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91. Minnereden

Bearbeitet von Katharina Glanz

KdiH-Band 9

Die meist paargereimten Minnereden sind eine Form der spätmittelalterlichen profanen Dichtung. Ihre Blütezeit liegt im 14. und 15. Jahrhundert. Gattungsgemäß sind die meisten Minneredentexte anonym überliefert. Bisweilen treten aber auch Autorennamen wie Der elende Knabe auf. Minneredentexte umfassen in der Regel nur einige hundert Verse und enthalten zumeist in Ich-Form gehaltene Reflexionen über die Liebe, Erzählungen allegorischer Ereignisse oder Träume. Mit etwa 600 Textzeugen des 14. bis 16. Jahrhunderts ist die Minnerede eine der häufigsten Gattungen der deutschen Literaturgeschichte. Die meisten Textzeugnisse dieser heterogenen Gattung sind handschriftlich überliefert. Allerdings haben sich aus dem 15. und 16. Jahrhundert auch etwa 40 Minneredendrucke erhalten. Für die Minnereden gilt neben der Anonymität der tradierten Texte eine besonders hohe Traditionsverbundenheit der Gattung als charakteristisch, wobei bis in das 16. Jahrhundert hinein eine schmale Drucküberlieferung von einer weitgehend ungebrochenen Handschriftenüberlieferung begleitet wird. Ein Viertel aller handschriftlich überlieferten Minnereden fällt in die Frühdruckzeit, das heißt in die zweite Hälfte des 15. und in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts. Gleichzeitig war – so Klingner (2010, S. 315–319) – schon in der Manuskriptzeit eine größtenteils extrem schmale Überlieferung eines der Markenzeichen der Minnerede.

Trotz der Fülle der erhaltenen Texte sind nur wenige illustrierte Minneredenhandschriften auf uns gekommen. Zu ihnen zählen die hier im KdiH beschriebenen, zwischen 1431 und der Mitte des 16. Jahrhunderts entstandenen sieben Handschriften Berlin, Ms. germ. oct. 186 (Nr. 91.0.1.), Dessau, Hs. Georg. 24.8o (Nr. 91.0.2.), Dresden, Mscr.Dresd.M.67 (Nr. 91.0.3.), Heidelberg, Cod. Pal. germ. 313 (Nr. 91.0.4.) und Cod. Pal. germ. 344 (Nr. 91.0.5.), Stockholm, Vu 82 (Nr. 91.0.6.) sowie Wien, Cod. 2940 (Nr. 91.0.7.). Aufgrund ihrer späten Entstehung wurde die Handschrift Karlsruhe, Cod. St. Georgen 86 (um 1550) mit ihrem umfangreichen Illustrationszyklus zum Text ›Frau Untreue‹ ebenso wenig in den KdiH aufgenommen wie ihre Vorlage, die ebenfalls reich illustrierte Druckausgabe der ›Frau Untreue‹ (Frankfurt a. M.: Christian Egenolff d. Ä., 1535; VD16 U 202); im Vergleich zum Druck gehen die dreißig qualitätvoll kolorierten Federzeichnungen der Karlsruher Handschrift eigene Wege und nehmen stärker auf den Text sowie die in ihm geschilderten Details Bezug. Ebenfalls nicht aufgenommen wurden die beiden illustrierten Minneredendrucke ›Ein lustiger Spruch von der Buhlschaft‹ (Simmern: Hieronymus Rodler, 1534; VD16 L 3299) und ›Das weltliche Klösterlein‹ (Simmern: Hieronymus Rodler, 1534; VD16 W 1897). Beide enthalten jeweils vier die Schlüsselszenen des Textes illustrierende Holzschnitte. Nicht in die Stoffgruppe 91. aufgenommen wurden ferner die im KdiH an anderer Stelle bei den Stoffgruppen 83. Mären bzw. 53. Heldenbücher ausführlich behandelten Handschriften Innsbruck, Cod. FB 32001 (Nr. 83.0.2.) mit ihren wenigen Illustrationen zu den Minnereden ›Der Minne Porten‹ (33v: zwei sich haltende, umkränzte Hände) und ›Minner und Trinker‹ (134va: Trinker mit Glasbecher, Deckelkanne, Geldbeutel, 134vb: Mann mit Schwert) sowie das Ambraser Heldenbuch Wien, Cod. Ser. n. 2663 (Nr. 53.0.4., 83.0.6.) mit zwei Illustrationen zum ›Frauenbuch‹. Der Vollständigkeit halber sei noch die Handschrift Berlin, Ms. germ. fol. 922 mit zwei kleinen Randdekorationen zum Text ›Der Minnekampf‹ (12r: Initiale mit Drache und Eichbaum, 13r: Anker) erwähnt.

Gattungsgemäß handelt es sich bei den illustrierten Minneredenhandschriften um Sammelhandschriften mit überwiegend profanen epischen und kleinepischen Texten, wobei Art und Umfang der bildlichen Ausstattung durchaus variieren. Nur in der Dessauer Handschrift (Nr. 91.0.2.) bildet die Textzusammenstellung insofern eine Ausnahme als es sich hier um ein Konvolut geistlicher Legendendichtung mit nur einem einzigen weltlichen Text, der Minnerede ›Die Beichte einer Frau‹, handelt. Mit 20 erhaltenen Handschriften ist dieser Text eine der am häufigsten überlieferten Minnereden überhaupt. Doch die auf 242v erhaltene Miniatur ist nicht nur das einzige Bild des gesamten Dessauer Codex, sondern auch das einzige zur gesamten Überlieferung dieser Minnerede. Dabei offenbart sich die Brisanz dieses Bildes nicht auf den ersten Blick, sondern erst im Zusammenhang mit dem zugehörigen Text. Denn die Zeichnung stellt nur scheinbar ein gewöhnliches Beichtgespräch dar, wie es im geistlichen Kontext der Handschrift erwartbar wäre. Sie illustriert vielmehr die im Text geschilderte Parodie auf die Beichte, in deren Verlauf es der Frau gelingt, den Priester vom Wert weltlicher Liebe und vom Ehebruch zu überzeugen. An dieser Stelle eröffnen sich viele Fragen: Warum findet eine Minnerede überhaupt Eingang in ein Konvolut von Heiligenlegenden und warum wird gerade der einzige profane Text durch eine derartige Illustration ausgezeichnet? Was ist die Intention des Bildes und wessen Humor artikuliert sich hier?

Der Cod. Pal. germ. 344 (Nr. 91.0.5.) versammelt demgegenüber als Autorhandschrift ausschließlich Texte des elenden Knaben. Diese werden von umfangreichen, abwechslungsreich gestalteten und bisweilen malerisch wirkenden Bildzyklen begleitet, die den Lauf der Handlung illustrieren. Diese Handschrift war Vorbild für die beiden Minneredendrucke Straßburg: Matthias Hupfuff, 1499 (GW 01619) und Straßburg: Matthias Hupfuff, um 1510 (GW 0161910N, VD16 A 2321). Die Frage, inwieweit die Bildausstattung des Heidelberger Codex einen Hinweis auf die Provenienz der Handschrift aus dem Besitz der Margarethe von Savoyen gibt, muss an dieser Stelle unbeantwortet bleiben.

Geografisch ist die Überlieferung der illustrierten Minneredenhandschriften breit gestreut, wobei drei der Codices – Nr. 91.0.1., Nr. 91.0.6. und Nr. 91.0.7. – im niederdeutschen Raum verortet werden können. Diese drei Minneredenhandschriften gehören ihrerseits zu einer größeren niederdeutschen Überlieferungsgruppe von acht noch erhaltenen überwiegend mittelniederdeutschen Sammelhandschriften mit profanen epischen und kleinepischen Texten (neben den genannten sind das Gdańsk, Biblioteka Gdańska Polskiej Akademii Nauk, Ms. 2418, Gotha, Chart. A 985, Hamburg, Cod. 102c in scrin., Stockholm, Vu 73 und Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1203 Helmst.; hinzu gezählt werden können auch die ›Flos vnde Blankeflos‹-Fragmente Berlin, Fragm. 2 und 3, vgl. Stoffgruppe 40.). Interessant ist, dass sich für zahlreiche der hier tradierten Texte und Bildideen Relationen zu weiteren Zeugnissen des niederdeutschen Raumes ergeben, wobei die Herkunft der einzelnen Quellen sowie deren Sprachform zeigt, dass die Texte und die mit ihnen verbundenen Ideen im Gebiet der Hanse weithin bekannt gewesen sein müssen (vgl. dazu Glanz [2019]). Manuskripte wie die Stockholmer Handschrift (Nr. 91.0.6.) belegen eindrucksvoll die weite geografische Streuung niederdeutscher Überlieferung – von Livland über das Gebiet der Weichselmündung, Norddeutschland und Dänemark bis hin nach England. Die im Stockholmer Codex erhaltenen kleinen Zeichnungen grotesker Köpfe finden eine Parallele in den grotesken Köpfen der Gewölbezwickel mehrerer Kirchen Mecklenburg-Vorpommerns, u. a. in Greifswald, St. Nikolai, in Neuenkirchen und Verchen, und es vergleichen sich ebenso die kleinen grotesken Köpfe im Stockholmer Vu 73, 46v.

Heterogenität ist kennzeichnend für die bildliche Ausstattung der Minnereden. Die Darstellungen sind uneinheitlich und in ihrer konkreten Ausführung von Handschrift zu Handschrift verschieden. Das Spektrum reicht von der Textillustration (z. B. Nr. 91.0.2. [Dessau], Nr. 91.0.7. [Wien] oder Nr. 91.0.5. [Cod. Pal. germ. 344]) über nur punktuelle Textbezüge (Nr. 91.0.6. [Stockholm]) bis hin zu Darstellungen ohne jeden Textbezug, die im KdiH nicht aufgeführt werden. Es reicht hinsichtlich Format und Ausführung von der einfach gezeichneten figurierten Initiale bis hin zur ganzseitigen bunt kolorierten Federzeichnung (Nr. 91.0.4. [Cod. Pal. germ. 313]). Es gibt einzelne Bilder, aber auch umfangreiche Illustrationszyklen.

Charakteristisch für die Minneredenillustration generell scheint jedoch eine eher bescheidene Ausstattung der Handschriften sowie die Ausführung der Bilder ausschließlich in Federzeichnung zu sein. Die beiden Heidelberger Codices stammen wohl aus einem höfischen Umfeld. Für alle anderen Handschriften bleiben die Umstände der Entstehung weitgehend unbekannt. Insbesondere für die niederdeutschen Manuskripte wurde wiederholt die Frage nach dem Entstehungs- und Rezipientenhintergrund gestellt und die Zuordnung zu einem stadtbürgerlich-kaufmännischen Publikum versucht. Jüngere Untersuchungen haben aber gezeigt, dass die Befunde in verschiedene Richtungen weisen und dass sowohl städtisch-kaufmännische wie adlige Besitzer und Rezipienten auf einen eher weiten Leserkreis schließen lassen (Cieslik [2019]). Vielleicht kann man, von den Bildern ausgehend, die Frage nach den Rezipienten noch einmal neu stellen. Denn blickt man zusammenfassend auf die gesamte noch erhaltene Bildüberlieferung zur Gattung Minnerede, so erkennt man trotz aller Heterogenität deutliche Tendenzen: eine gehäuft niederdeutsche Überlieferung, eine insgesamt eher weniger anspruchsvolle Ausführung und einen oft derben Bildhumor mit einem gewissen Hang zur Travestie höfischer Ideale und geistiger Lebensformen.

Literatur zu den Illustrationen:

Matter (2006); Peters (2008) S. 227–240; Klingner (2010) S. 225f.