie/Astrologie beschrieben wurde und die einen illustrierten Kalender beinhalten: Nr. 11.2.2., Nr. 11.4.4., Nr. 11.4.5., Nr. 11.4.7., Nr. 11.4.11., Nr. 11.4.12., Nr. 11.4.18., Nr. 11.4.19., Nr. 11.4.22., Nr. 11.4.25., Nr. 11.4.37., Nr. 11.4.43., Nr. 11.4.47.
Als frühes Beispiel wissenschaftlicher Kalenderrechnung, die den Berechnungen Johannes’ von Gmunden vorgriff, wird der Kalender Wurmprechts von 1372 angesehen (Nr. 65.2.4.). Ausgehend von wissenschaftlicher Erfassung von Zeit, wurden vom 13. bis ins 15. Jahrhundert immer wieder solche Versuche einer Kalenderreform unternommen. Aus Wien, einem der wichtigsten astronomischen Zentren des 15. Jahrhunderts, wurde schließlich 1475 Johannes Regiomontanus nach Rom geladen, um die Kalenderreform endgültig durchzusetzen. Als er 1476 in Rom verstarb, dauerte es noch bis 1582, bis es durch Papst Gregor XIII. zu einer Reformation des Kalenders kam (Zählen, Messen, Rechnen [s. u. Literatur] S. 169).
Im Kalender des Mittelalters griff man zur bildlichen Darstellung des zyklischen Jahresverlaufs auf die Illustration der Tierkreiszeichen zurück sowie auf die menschlichen Tätigkeiten im Wandel der Jahreszeiten, die sich je nach klimatischer Region etwas unterscheiden konnten (siehe unten Bildthementabelle). Beides weist eine über Jahrhunderte hinweg konstant gebliebene ikonographische Tradition auf, bei der die »kosmologische Ordnung« auf die »göttliche Schöpfungsordnung« (
In diese Stoffgruppe wurden immerwährende Kalender (Nr. 65.1.) aufgenommen, für deren Form sich im 19. Jahrhundert der auch heute noch verwendete Begriff des ›Bauernkalenders‹ eingebürgert hat (Heilige und Hasen [2008] S. 126;
Um den Kalender immerwährend verwenden zu können, wurden die Wochentage Montag bis Sonntag mit Hilfe der Buchstaben a–g dargestellt. Ist der erste Tag im Jahr beispielsweise ein Mittwoch, fällt im ganzen Jahr der Mittwoch auf den Buchstaben a. Dabei war vor allem wichtig, welcher Buchstabe dem Sonntag zukam (Sonntagsbuchstabe). In den ›Bauernkalendern‹ werden abbreviaturhafte Darstellungen von Heiligen oder nicht beweglichen Festtagen einem Wochenbuchstaben zugeordnet. Der erste Januar ist immer der Tag der Darbringung Christi im Tempel, als Zeichen seiner Beschneidung wird häufig ein Messer gezeigt. Beinahe könnte man von einem verbildlichten Cisiojanus-Gedicht sprechen (siehe Literatur zu Nr. 65.1.2.). Bei diesem Merkgedicht, das auch in die Volkssprachen übertragen wurde, handelt es sich um ein Hilfsmittel zum Einprägen der kirchlichen Festtage, wobei jeder Tag des Jahres eine Silbe erhielt. Benannt wurde das Gedicht nach den ersten vier Silben ›Cisiojanus‹ (u. a.
Außerdem werden im Folgenden die Kalender beschrieben, die Gebeten und kontemplativen Betrachtungen (Untergruppe 65.2.) vorangestellt sind (z. B. Psaltern, Stundenbüchern, Heilsspiegeln). Da die Zeit für das Gebet eine wichtige Rolle spielte, wurden Kalender mit Psaltern (Nr. 65.2.2., Nr. 65.2.3., Nr. 65.2.4.) oder Andachts- bzw. Stundenbüchern (Nr. 65.2.6., Nr. 65.2.7.) kombiniert. Im Kloster wurden zu festgesetzten Zeiten und innerhalb einer Woche alle 150 Psalmen rezitiert. Dass auch ›Speculum humanae salvationis‹-Handschriften (vgl. Nr. 65.2.5.) manchmal mit Kalendern ausgestattet wurden, kann ein weiteres Beispiel eines lateinischen Kalenders zeigen, der mit einem deutschen Heilsspiegel (siehe Stoffgruppe 120. ›Speculum humanae salvationis‹) überliefert wurde. Die Handschrift wird heute in der Königlichen Bibliothek zu Kopenhagen aufbewahrt (GKS 79 2º; Kalender: 2r–7v).
Vor allem seit dem 11. Jahrhundert findet man im liturgischen Kontext Kalendermonatsseiten mit Tierkreiszeichen und Monatsarbeiten, neben denen häufig auch die Martyrien der Heiligen oder die zwölf Apostel dargestellt werden. Auf diese Art werden »weltliche Arbeit« (vita activa) und »geistliche Ehrung der Heiligen« (vita contemplativa) optisch verknüpft (
Im Gegensatz zu der Vielzahl an illuminierten lateinischen Kalendern vor Andachtsbüchern gibt es nur wenige eigenständig überlieferte deutschsprachige Kalender-›Prunkstücke‹, die alle kurz nach 1500 sowie beeinflusst von den künstlerisch anspruchsvollen flämischen und französischen Kalenderillustrationen entstanden sind (Nr. 65.2.1., Nr. 65.2.6., Nr. 65.2.7.). Besonders charakteristisch für diese Kalender sind ihre detailreichen Darstellungen der Monatstätigkeiten in weiten Landschaften. Um gleichzeitig den Innen- und den Außenraum in einer Szene zeigen zu können, griffen die Künstler auf eine nach vorne geöffnete ›Raumschachtel‹ zurück (
In der folgenden Bildthementabelle sind alle Handschriften zusammengestellt, die Darstellungen der Monatsarbeiten enthalten. Neben diesen ist der Tabelle auch die Zuordnung und Abbildung der Tierkreiszeichen zu entnehmen. In den einzelnen Beschreibungen der Handschriften werden demgegenüber Besonderheiten angeführt, wie Darstellungen von Mischwesen oder Abweichungen von der gängigen Ikonographie. Die Tierkreiszeichen, die nach den entsprechenden Sternbildern benannt sind, können ikonographisch mit jenen zusammenfallen, z. B. wenn die Jungfrau mit Flügeln und Ähre in der Hand gezeigt wird. In manchen Darstellungen sind die Tierkreiszeichen mit Sternen verziert (Nr. 65.2.3.), um den gegenseitigen Bezug zu verdeutlichen (zur Ikonographie der Tierkreiszeichen beispielsweise
In der Bildthementabelle sind zunächst drei Kalender aufgelistet (Nr. 65.2.1., Nr. 65.2.6., Nr. 65.2.7.), die um bzw. kurz nach 1500 entstanden sind und die in der Tradition der aufwendig gestalteten Kalenderilluminationen lateinischer Stundenbücher stehen, wie man sie vor allem aus dem französischen und niederländischen Raum kennt. Es folgen ein Blockbuch (Nr. 65.1.A.) sowie ein ihm ikonographisch verwandter Einblattholzschnitt (Nr. 65.1.B.). Die drei anschließenden Kalender lassen sich nicht in Beziehung setzen. Auffällig ist, dass in den Kalendern Nr. 65.2.5. und Nr. 65.2.a. keine Tierkreiszeichen, sondern nur die Monatsarbeiten dargestellt werden und dass der Faltkalender (Nr. 65.1.1.) einigen Monaten Arbeiten zuordnet, die gewöhnlich mit anderen in Verbindung gebracht werden.
Die erste Zeile der Tabelle enthält Informationen zur Darstellung der Tierkreiszeichen: Ein (*) bedeutet, dass die Darstellung des Tierkreiszeichens in das Bildfeld der Monatsdarstellung integriert ist, wohingegen ein (∧) anzeigt, dass das Tierkreiszeichen außerhalb der Monatsdarstellung abgebildet ist; ein (R) weist darauf hin, dass das Tierkreiszeichen immer auf der recto-Seite dargestellt ist; das Kennzeichen (~) schließlich bedeutet, dass keine Tierkreiszeichen zur Darstellung kommen.
Innerhalb der Tabelle steht ein Leerzeichen für wegen Blattverlusts nicht bestimmbare Bilder. Werden Bildthemen in einer Darstellung zusammengefasst, erfolgt ein Wiederholungszeichen (").
65.2.1. Berlin, Ms. germ. oct. 9 | 65.2.6. Wien, Cod. 2730 | 65.2.7. Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 84.2.1 Aug. 12º | 65.1.A. [Mitteldeutschland]: [o. Dr.], [um 1457] | 65.1.B. Nürnberg: Georg Glockendon d. Ä., um 1493 | 65.2.5. St. Gallen, VadSlg Ms. 352/1-2 | 65.2.a. Straßburg: Johann Prüss, 1484 | 65.1.1. Berlin, Libr. Pict. A 92 | ||
* | ∧ | * R | * | * | ~ | ~ | ∧ | ||
Januar
Wassermann |
Speisen | 1v | 2r | 2r, 9r | Segm. 1 | ||||
Wärmen am Feuer | 6r | " | |||||||
Anbetung der Könige | Taf. 1 | Segm. 1 | |||||||
Spaziergang in verschneiter Landschaft | 2v | ||||||||
Februar
Fische |
Wärmen am Feuer | 2v | |||||||
Holzschlagen | 3r–v | Taf. 2 | Segm. 2 | ||||||
Bodenbearbeitung/Hacken/Auflockern | " | " | Segm. 2 | ||||||
Pflügen | 6v | 2v, 14r | |||||||
März
Widder |
Bodenbearbeitung/Hacken/Auflockern | 7r | 4r–v | Taf. 3 | Segm. 3 | ||||
Pflügen | 3v | 3r, 18v | |||||||
Bearbeitung der Weinstöcke | " | ||||||||
Holzschlagen | Segm. 3 | ||||||||
April
Stier |
Bodenbearbeitung/Hacken/Auflockern | Taf. 4 | |||||||
Baumbearbeitung | Segm. 4 | 3v, 23r | |||||||
Herde austreiben | 4v | 7v | |||||||
Melken/Butter stampfen | " | ||||||||
Spaziergang im Garten | 5r | ||||||||
Liebespaar im Rosengarten/Musizieren | 5v | ||||||||
Blumenpflücken | Segm. 4 | ||||||||
Mai
Zwillinge |
Liebespaar | Taf. 5 | Segm. 5 | 4r, 27v | |||||
Baden | " | Segm. 5 | |||||||
Kahnpartie | 5v | 8r | 6r | ||||||
Musizieren | " | " | |||||||
Spaziergang im Garten | 6v | ||||||||
Juni
Krebs |
Pflügen | Taf. 6 | Segm. 6 | ||||||
Aussaat | " | ||||||||
Heuernte | 7r–v | Segm. 6 | |||||||
Schafschur | 6v | 8v | |||||||
Juli
Löwe |
Heuernte | 7v | 9r | Taf. 7 | Segm. 7 | S. 5 | 5r, 36v | ||
Kornernte | 8r–v | Segm. 7 | |||||||
August
Jungfrau |
Kornernte | 8v | 9v | Taf. 8 | Segm. 8 | S. 6 | 5v, 41v | ||
Dreschen/Kornlagerung | 9r–v | ||||||||
Mann mit Axt über einem Steinbock: Schlachten (?) | Segm. 8 | ||||||||
September
Waage |
Pflügen | 9v | 10r | Segm. 9 | |||||
Aussaat | " | " | 10r | " | |||||
Dreschen | Taf. 9 | Segm. 9 | |||||||
Kornsack wird ins Dorf getragen | 10v | ||||||||
Weinlese | S. 7 | 6r, 47r | |||||||
Weinherstellung | " | ||||||||
Oktober
Skorpion |
Weinlese/Weinherstellung | 10v | 10v | 11r–v | Taf. 10 | Segm. 10 | |||
Pflügen | 6v, 51v | ||||||||
Aussaat | S. 8 | "," | Segm. 10 | ||||||
November
Schütze |
Schweinemast | 11r | 12r–v | Taf. 11 | Segm. 11 | 7r, 56v | Segm. 11 | ||
Dreschen | 11v | " | |||||||
Flachsverarbeitung | " | ||||||||
Dezember
Steinbock |
Schlachten | 12v | 11v | 13r–v | Taf. 12 | 7v, 61v | |||
Christi Geburt | Segm. 12 | ||||||||
Brotbacken | Segm. 12 |
keine.
- Nr. 11. Astronomie/Astrologie
- Nr. 43. Gebetbücher
- Nr. 49a. Hausbücher
- Nr. 80. Losbücher
- Nr. 87. Medizin