KdiH

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73.14.1. Boston (Massachusetts), Public Library, Ms. 1556 (olim Ms. Med. 133)

Bearbeitet von Kristina Domanski

KdiH-Band 8

Datierung:

Um 1460.

Lokalisierung:

Schwaben.

Besitzgeschichte:

Exlibris der Sammlung Jacob P. R. Lyell, 1952 von der Public Library in Boston erworben.

Inhalt:
1. 1r–103v Passionstraktat ›Als unser Behalter‹
2. 104r–109v Von den figuren der vier Ewangelisten
Bislang nicht identifiziert, beginnt: [G]Etrewer lieber Jo[hanne]s
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, 109 Blätter (moderne Foliierung rechts oben mit Bleistift), 304 × 212 mm, Bastarda, eine Hand, 109v: Johannes Braxatoris de Elwwang, zweispaltig, 38–40 Zeilen, A-Initialen: 1r fünfzeilig, 11ra sechszeilig, in grüner und roter Deckfarbe, drei- bis fünfzeilige Initialen in Rot und Grün zu Beginn der Abschnitte, Überschriften und Namen der zitierten Autoritäten und Quellen in Rot, Rubrizierung.

Schreibsprache:

schwäbisch.

II. Bildausstattung:

304 kolorierte Deckfarbenillustrationen, auf nahezu jeder Seite, bis zu drei Illustrationen auf einer Seite. Ein Maler (?).

Format und Anordnung:

Ungerahmte Illustrationen grundsätzlich in Spaltenbreite, in der Höhe zehn bis elf Zeilen, einige der figürlichen Szenen bieten Ausnahmen (86r: Kreuzigung ganzseitig).

Einige der Leidensstationen reichen über beide Spalten oder über den Schriftspiegel hinaus, teilweise bis zu den Seitenrändern: Kreuztragung (79v), Kreuzannagelung (83r), Verspottung am Kreuz (83v), Kreuzigung (86r), die Illustration zur Auferstehung halbseitig (103v), die Ezechielvision (104ra) nimmt die gesamte Höhe der Spalte ein. Die Darstellungen der zitierten Autoritäten jeweils in unmittelbarer Nähe der Erwähnung ihres Namens, die figürlichen Szenen in die Nähe der jeweiligen Textstelle platziert. Diese Gliederung des Textes unterscheidet sich optisch von der Parallelüberlieferung, bei der die Autoritäten auch im Schriftbild nicht gesondert hervorgehoben werden.

Bildaufbau und -ausführung:

Schlichter Aufbau und einfache Ausführung, die dennoch auf die Verwendung kostspieliger Materialien wie Metallfarben nicht verzichten. Die Szenen und Figuren auf einem Landschaftsterrain platziert, ohne weitere Angaben zum Handlungsort. Nur selten bieten die Szenen Einblick in Guckkastenräume, die von gotischen Bögen gerahmt werden. Die Figuren schematisch mit verkürzten Gliedmaßen, einfachem geraden Faltenwurf der Gewänder. Die Federzeichnungen weisen eine einfache, gerade Strichführung mit vielen Korrekturen und eine hastige, vielfach über die Konturlinien hinauslaufende Kolorierung auf, die kaum für eine professionelle Buchmalerei-Werkstatt sprechen, sondern eher an eine Schreibstube denken lassen. Demgegenüber lassen der außerordentliche Umfang des Bildprogramms und das klare durchgängige Ausstattungskonzept auf eine qualitätvolle, durchdachte Vorlage schließen.

Bildthemen:

Die Illustrationen setzen vor allem die zitierten Autoritäten ins Bild, nur bei 51 der 304 Bilder handelt es sich um szenische Darstellungen, die bis auf die Ezechielvision (104ra) und die drei Cherubim (10va+b) sämtlich Ereignisse aus dem Leben Jesu zeigen.

Szenen aus dem Leben Jesu: 3rb Auferweckung des Lazarus, 3vb Die Juden wollen Jesus steinigen, 10ra–b Heilung von Lahmen, 17ra Salbung durch Maria Magdalena, 20vb Einzug nach Jerusalem, 21vb Jesus vertreibt die Händler aus dem Tempel, 22ra Christus und die Ehebrecherin, 22va Die Knechte des Herodes fragen Jesus nach der Zinspflicht, 24ra Jesus belehrt seine Mutter, beide sitzen auf einer Sitzbank, 25rb Judas erhält die 30 Silberlinge, 26vb Abendmahl, 28vb Fußwaschung, 28ra Jesus reicht den Jüngern den Kelch, 37ra–b Jesus erhebt sich vom Abendessen und verabschiedet sich von seinen Jüngern, 39va, 41vb Christus im Garten Gethsemane, 45vb Christus im Garten Gethsemane liegt mit ausgebreiteten Armen am Boden, 49ra Die Soldaten fallen vor Christus zu Boden, 50rb Judaskuss, 52ra Gefangennahme, 53vb Christus vor Annas, 55ra Verleugnung Petri, 57rb Christus vor Kaiphas, 60ra Christus vor dem Bischof (Kaiphas), 61va Kaiphas zerreißt sein Gewand, 62rb Verspottung Christi, 64rb Judas erstattet die Silberpfennige und sein Selbstmord, 66rb Christus vor Pilatus, 68ra Christus im Verhör vor Pilatus, 69rb Pilatus spricht mit den Juden, 69vb Christus vor Herodes, 71ra Pilatus spricht mit den Juden, 72rb Geißelung, 73ra Dornenkrönung, 73vb Ecce Homo, 74vb Verspottung, 76va Pilatus schickt nach seiner Frau, 78ra Pilatus wäscht seine Hände, 79va–b Kreuztragung mit den beiden entkleideten Schächern, 81vb Christus in der Rast, 83ra Entkleidung Christi, 83ra–b Kreuzannagelung, 83va–b Verspottung am Kreuz, 86ra–b Kreuzigung als Kalvarienberg, 88rb Augustinus erblickt Jesus als Kind, 95ra Christus in der Vorhölle, 101va Kreuzabnahme, 101vb Beweinung, 102ra Grablegung, 103va–b Auferstehung.

Bei den Autoritäten handelt es sich überwiegend um Kirchenlehrer bzw. christliche Autoren (163), Evangelisten (51), Propheten und Könige des Alten Testaments (33), Personen des Neuen Testaments sind nur mit Paulus (12ra, 39ra, 41rb), Jacobus (93ra) und Simeon (12va, 99vb) vertreten.

Die Evangelisten werden entweder in ihrer Funktion als Autoren, zuweilen in Begleitung ihrer Symboltiere (Matthäus: 6ra, 23ra; Markus: 67rb, mit Löwe 50rb; Lukas: 5rb, 9rb; Johannes: 2rb, 22ra, 24vb, 37va, mit Adler: 3va, 16ra, 49va, 56va, 99ra), als Symbole (Engel für Matthäus: 2ra, 8rb, 12vb, 44va, 85va; Löwe für Markus: 22vb, 52rb, 77rb; Stier für Lukas: 2ra, 4ra, 5va, 16rb, 44rb, 70vb; Adler für Johannes: 1va, 6va, 14va, 30ra, 48ra, 75rb, 77va, 99rb) oder auch als Mischwesen, d. h. mit menschlichem Körper und Tierkopf (Lukas-Stier: 4vb, 12ra; Johannes-Adler: 2vb, 12ra, 17ra, 30vb, 100ra), dargestellt, alle vier Evangelistensymbole in Medaillons: 35ra, 59ra.

Unter den Propheten des Alten Testaments sind Jesaja (11ra, 12rb, 13vb, 24ra, 43va, 75ra, 78ra, 89vb) und Jeremias (11vb, 12va, 13rb, 23vb, 43vb, 65vb, 72va, 102rb) gegenüber König David (11rb, 15va, 93va, 101vb), Salomon (46vb, 82va) und Moses (4rb) sowie den übrigen Propheten Hiob (2va), Daniel (13rb mit Schriftband, 48vb), Josua (28va), Ezechiel (35va, 35vb) und Zacharias (99va) deutlich häufiger vertreten.

Unter den christlichen Exegeten werden erwartungsgemäß die Kirchenlehrer Augustinus (16vb, 17va, 26ra, 29ra, 30va, 32va, 38rb, 40ra, 42va, 46va, 49vb, 51ra, 54vb, 56rb, 57va, 58vb, 62va, 66vb, 67va, 68vb, 70rb, 74ra, 75rb, 75vb, 76va, 90rb, 90vb), Hieronymus (26ra, 42rb, 47vb, 49ra, 59rb, 59vb, 65va, 67ra, 71vb, 81rb, 84va, 87rb; mit Löwe: 8ra, 34vb, 35vb, 47ra, 50ra, 55va, 58rb, 61vb, 66va, 88vb, 92vb, 96rb) und Johannes Chrysostomos (als Eremit: 10ra, 34rb, 60vb, 66rb, 87ra; als Bischof: 35va, 41va, 48va, 51vb, 54va, 56vb, 62ra, 62vb, 63vb, 69ra, 70rb, 71va, 72va, 73vb, 76ra, 77ra, 78rb, 89rb, 96rb) mit Abstand am häufigsten zitiert und dargestellt. Ihnen folgen Ambrosius (5rb, 9rb, 36rb, 37rb, 54va, 58rb, 61rb, 69ra, 84vb, 89ra, 91rb, 100ra), Papst Gregor (6vb, 29va, 39vb, 48vb, 53vb, 55va, 61ra, 74vb, 79va, 80vb, 84ra, 90va), Theophilus von Antiochia (33va, 37vb, 39rb, 41rb, 41vb, 46ra, 48rb, 57vb, 80va, 88ra), Beda Venerabilis (30va, 34va, 39vb, 40rb, 54rb, 60ra, 71rb, 80ra, 101rb) und der hl. Bernhard (6rb, 22rb, 30rb, 41ra, 63rb, 73rb, 75va, 81ra). Eine Vielzahl von unterschiedlichen Autoren wird nur einfach zitiert und dargestellt: Cyrillus (34rb), Hilarius (40vb), Fulgentius (44vb), Johannes Damascenus (46va), Bartholomäus [Anglicus] (64va), Jordanus (65rb), Alchidimus (68ra), Josephus (70va), Nikolaus von Lyra (82rb), Bonaventura (83va), Albertus (85ra), Papst Leo (89va), Alexander (90ra), Thomas von Aquin (90vb), Propositinus (97rb). Außer einigen wenigen frühchristlichen Autoren, nämlich Nicodemus (68vb, 96vb), Hegesippus (65rb, 85vb) und Origenes (39ra, 47va, 57ra, 79ra, 83vb) finden einige mittelalterliche Schriftsteller mehrfach Erwähnung: Rabanus [Maurus] (42ra, 54rb, 76va, 100vb, 103ra), Remigius [von Auxerre] (52rb, 87va, 102vb), Hugo [von St. Victor] (50vb, 93ra), Anselm [von Canterbury] (52vb, 55vb, 64vb). Ob der Umstand, dass es sich bei den letztgenannten bis auf Hugo sämtlich um Benediktinermönche handelt, einen Hinweis auf die Herkunft des Kompilators bietet, kann an dieser Stelle nicht entschieden werden. Das Bestreben, jeweils die Autoren der zitierten Evangelien und ihre Exegesen zu visualisieren, schlägt sich in einigen Illustrationen durch die Darstellung mehrerer Propheten, Evangelisten und Exegeten nieder: Jesaja, Jeremias, Daniel, Zacharias (51va), David und Jesaja (60rb), Amos, Origenes, Bernhard und Guilhelmus [Wilhelm von Ockham] (82vb), Beda und Augustinus (42va), Hieronymus, Beda, Papst Gregor (52va), Hieronymus und Chrysostomos (64rb), Beda und Chrysostomos (74va), Ambrosius, Beda, Rabanus (97ra).

Bemerkenswert bleibt angesichts der Schlichtheit der Ausführung wiederum die ikonografische Präzision bei der Darstellung der Kirchenlehrer: Hieronymus als Kardinal, häufig in Begleitung des von ihm geheilten Löwen, Johannes Chrysostomos als Eremit mit härenem Gewand und/oder mit Bischofsmitra, der heilige Bernhard in Mönchskutte.

Unter den szenischen Darstellungen zum Leben Jesu fällt zunächst auf, dass im Anschluss an eine ikonografisch konventionelle Illustration zum Abendmahl (26vb) auch die Kelchkommunion (28ra) dargestellt wird. Da der Laienkelch in der liturgischen Praxis seit dem Konstanzer Konzil untersagt war, scheint ein kirchenreformerischer Hintergrund möglich (vgl. auch die entsprechende Illustration in der Handschrift der ›Passionshistorie‹ des Johannes von Zazenhausen [Nr. 73.13.3.]). Bemerkenswert ist ebenfalls die Vielzahl der Szenen zu den im Evangelium des Nicodemus geschilderten Verhören des Pilatus. Neben diesen Besonderheiten bei der Auswahl der erzählerischen Szenen wird nachdrücklich das Anliegen deutlich, die Urheber der zitierten Evangelien und ihrer Exegese jeweils zu visualisieren und damit deren Autorität zu unterstreichen.

Farben:

Rot, Grün, Gelb, Ocker, verschiedene Brauntöne.

Literatur:

Munsterberg (1953) S. 153–158. – Art of writing (1930) S. 206f., Nr. 116; Faye/Bond (1962) S. 215, Nr. 133.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 56: 22r. Der Evangelist Johannes, Christus und die Ehebrecherin, der heilige Bernhard.

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Abb. 56.