91.0.1. Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. oct. 186
Bearbeitet von Katharina Glanz
KdiH-Band 9
1431.
Livland.
Zur Herkunft ist nichts Näheres bekannt. Eine Datierung auf 20v, scriptum in liuonia per manus iohannis 1431, verweist auf Livland als möglichen Entstehungsort. Im 18. Jahrhundert Teil des umfangreichen Bibliotheksbestands des Literaturhistorikers Rudolf Anton Fabricius (1689–1772). Ob Fabricius den Codex bereits von seinem Vater, dem Theologen Johann Fabricius (1644–1729), übernommen und sich die Handschrift zuvor schon länger im Familienbesitz befunden hatte, ist unklar. 1776 ersteigerte Johann Joachim Eschenburg den Codex anlässlich der Fabrizischen Auktion in Helmstedt. Von ihm ging die Handschrift in den Besitz Karl Hartwig Gregor von Meusebachs über, von diesem an Heinrich Hoffmann von Fallersleben, der sie 1850 an die Königliche Bibliothek in Berlin verkaufte, wie die Einträge im vorderen Spiegel belegen.
1. | 1r–14v |
›Schule der Minne‹
unvollständig
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2. | 15r–20v | ›Streitgespräch zweier Frauen über die Minne‹ |
3. | 21r–25v |
›Frauentreue‹
unvollständig
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4. | 26r–v | Exempel von zwei Rosen |
5. | 27r–42v | ›Die treue Magd‹ |
6. | 43r–66r |
›Des Minners Anklagen‹
unvollständig
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7. | 66v–67v | Liebeslied in Regenbogens Briefweise |
8. | 68r | Märenfragment |
9. | 68v–101v |
›Flos vnde Blankeflos‹
Sigle B, unvollständig
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10. | 102r |
›Schule der Minne‹
unvollständig
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11. | 103r–105v |
›Flos vnde Blankeflos‹
Sigle B, unvollständig
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Papier, 102 + 17 Blätter (Bl. 1 zerrissen, weiterhin zahlreiche Beschädigungen, diese mit weißem Papier bis zur vollen Blattgröße ergänzt; vor den Texten 1, 2, 3, 4 und 8 sowie nach 102v insgesamt 17 später eingebundene, in der Regel leere, nicht foliierte Blätter [1*r–4*v, 5*r–6*v, 7*r–8*v, 9*r–v, 10*r–11*v, 12*r–13*v, 14*r–v, 15*r–17*v], teils mit Erläuterungen von einer Hand des 19. Jahrhunderts), 135 × 100 mm, Bastarda von erster Hand: scriptum [...] per manus iohannis (20v), ab 103r von zweiter Hand, rote Notizen von dritter Hand, einspaltig, 18–22 Zeilen, wenige Überschriften und einige Initialen in Rot, am Anfang neuer Texte mitunter ausgestaltet (1r, 15r, 21r, 68v), ornamentierte Seite (102v) mit braun koloriertem, diagonal von links unten nach rechts oben gehendem quadratischen Muster.
niederdeutsch.
Drei Federzeichnungen (20v, 66r, 67v) sowie Fragment einer kleinen Zeichnung (2r) von vermutlich zwei nicht professionell arbeitenden Händen.
Die Zeichnungen nehmen etwa ein Drittel (66r, 67v) bzw. drei Viertel (20v) des Textspiegels ein. Sie sind ungerahmt und überschneiden den Text bisweilen.
Mit Ausnahme der präzisen und detailreichen Zeichnung auf 67v überwiegend einfache Federzeichnungen ohne tiefenräumliche Perspektive, Hintergrund und Landschaft.
Mit ikonografisch ungewöhnlichen und unterschiedlichen Darstellungen illustriert: Fragment eines Jünglings mit Schriftband (2r), nackter lockiger Jüngling, in den Händen einen Vorhang, der über ihm angebracht ist und links von ihm herabfällt (20v), bärtiger Greis mit Haarkranz in grün-braunrotem Mi-parti-Gewand und nackter Jüngling, beide auf stilisierten Steckenpferden reitend und mit Hacken bewaffnet (66r), sowie Doppelporträt eines Paares mit aufwendiger Kopfbedeckung (67v). Diese möglicherweise von einer zweiten Hand gestaltete Zeichnung – die einzige, die auf ein Lied bezogen ist – unterscheidet sich in Duktus und Detailreichtum sowie im getragenen Ernst der Szenerie deutlich von den drei anderen Illustrationen, auf denen offenbar stets die gleiche Jünglingsgestalt erscheint.
Die Miniatur des Jünglings mit dem Vorhang illustriert den Text der zugehörigen Minnerede (belauschtes Streitgespräch, V. 27–210). Von der Miniatur auf 67v ergeben sich Verbindungen zum Text des Liebesliedes sowie von allen Zeichnungen ganz allgemein Relationen zur Minneproblematik, wobei die Thematik durch die Nacktheit des Voyeurs (20v) bzw. die karikierte Turnierszene (66r) humoristisch gebrochen erscheint. Hierdurch rücken die Zeichnungen in die Nähe anderer Minneredenillustrationen.
Federzeichnungen überwiegend nicht koloriert. Dort, wo Farbe zum Einsatz kommt, ist die Palette auf Grün, Rotbraun, Rot, Schwarz und Braun beschränkt.
Abb. 139: 66r. Greis und Jüngling auf stilisierten Steckenpferden.