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20. Anton von Pforr, ›Buch der Beispiele der alten Weisen‹

Bearbeitet von Ulrike Bodemann

KdiH-Band 2

Die Übersetzung des lateinischen ›Directorium vitae humanae‹ als ›Buch der Beispiele der alten Weisen‹ ins Deutsche ist, soweit bekannt, das einzige literarische Werk des Geistlichen Anton von Pforr († 1483). Er verfaßte es vermutlich an seiner letzten Wirkungsstätte als Kirchherr in Rottenburg. Hier residierte die verwitwete Erzherzogin Mechthild von Österreich, für die Anton von Pforr in Rechtsfragen und diplomatischen Diensten tätig war. Mechthilds Sohn Eberhard, Graf (seit 1495 Herzog) von Württemberg gilt als Initiator der Übersetzung; eine Widmung Antons an Eberhard verbirgt sich in Initialenfolgen im ersten Drittel des Werks, die akrostichisch die Namen EBERHART GRAF Z WIRTENBERG mit dessen Motto ATTEMPTO und ANTHONYVS V PFORE bilden.

Antons Vorlage, das lateinische ›Directorium‹, war 1263–78 von Johannes von Capua nach hebräischer Fassung übersetzt worden und geht über arabische und etliche weitere Überlieferungsstufen zurück auf das wohl im 2. oder 3. Jahrhundert nach Christus in Indien als Fürstenspiegel verfaßte ›Pañcatantra‹. Dessen ursprüngliche Gestalt erfuhr auf seinem textgeschichtlichen Weg bis zu Johannes von Capua und Anton von Pforr einige Änderungen. Unangetastet blieb der erzählerische Gesamtrahmen, in den als Exempel formulierte Lehren eingefügt sind: Ein Inderkönig (in der deutschen Fassung Dißles) stellt seinem weisen Ratgeber (Sendebar) Fragen, die dieser durch das Erzählen passender Lehrgeschichten, darunter etlicher Tierfabeln, beantwortet. Die ursprüngliche Aufteilung in fünf Bücher, jedes mit eigenem Thema und eigener Rahmenerzählung, aus der sich die Anlässe zu den von einem Gesprächspartner erfragten, von dem anderen mitgeteilten, häufig nochmals ineinander verschachtelten Binnenerzählungen ergeben, ist im späten Mittelalter jedoch durch eine Folge von 17 Kapiteln abgelöst. Als Einleitung fungiert darüber hinaus nicht mehr die Schilderung der Wahl eines Erziehers für drei indische Königssöhne, sondern ein biographischer Einleitungsbericht über Borzōē (authentischer Leibarzt des Perserkönigs Ḫosrou I. Anošarwān, in der deutschen Fassung Berosias) und seiner Sendung nach Indien, wo er auf ein Weisheitsbuch stößt, dessen Lehren er im folgenden mitteilt.

Das lateinische ›Directorium‹ besitzt nur eine schmale Handschriftenüberlieferung, und bekannt ist weder die Originalhandschrift des Johannes von Capua noch diejenige Handschrift, die Anton von Pforr als Übersetzungsvorlage diente. Auch ist – im Gegensatz zu den arabisch-syrisch-persischen Versionen – keine illustrierte Handschrift erhalten. Es finden sich allerdings mehrfach Hinweise auf Vorgängerhandschriften mit Illustrationen. In den Codices London, British Library, Add. 11 437 (62ra–109ra: Finitus anno domini Millesimo Quadringentesimo Septuagesimo feria sexta post festum sancte luce ewangeliste Per me fratrem Wolfgangum hönigtaler dyaconum professium in Monasterio Sancti Pauli vallis lauentini) und München, Bayerische Staatsbibliothek, Clm 14 120 (25ra–104vb: Explicit kelyla etc Anno etc xliiijo) ist der Text mit weitgehend übereinstimmenden Bildtiteln durchsetzt; eine dritte Handschrift (Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, 69.6.a Aug.2o, 13r–89v) hat an den entsprechenden Stellen Freiräume mit von späterer Hand nachgetragenen Bildtiteln im Prolog und Kapitel I. Die fast wörtliche Identität der Rubriken in der Londoner und Münchner Handschrift sind als Indiz dafür zu werten, daß nicht die jeweils unmittelbaren Vorgängerausgaben Illustrationen enthielten, die der Londoner und der Münchner Schreiber durch Beschreibungen ersetzt hätten, sondern daß diese Beschreibungen schon Teil der Textfassung des ›Directorium‹ waren, wie sie beiden bzw. möglicherweise allen Kopisten vorlag. Dieser Befund – Bildrubriken als Teil der Textüberlieferung – deckt sich mit einer Beobachtung H. L. D. Wards (Catalogue of Romances in the Department of manuscripts in the British Museum. Vol. II. [London] 1893, S. 161f.), wonach ähnliche, zum Teil übereinstimmende Bildtitel auch in der hebräischen Vorlage des ›Directorium‹ schon vorhanden sind. Das aus den Bildtiteln rekonstruierbare Bildprogramm der lateinischen Handschriften deckt sich teilweise mit dem in den deutschen Handschriften realisierten, so daß man eine mittelbare Kenntnis der lateinischen Bildvorstellungen in der deutschen Überlieferung vermuten darf.

Die gezeichneten und gedruckten Bildzyklen des 15. Jahrhunderts zum ›Buch der Beispiele der alten Weisen‹ erwecken den Eindruck großer Homogenität. Einem einleitenden Titelbild (Berosias überreicht Anastres Taßri sein Buch) folgt eine Bilderfolge, deren Umfang zwischen 124 (Cod.Pal.germ. 84) und 151 (Cod.Pal.germ. 466) Illustrationen schwankt. Die Bilder sind, einem verbindlichen Schema entsprechend, alle an gleicher Position, jeweils nach der zugehörigen Textstelle, eingefügt. Das Normalformat ist halbseitig, nur die Handschrift aus Chantilly und der Druck Lienhart Holls wählen gemäß gehobener Ausstattungsansprüche des Auftraggebers bzw. des Druckers ein ganzseitiges Format. Auch die Bildthemenwahl ist in allen Handschriften – abgesehen von »Plus-« und »Minusbildern« – sehr einheitlich. Illustriert werden sowohl die Rahmenerzählungen der 17 Kapitel als auch die eingeschalteten Binnenerzählungen. Dabei liegen vor allem in den Kapiteln XIII (Von dem Löwen und dem Fuchs [Fuchs als aufrichtiger Ratgeber]), XIV (Von dem Goldschmied, dem Affen, der Natter und der Schlange [Dankbare Tiere]) und XV (Von des Königs Sohne und seinen Gefährten) geschlossene und dichte Bildsequenzen vor. Dagegen ergeben sich insbesondere in den Kapiteln II (Von dem Löwen und dem Ochsen), III (Vom Gerichtsverfahren gegen Dimna), V (Von den Raben und den Aaren) und XVI (Drei Vögel) durch den ständigen Wechsel der Erzählebenen vielfache thematische Brechungen in der Bilderabfolge. Zur Vorrede und zum Kapitel I (Von Berozias) gibt es nur wenige Einzelillustrationen eingeschalteter Exempel. Der Modus der Illustration richtet sich nach dem Erzähltyp: Handelt es sich um eine linear auf einen Handlungshöhepunkt zustrebende Erzählung (z. B. in der Vorrede: Der betrogene Weizendieb), so wird dieser Höhepunkt in eine bewegte Aktionsszene umgesetzt; ist der Erzählverlauf eher dialogisch-diskursiv (z. B. Kapitel II: Löwe und Kamel), so tritt an die Stelle einer einzigen Darstellung eine mehrere Bilder umfassende Sequenz, in der Protagonisten und Gesprächspartner in unterschiedlichen Konstellationen gezeigt werden.

Ausschlaggebend für eine ikonographische Gruppenbildung in der Bildüberlieferung sind Details sowohl in der Bildwahl als auch in der Ausführung der Bilder. Zu den die Gruppen unterscheidenden Merkmalen zählt beispielsweise auch die Charakterisierung der Tiere Kalila und Dimna in Kapitel II und III, deren Geschichte in den arabischen Versionen als Titelzyklus fungiert. Ihre zoologische Gattung – in der Urfassung sind es Schakale – ist im deutschen Text mit keinem Wort spezifiziert, es bleibt den Illustratoren überlassen, diese zu erfinden. Aufgrund dieser und anderer Merkmale gliedert sich die deutsche Bildüberlieferung folgendermaßen: Dem lateinischen Bildprogramm am nächsten steht der Bildzyklus der undatierten Heidelberger Handschrift Cod.Pal.germ. 466 (um 1471–77, Nr. 20.0.4.). Er zeigt Spuren der Verwandtschaft zu einem zweiten Zyklus, der in den Holzschnitten des ältesten Drucks (Urach: Konrad Fyner 1480/81; Nr. 20.0.a.) vorliegt. Diese Verwandtschaft ist jedoch sicher nicht durch eine gemeinsame Bildvorlage vermittelt, denn in der Ausführung sind beide Zyklen ganz individuell. Bindeglied sind vermutlich vielmehr Bildtitel ähnlich denen der lateinischen ›Directorium‹-Handschriften. In Gestalt von Themenvorgaben, nicht jedoch als konkrete Malanweisung verwendbar, sind sie auch in der deutschen Überlieferung, ganz besonders zahlreich gerade im Cod.Pal.germ. 466 beibehalten. Der Druck Fyners hat solche Bildtitel nicht, sie könnten aber noch Bestandteil seiner Vorlage gewesen sein. Ein dritter Bildzyklus ist mit unterschiedlich weitgehender Übereinstimmung in der Zeichentechnik, im Bildformat, in Bildaufbau und Charakterisierung der Akteure in den Handschriften Chantilly, Ms. 680, Heidelberg, Cod.Pal.germ. 84 und 85 sowie im Druck Ulm: Lienhart Holl 1483 erhalten (Nr. 20.0.1., Nr. 20.0.2., Nr. 20.0.3., 20.0.c.). Prototyp dieser Überlieferungsgruppe, wohl auch (Leit-)Vorlage der übrigen Gruppenhandschriften ist die künstlerisch besonders herausragende Handschrift aus Chantilly: Niederländischer Einfluß, eine Affinität insbesondere zu den Tafelbildern von Dieric Bouts charakterisieren ihre in Halbgrisaille ausgeführten Federzeichnungen. In die Umgebung der Chantilly-Handschrift gehört auch ein in deutschem Privatbesitz befindlicher Kodex (Nr. 20.0.5.), dessen Illustrationen nicht ausgeführt sind (in viele der Bildfreiräume wurden später Holzschnitte aus ›Buch der Beispiele‹-Drucken eingeklebt). Der Codex enthält Bildtitel, die vielfach wörtlich übereinstimmen mit denen in der Handschrift aus Chantilly. Um späte Druckabschriften handelt es sich sowohl beim Codex Strasbourg, Ms. 1996 (Nr. 20.0.6.), der die Bildfreiräume seiner Druckvorlage – wenn auch nicht konsequent – übernimmt, ohne allerdings vorgesehene Illustrationen auszuführen, sowie bei der einzig bekannten nicht zur Illustrierung vorgesehenen Handschrift Wolfenbüttel, Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 71.13.Aug.2o (Anfang 16. Jahrhundert, wohl nach dem Druck Lienhart Holls). Alle Drucke des ›Buchs der Beispiele der alten Weisen‹ bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts fußen in ihrer Holzschnittausstattung auf einem der beiden Frühdrucke (Urach: Fyner, Nr. 20.0.a.; Ulm: Holl, Nr. 20.0.c.); erst 1565 entsteht in der Frankfurter Werkstatt des Virgil Solis eine mit der Motivtradition des Spätmittelalters brechende Bilderfolge (Druck: Frankfurt a. M., Sigmund Feyerabend/Simon Hüter 1565: Peter Schmidt).

Editionen:

Das Buch der Beispiele der alten Weisen nach Handschriften und Drucken hrsg. von Dr. Wilhelm Ludwig Holland. Stuttgart 1860 (StLV 56), Reprint Amsterdam 1969 [nach dem Druck von Fyner, Urach 1480, mit Varianten der drei Heidelberger Handschriften]. – Anton von Pforr, Das Buch der Beispiele der alten Weisen. Hrsg. von Friedmar Geissler. 2 Bde. [nach der Handschrift Straßburg Ms. 1966 mit krit. Apparat]. Berlin 1964 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Institut für Orientforschung. Veröff. Nr. 61) und 1974.

Literatur zu den Illustrationen:

Lilli Fischel: Bilderfolgen im frühen Buchdruck. Studien zur Inkunabel-Illustration in Ulm und Straßburg. Konstanz-Stuttgart 1963, S. 65–91. – Friedmar Geissler: Handschriften und Drucke des Directorium vitae humanae und des Buches der Beispiele. Mitteilungen des Institutes für Orientforschung 9 (1963), S. 433–461. – Friedmar Geissler: Die Drucke des Buches der Beispiele der alten Weisen [Copinger 1360, Hain 4028–4033 und spätere Drucke]. Beiträge zur Inkunabelkunde 3,3 (1967), S. 18–46. – Regina Cermann: Der Bidpai Ms. 680 in Chantilly. Mag.arbeit (masch.) Berlin 1991.

Siehe auch:

Anmerkung: Bei der Bilderhandschrift, die Diebold Lauber in einer Bücheranzeige (vgl. Kautzsch [1895] S. 111) als das byspil buch genant der welt louff gemalt nennt, kann es sich entgegen vielfach geäußerten Vermutungen nicht um Anton von Pforrs ›Buch der Beispiele der alten Weisen‹ gehandelt haben, kaum auch um eine ältere Übersetzung des ›Directorium‹, sondern eher um Boners ›Edelstein‹.

Anmerkung: Die späteren Drucke des 16. Jahrhunderts sind mit Holzschnitten aus der Werkstatt des Virgil Solis ausgestattet: Frankfurt a. M.: Sigmund Feyerabendt – Simon Hüter, 1565: Peter Schmidt; Frankfurt a. M.: Nikolaus Bassée 1578; Frankfurt a. M.: Nikolaus Bassée 1583; Frankfurt a. M.: Nikolaus Bassée 1592.