Ein Sonderfall der typologischen Text-Bild-Kompendien ist das zwischen 1400 und 1420 verfasste ›Defensorium inviolatae virginitatis Mariae‹, da es nur einem einzigen Antitypus gewidmet ist: der jungfräulichen Empfängnis und Geburt Christi. Autor war der Dominikaner Franz von Retz (um 1343–1427), ein Reformer des Dominikanerordens, berühmter Prediger, bis 1424 Theologieprofessor der Wiener Universität, die er auch beim Konzil von Pisa vertrat (Häfele [1918]; Kaeppeli [1970] Bd. 1, S. 397–400). Er beschäftigte sich in mehreren Werken mit mariologischen Fragen (ebd., S. 398f., Nr. 1132–1135; Grubmüller [1980]). Im ›Defensorium‹ ging es um den Nachweis, dass Maria ohne Verlust ihrer Jungfräulichkeit Christus empfangen und geboren habe. Dafür werden sechzig Typen aufgeführt, wenige aus dem Alten Testament, etliche aus Geschichte, Mythologie und Legende, die meisten aus der Natur. Das ›Defensorium‹ folgt anderen typologischen Werken wie ›Biblia pauperum‹, ›Speculum humanae salvationis‹ und ›Concordantiae caritatis‹ (siehe Stoffgruppen 16., 125. und 27a.). Bei der Umdeutung von bisher nur für Christus verwendeten Symbolen, die nun im Sinn einer marianischen Auslegung interpretiert wurden, folgte Franz von Retz Theologen wie Honorius Augustodunensis (1. Hälfte des 12. Jahrhunderts) und Dichtungen wie der ›Goldenen Schmiede‹ des Konrad von Würzburg († 1287). Franz von Retz erweiterte die Reihe marianischer Sinnbilder um viele neue Motive. Als Quellen zog er Ovid, Valerius Maximus, Aelian, Augustinus, den ›Physiologus‹ und Autoren des Mittelalters (Isidor von Sevilla, Albertus Magnus und Bartholomaeus Anglicus) heran. Im Unterschied zu den Autoren älterer typologischer Werke formulierte er die argumentative Beziehung zwischen Präfigurationen und Antitypus nicht aus. Die Beispiele aus Altem Testament, Geschichte, Mythos und Natur (zu den Themen der Darstellungen und ihren Quellen: Zoepfl [1954] Sp. 1212–1217) sollen belegen, dass ein Wunder wie die unverletzte Jungfräulichkeit (inviolata virginitas) möglich war. In den gewöhnlich unter den Bildern eingetragenen Begleitversen erfährt der Leser, dass es angesichts wunderbarer Vorkommnisse in Natur oder Geschichte erst recht Gott möglich gewesen sein musste, die Empfängnis und Geburt seines Sohnes auf diese Weise zu fügen. Die im ›Defensorium‹ entfaltete Argumentation wurde im 15. Jahrhundert vereinzelt auch Tafelbildern zugrunde gelegt (Zoepfl [1954]; Vetter [1968]).
In der Disposition der Bilder stimmen die lateinischen und die lateinisch-deutschen Handschriften überein: Neben Codices, in denen die häufig als Medaillons ausgeführten Darstellungen mit lateinischen oder lateinischen und deutschen Versen eine ganze Seite einnehmen oder zu vieren auf einer Seite versammelt sind (z. B. München, Clm 18077, 1459: Zoepfl [1954] Sp. 1217, Abb. 2), verzichtete man in einigen Handschriften (Nr. 85.6.1.), in Blockbüchern und Wiegendrucken regelmäßig, auf die Medaillonform zugunsten rechteckiger Bildfelder mit zusätzlichen Textfeldern. Von den erhaltenen 14 Handschriften des ›Defensorium‹ waren einige bebildert, andere mindestens für Bebilderung vorgesehen (Lambach, Stiftsbibliothek, Cod. Chart. 328; mit Malanweisungen, aber ohne Aussparungen für Bilder: München, Clm 28885, 1av–1bv und 228v–230r), die beiden in Berlin erhaltenen Einzelblätter (Nr. 85.6.1.) belegen einen weiteren illustrierten Codex, vielleicht auch das nach 151v in den hinteren Spiegel einer deutschen Psalmenübersetzung (Basel, AN IV 6, 1485: siehe Stoffgruppe 104.) eingeklebte Blatt mit der Darstellung eines Blutregens und der Bildunterschrift kan ein regen sich ver bandeln in plvt kan den got der her in men[s]chlicher natvr nit verbandeln fleisch vnd plvt ein jvngfrav rein vnd gvt). Ausnahme ist die aus Regensburg stammende Sammelhandschrift, in der mehrere typologische Traktate zusammen mit dem ›Defensorium‹ überliefert sind (Nr. 85.6.2.). Obwohl eine Blockbuch-Ausgabe (GW 10272) und Inkunabeln des lateinischen Textes (GW 10273, GW 10274, GW 10275) bekannt sind, ist bisher kein illustrierter Frühdruck mit lateinischen und deutschen Versen nachweisbar. Der einzige unvollständige Druck mit deutschen Versen (Nürnberg: Friedrich Creussner, nicht nach 1470: GW 10271) ist unbebildert und folgt wohl einer nicht erhaltenen xylographischen Ausgabe. Aus dieser dürften die meist vierzeiligen Textstellen stammen, die in der Vorlage wahrscheinlich Bildunterschriften waren.