67.5. Dirc van Delft,
›Tafel van den kersten ghelove‹ (moselfränkische Bearbeitung)
Bearbeitet von Christine Stöllinger-Löser
KdiH-Band 7
Der Autor der niederländischen ›Tafel van den kersten ghelove‹ wurde um 1365 geboren; späteste Lebensspur ist das Dedikationsexemplar dieses Werkes aus dem Jahr 1404 (Baltimore, The Walters Art Museum, Ms. W.171), gerichtet an den Auftraggeber Herzog Albrecht von Bayern, Graf von Holland und Seeland (1336–1404).
Zu Person und Werk Dircs vgl.
Dirc trat als Novize in das Dominikanerkloster Utrecht ein und studierte wahrscheinlich in Paris, danach in Erfurt (1396) und Köln (1397). Er war Hofkaplan in Den Haag bei dem genannten Herzog Albrecht. 1399 wurde er Vikar aller Klöster der dominikanischen Ordensprovinz Flandern und als solcher mit der Klosterreform beauftragt. 1403 wurde ein M. Theodericus de Delf ord. Pred. in die theologische Fakultät in Köln aufgenommen, bei dem es sich um den Autor handeln dürfte.
Die ›Tafel van den kersten ghelove‹, eine enzyklopädische Lehrschrift zur christlichen Heilslehre und Weltsicht für gebildete Laien und speziell für seinen fürstlichen Auftraggeber verfasst, ist in insgesamt 27 Handschriften und Fragmenten sowie einem Inkunabeldruck überliefert (vgl.
Im deutschen Sprachraum existiert eine moselfränkische Bearbeitung, die wohl in der Trierer Gegend entstanden ist; erhalten ist jedoch lediglich der Sommerteil. Die deutsche Version behielt den ursprünglichen Titel bei (dye tafel vain dem kristen gelaufe und leven, Darmstadt, Hs 2667 [Nr. 67.5.2.], 1r), veränderte jedoch den Textbestand erheblich, teilweise auch die Abfolge und die Zählung der Kapitel: Die neun Anfangskapitel (mit dem Hauptthema der Passion Christi) sind ganz weggelassen, andererseits wurde das Werk um 20 einzeln dazwischen geschobene Kapitel erweitert, sodass es nun neben einem Prolog, der aus dem Prolog des niederländischen Winterteils umgearbeitet wurde, 64 Kapitel umfasst. Die Zusätze verstärken zum einen die katechetische Didaxe (z. B. durch Belehrungen über die Heiligenverehrung, über Gnade, Ablass und Sündenvergebung usw.), teils sind sie meditativ-mystischen Inhalts, wie die Auszüge aus Heinrich Seuses ›Horologium‹ und aus Gerards van Vliederhoven ›Cordiale de quatuor novissimis‹, auch ein Dialog zwischen Seele und Leib (eine freie Bearbeitung der ›Visio Philiberti‹; vgl.
Diese deutsche Sommerteil-Kompilation ist in zwei Handschriften erhalten, die textlich nahe miteinander verwandt sind. Die 64 Kapitel sind in Darmstadt, Landesbibliothek, Hs 2667 (Nr. 67.5.2.) auf fünf Traktate verteilt, in Berleburg, Schlossbibliothek, Ms. RT 2/2 (Nr. 67.5.1.) dagegen auf vier (die Kapitel von Traktat IV und V sind hier zusammengefasst). Traktat I behandelt, beginnend mit Jesu Auferstehung, die Glaubensthemen entsprechend den liturgischen Zeiten von Ostern bis Advent; Traktat II die Kirche mit ihren Geboten, den Werken der Barmherzigkeit und den Sakramenten; Traktat III den inneren Menschen, Gewissen, Sterbelehre, die ›Geistliche Minnejagd‹; Traktat IV umfasst weltliche Lehren für Fürsten und gemeine Leute (Ständeordnung; Land- und Lehenrecht; Schachallegorie; über Kaiser Konstantin und die Kirche sowie der Disput zwischen Papst Sylvester und den Juden); Traktat V thematisiert nach einem Zusatzkapitel mit dem Brief des Rabbi Samuel die letzten Dinge (Antichrist/Weltende, Jüngstes Gericht, Hölle, Fegefeuer und Himmel). Vgl. die detaillierten Angaben zur Darmstädter Handschrift bei
Beide Handschriften dürften im Umkreis der lothringischen Herren von Rodemachern (heute Rodemack in Lothringen) entstanden oder in Auftrag gegeben und vielleicht in Trier angefertigt worden sein (
Die beiden deutschen Textzeugen sind zu Beginn der einzelnen Kapitel mit historisierten Initialen ausgestattet, die sich jeweils auf deren Inhalt beziehen und dem Text oft auch in speziellen Einzelheiten folgen. Diese Form der Illustrierung durch prächtige Initialen mit Figurenszenen im Binnenraum (sämtliche des Buchstabens D) findet sich bereits in den frühen niederländischen Handschriften des Werkes. Ein Vergleich mit dem wesentlich feiner und kostbarer gestalteten MS M.691 der Morgan Library in New York (ca. 1405–10) ergibt weitgehende Parallelen auch des Bildprogramms nach Bestand, Inhalt und Reihenfolge, soweit angesichts der starken Veränderungen des Textes entsprechende Bilder vorhanden sind (die New Yorker Handschrift enthält nur 24 Kapitel des Sommerteils; vgl.
Die Bildthemen der beiden nahe verwandten deutschen Handschriften sind in der Ausführung oft ähnlich, trotzdem sind die Darstellungen im Detail voneinander unabhängig. In einigen Fällen wird zum selben Thema sogar eine gänzlich andere inhaltliche Darstellung gewählt; vgl. bes. die Bilder zu den Kapiteln 17, 29, 40, 41, 47, 48 und 58. Häufig werden Lehrsituationen evoziert (zwischen Christus und einem Menschen, Lehrer und Schüler, Prediger und Zuhörer, Beichtvater und reuigem Sünder, Philosophen oder Rechtsgelehrten und Kaiser bzw. König); gelegentlich tauchen erklärende Spruchbänder auf.
Die Protagonisten der Bilder sind, dem Inhalt der verschiedenen Teile entsprechend, zum einen biblische Gestalten (vor allem Christus, Maria, die Apostel und weitere Heilige, Engel und Teufel), zum anderen kirchliche Personen in ihren Ämtern und Funktionen (Papst, Bischof, Priester, Mönch, Prediger, Beichtvater) und gläubige Laien, die in Gebetshaltung, bei der Beichte, bei Ausübung oder Missachtung der Gebote usw. gezeigt werden; in den weltlichen Teilen über Fürstenlehre, Ständeordnung, Gesetzgebung ist es anderes Personal (Kaiser, König, Ratgeber, Diener), darunter konkrete historische oder legendarische Personen (Salomon, Alexander der Große, Hadrian, Trajan, Karl der Große, Konstantin der Große, seine Mutter Helena, die Philosophen Aristoteles, Seneca und Secundus sowie jüdische Gelehrte). Eine Besonderheit der Textzusätze in der deutschen Bearbeitung ist die Darstellung allegorischer Figuren (die Seele als kleines Kind [Kap. 38], als Jägerin mit dem Einhorn [Kap. 42]; personifizierte Tugenden [Kap. 48]); aber auch schon im ursprünglichen Text erscheinen die personifizierten Tugenden und Laster in Kap. 49.
Bildthemen der Handschriften Berleburg (B), Darmstadt (D) und New York (N):
Die Angaben der Kapitelnummern entsprechen der Zählung der Tabula, die in beiden deutschen Handschriften vorangestellt ist (Berleburg, *4r–*7v; Darmstadt, 1v–4v). Diese Tabula zählt die Kapitel von 1–64 durch; die Zählungen in den Texten selbst sind in einigen Fällen durch zusätzliche Unterteilung oder irrtümlich voneinander abweichend. Bei den Kapiteln, die aus der ursprünglichen niederländischen Kompilation Dircs van Delft stammen, wird im Folgenden jeweils auch die betreffende römische Kapitelnummer der niederländischen Ausgabe genannt (mit „=“ und vorangestelltem „D.“ [für
Kapitel | Text-, Bildthema | 67.5.1. Berleburg (B) | 67.5.2. Darmstadt (D) | New York (N) |
Prolog | Auftraggeber und Autor | (*2) | 1r | – |
Kap. 1 = D. X | Auferstehung Jesu | 1r | (vor 5) | – |
Kap. 2 = D. XI | Jesus und seine Mutter Maria | 11v | 11r | – |
Kap. 3 = D. XII | Jesus und Maria Magdalena nach der Auferstehung im Garten | 16r | 14r | – |
Kap. 4 = D. XIII | Auferstandener Jesus und Apostel | 22r | 18r | – |
Kap. 5 = D. XIV | Kirchliche Zeremonien, Prozessionen | 27v | 22r | – |
Kap. 6 | Heiligen- bzw. Reliquienverehrung | (35) | 27r | – |
Kap. ohne Zählung | Über Gnade, Ablass, Sündenvergebung | 43r | 32v | – |
Kap. 7 = D. XV | Himmelfahrt Jesu | 50v | 38r | – |
Kap. 8 = D. XVI | Pfingsten | 62r | 45v | – |
Kap. 9 = D. XVII | Ratsversammlung der Apostel zur Erstellung des ›Symbolum‹ | 80r | 56r | – |
Kap. 10 = D. XVIII | Predigtmission der Apostel | (92) | 64r | – |
Kap. 11 | Marienverehrung | 104r | 71r | – |
Kap. 12 | Johannes Evangelista und Johannes Baptista | (120) | 80r | – |
Kap. 13 | Petrus und Paulus | 134r | 85r | – |
Kap. 14 | Erhebung Maria Magdalenas in den Himmel | (141) | 91r | – |
Kap. 15 | Vier Arten von Heiligen im Himmel | 148v | 95r | – |
Kap. 16 | Gebete zur Ablassgewinnung (Gregormesse) | 155r | 100r | – |
Kap. 17 = D. XIX | Kirche und Prälaten | 168v | 109v | – |
Kap. 18 = D. XX | Lehrer (Prediger) und Studenten | (174) | 113r | – |
Kap. 19 = D. XXI | Prediger und Volkspredigt | 180v | 117v | – |
Kap. 20 = D. XXII | 1. Werk der Barmherzigkeit: Hungrige speisen | 183r | 119r | – |
Kap. 21 = D. XXIII | 2. Werk der Barmherzigkeit: Fremde beherbergen | 186r | 121r | – |
Kap. 22 = D. XXIV | 3. Werk der Barmherzigkeit: Nackte kleiden | 189r | 123r | – |
Kap. 23 = D. XXV | 4. Werk der Barmherzigkeit: Kranke pflegen | (191) | 124v | – |
Kap. 24 = D. XXVI | 5. Werk der Barmherzigkeit: Gefangene trösten | 193v | 126r | – |
Kap. 25 = D. XXVII | 6. Werk der Barmherzigkeit: Tote begraben | 196r | 128r | – |
Kap. 26 = D. XXVIII | Kirchweih und sieben Tagzeiten | 199r | 130r | – |
Kap. 27 = D. XXIX | Stiftung und Weihe von Altären | (207) | 135v | – |
Kap. 28 = D. XXX | Gottesdienst und Tagzeiten | (212) | 139r | – |
Kap. 29 = D. XXXI | Sieben Sakramente / sie fließen aus der Kelter von Christi Blut | 218v | 143r | 5r |
Kap. 30 = D. XXXII | 1. Sakrament: Taufe | 223r | 146r | 12r |
Kap. 31 = D. XXXIII | 2. Sakrament: Firmung | (227) | 149r | 18r |
Kap. 32 = D. XXXIV | 3. Sakrament: Priesterweihe | (231) | 152r | 25r |
Kap. 33 = D. XXXV | 4. Sakrament: Buße/Beichte | 235v | 154v | 30v |
Kap. 34 = D. XXXVI | 5. Sakrament: Eucharistie | (241) | 158r | 38v |
Kap. 35 = D. XXVII | 6. Sakrament: Ehe | (247) | 162r | 47v |
Kap. 36 = D. XXVIII | 7. Sakrament: Krankenölung | 251r | 165v | 55v |
Kap. 37 | Meditation über den Tod (Sterbelehre aus Seuses ›Horologium sapientiae‹, deutsch) | (256) | 169v | – |
Kap. 38 | Gespräch zwischen Seele und Leib (nach der ›Visio Philiberti‹) | (267) | 176v | – |
Kap. 39 | Vision der vier letzten Dinge (aus Gerards van Vliederhoven ›Cordiale de quatuor novissimis‹, deutsch) | (274) | 181v | – |
Kap. 40 = D. XXXIX | Belehrung über Regeln der Beichte | 317v | 209v | 63r |
Kap. 41 = D. XL | Vier besondere Zeiten im Kirchenjahr | 322r | 212v | 70v |
Kap. 42 | Jägerin jagt Einhorn (›Geistliche Minnejagd‹) | (328) | 217v | – |
Kap. 43 = D. XLIV | Eremiten (Exempel aus ›Leben der Altväter‹) | 337v | 224v | 106v |
Kap. 44 | Belehrung durch gelehrten Mann (aus Ps.-Seneca, ›De remediis fortuitorum‹) | 346r | 230v | – |
Kap. 45 = D. XLVIII | Morgengespräch zwischen Christus und einem Sünder | (354) | 236r | 171r |
Kap. 46 | Gespräch zwischen inwendigem Menschen und vernünftiger Seele | (360) | 240v | – |
Kap. 47 = D. XLI | Heidnische Exempelgeschichten über die vier Kardinaltugenden | 369r | 246v | 81r |
Kap. 48 = D. XLII | Bilder heidnischer Tugendlehren (aus ›Fulgentius metaforalis‹) | 374v | 250v | 90r |
Kap. 49 = D. XLIII | Kampf zwischen Tugenden und Lastern | (379) | 254r | 98v |
Kap. 50 = D. XLVII | Salomo und die Königin von Saba | 384v | 257r | 148r |
Kap. 51 | Kaiser Hadrian und Secundus | 391r | 262r | – |
Kap. 52 | Fürstenbelehrung über rechtes Regieren | 400v | 267v | – |
Kap. 53 | Aristoteles belehrt Alexander den Großen (Fürstenlehre aus dem Brief des Ps.-Aristoteles an Alexander) | 417r | 278v | – |
Kap. 54 | Kaiser als Gesetzgeber (›Sachsenspiegel‹, Auszug) | 430v | 287r | – |
Kap. 55 | Papst und Kaiser (›Sachsenspiegel‹-Lehnrecht, Auszug) | (451) | 299v | – |
Kap. 56 | Kaiserwahl, -krönung und Ständeordnung | 473v | 313v | 119r |
Kap. 57 = D. XLVI | Schachspiel | 481v | 319r | 131v |
Kap. 58 = D. ohne Zählung, S. 674–688 | Disput zwischen Papst Sylvester und den Juden / über Kaiser Konstantin | 491r | 326r | 160r |
Kap. 59 | Brief des Rabbi Samuel an Rabbi Isaak | (497) | 331r | – |
Kap. 60 = D. XLXIX | Antichrist und seine Anhänger | 507r | 337r | 180v |
Kap. 61 = D. L | Jüngstes Gericht | 512r | 340v | 189r |
Kap. 62 = D. LI | Peinigung der Verdammten in der Hölle | 519r | 345r | 200v |
Kap. 63 = D. LII | Errettung der Seelen aus dem Fegefeuer | 523v | 348r | 207r |
Kap. 64 = D. LIII | Himmel mit Krönung Mariens | 528v | 351r | 214v |
Niederländischer Text:
Eine Ausgabe des deutschen Textes fehlt. Teileditionen aus der Darmstädter Handschrift: