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55. Elisabeth von Nassau-Saarbrücken, ›Herpin‹

Bearbeitet von Ute von Bloh

KdiH-Band 6

Im Umkreis der Elisabeth von Lothringen und Nassau-Saarbrücken wurden in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts vier Chansons de geste in frühneuhochdeutsche Prosa übertragen: ›Herzog Herpin‹, ›Königin Sibille‹ (Stoffgruppe 69.), ›Loher und Maller‹ (Stoffgruppe 79.) und ›Huge Scheppel‹ (Stoffgruppe 116.). Die neuere Forschung ist zwar mehrheitlich davon abgerückt, dass Elisabeth von Nassau-Saarbrücken und Lothringen – nicht zuletzt aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse – die französische Vorlage selbst in deutsche Prosa übertragen habe (Karl-Heinz Spiess: Zum Gebrauch von Literatur im spätmittelalterlichen Adel. In: Kultureller Austausch und Literaturgeschichte im Mittelalter, hrsg. von Ingrid Kasten u. a. Sigmaringen 1998, S. 81–96, hier S. 95; von Bloh [2002] S. 32; zuletzt auch Bastert [siehe unten: Editionen] S. XIf.), doch entstanden ist der ›Herzog Herpin‹ gleichwohl in ihrem Umkreis, höchstwahrscheinlich in ihrem Auftrag und möglicherweise unter ihrer partiellen Beteiligung. Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts hat Wolfgang Liepe (Elisabeth von Nassau-Saarbrücken. Entstehung und Anfänge des Prosaromans in Deutschland. Halle a. S. 1920) die Zusammengehörigkeit der vier Prosaepen aufgrund sprachlich-stilistischer Kriterien nachgewiesen. Zusammen mit etlichen Anspielungen innerhalb der vier Prosaepen, lässt eine dynastisch-genealogische Abfolge annehmen, dass die Lektüre in der Reihenfolge ›Herzog Herpin‹, ›Königin Sibille‹, ›Loher und Maller‹ und ›Huge Scheppel‹ intendiert war. Die beiden erhaltenen Fassungen der stoffgleichen Chanson de geste ›Lion de Bourges‹ (Paris, Bibliothèque Nationale de France, ms. fr. 22555 und ebd. ms. fr. 351) stehen im Fall des ›Herpin‹ der deutschen Prosa zwar nahe, sind aber weder mit Blick auf die Bilder noch mit Blick auf die Texte als unmittelbare Vorlagen anzusehen.

Wie in den vier Epen insgesamt, werden auch im ›Herzog Herpin‹ historische und politische Konstellationen sowie Personen aus der Geschichte Frankreichs narrativ umgedeutet, wenn z. B. aus Harpin de Bourges (gest. 1109) ein Vasall Karls des Großen wird. Berichtet wird von drei Generationen einer adligen Familie, deren legitime Mitglieder in direkter Linie an einem Erbe beteiligt sind: von Herpin von Burges, von dessen Sohn Lewe und den Enkeln, d. h. den beiden ehelichen Söhnen Lewes (Wilhelm und Ölbaum) und seinem unehelichen Sohn (Gerhart). Jede Lebensgeschichte ist durch fortwährende Verluste und die Rückeroberung oder Wiederherstellung eines Anspruchs gekennzeichnet. Am Anfang steht der Verlust der Herrschaft über Burges, und im weiteren Verlauf verliert nahezu jeder Vertreter aus den verschiedenen Generationen ein Mal, wenn nicht gar zwei Mal, sein angestammtes Erbe und seinen zumeist durch Heirat erworbenen Herrschaftsbereich, einen Ehepartner und einen Erben im Kindesalter, wobei das Erzählte zumal durch das Schema von Verlust und Wiedergewinnung eines Anspruchs / Wiederentdeckung eines Verwandten strukturiert ist. Mit dem Tod der genannten Generationenvertreter und einer in die Zukunft projizierten Rache durch überlebende Erben findet der ›Herzog Herpin‹ ein (vorläufiges) Ende.

Die handschriftliche Überlieferung der Prosaepen ist auf das 15. Jahrhundert beschränkt. Erhalten ist der ›Herzog Herpin‹ in drei Handschriften, die in Berlin (Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 464), Heidelberg (Universitätsbibliothek, Cod. Pal. germ. 152) und Wolfenbüttel (Herzog August Bibliothek, Cod. Guelf. 46 Novissimi 2°) aufbewahrt werden, (zu einer weiteren, ehemals in der Schlossbibliothek Ansbach aufbewahrten, von dort 1805/06 noch an die Universitätsbibliothek Erlangen abgegebenen und dann verschollenen Herpinhandschrift vgl. Bastert [siehe unten: Editionen] S. XIX Anm. 38). Einige der Handschriften können mit dem engeren oder weiteren Verwandtenkreis Elisabeths in Verbindung gebracht werden: So die Wolfenbütteler Handschrift (Nr. 55.0.3.: Cod. Guelf. 46 Novissimi 2°), die zu einer Gruppe von drei Handschriften gehört, die für den Sohn Elisabeths, Johann III., entstanden ist; sie umfasst alle vier Prosaepen. Der ›Herzog Herpin‹-Codex in Heidelberg (Universitätsbliothek, Cod. Pal. germ. 152; Nr. 55.0.2.) befand sich im 15. Jahrhundert im Besitz der Margarete von Savoyen (gest. 1479), mit der Elisabeth gleichfalls verwandtschaftlich verbunden war.

Die ›Herzog Herpin‹-Handschriften sind allesamt illustriert. Dabei handelt es sich um jeweils selbständige Bildausstattungen und -platzierungen, was mit den unabhängig voneinander entstandenen Textfassungen kongruiert. 260 kolorierte Federzeichnungen aus der sog. Henfflin-Werkstatt begleiten die kürzeste Textfassung in Heidelberg (Nr. 55.0.2.: Cod. Pal. germ. 152) in dichter Folge, während die Bilder in der Handschrift in Berlin (Nr. 55.0.1.: Ms. germ. fol. 464) vielfach auf eigens dafür vorgesehenen Seiten den betreffenden Textteilen vorangestellt sind. Ab S. 438 bricht die Bebilderung in der Berliner Handschrift ab. In der Wolfenbütteler Handschrift (Nr. 55.0.3.: Cod. Guelf. 46 Novissimi 2o) wird die Bebilderung ab 44r nach 32 kolorierten Federzeichnungen ebenfalls nicht fortgesetzt.

Den thematischen Schwerpunkt der Bilder in der Wolfenbütteler Handschrift (Nr. 55.0.3.: Cod. Guelf. 46 Novissimi 2o) bildet das phantastische Geschehen um die als Mann verkleidete Herzogin, von der zu Beginn des Epos erzählt wird, während in der Heidelberger Handschrift das gesamte Spektrum der erzählten Welt ins Bild gesetzt ist: Belagerungs- und Schlachtendarstellungen ebenso wie Szenen höfischen Zeremoniells oder höfischen Zeitvertreibs, Zweikämpfe ebenso wie wunderbare Ereignisse. Eine vergleichbare thematische Vielfalt weisen die auf 90 Seiten ausgeführten, unkolorierten Federzeichnungen der Berliner Handschrift auf, die stilistisch die Kupferstiche der beginnenden Neuzeit zu antizipieren scheinen. Doch geraten hier Kampfszenen, Belagerungen und Schlachten mehr in den Hintergrund.

Die sechs Druckausgaben datieren zwischen 1514 und den 90er Jahren des 16. Jahrhunderts (Nr. 55.0.a. bis Nr. 55.0.f.). Ralf Konczak (Studien zur Druckgeschichte zweier Romane Elisabeths von Nassau-Saarbrücken. ›Loher und Maller‹ und ›Herzog Herpin‹. Frankfurt a. M. u. a. 1991) stellte fest, dass die Textfassung der Erstdrucke (Straßburg: Grüninger, 1514, siehe Nr. 55.0.a.) noch mit der handschriftlichen Vorlage verbunden ist, während sich alle nachfolgenden Drucke von der handschriftlichen Überlieferung lösen (S. 137–188). Entsprechend nimmt der Erstdruck mit Blick auf das Bildprogramm zwar eine eigene Schwerpunktsetzung vor und die Einrichtung passt sich ebenfalls den Erfordernissen des Druckzeitalters an, doch ist die Anlehnung an die handschriftliche Vorlage noch erkennbar. Verglichen mit dem Erstdruck, handelt es sich bei den späteren Drucken um durchgreifende Neubearbeitungen nicht nur des Textes, sondern auch der äußeren Gestaltung. Alle späteren Drucke orientieren sich an den beiden Drucken aus der Han’schen Offizin (Frankfurt a. M.: um 1567 und 1579): Die Bildausstattung des dritten (Frankfurt a. M.: Paul Reffeler, 1579; Nr. 55.0.c) und vierten Drucks ([Augsburg: Michael Manger], 1580; Nr. 55.0.d.) richtet sich – wie im Fall der Texte – nach dem Zweitdruck (Frankfurt a. M.: Weigand Hans Erben, um 1567; Nr. 55.0.b.). Der fünfte Druck (Frankfurt a. M.: Sigmund Feyerabend, 1587; Nr. 55.0.e.) hingegen hat als Vorlage den dritten Druck (Frankfurt a. M.: Paul Reffeler, 1579; Nr. 55.0.c.) (so auch der Text nach Konczak [wie oben] S. 51), wobei das Bildprogramm insgesamt reduziert ist und einzelne der neu konzipierten Holzschnitte abweichende Sujets aufweisen. Der nachweislich letzte und sechste Druck des ›Herzog Herpin‹, den Konczak (S. 53) nicht ermitteln konnte (Leipzig: Vincentius Strach, 159x), orientiert sich ebenfalls an den Bearbeitungen des Zweitdrucks. Hier ist das Bildprogramm gegenüber dem zweiten, dritten und vierten Druck um einige Holzschnitte bereichert, so dass der sechste Druck die umfangreichste Bebilderung innerhalb der Drucküberlieferung enthält.

Editionen:

Karl Simrock (Hrsg.): Der weiße Ritter oder Geschicht von Herzog Herpin von Bourges und seinem Sohne Löw. In: Die deutschen Volksbücher, hrsg. von Karl Simrock, Bd. 6. Basel 1892, Nachdruck Hildesheim/New York 1974, S. 215–445. – Herzog Herpin. Kritische Edition eines spätmittelalterlichen Prosaepos. Hrsg. von Bernd Bastert [u. a.]. Berlin 2014 (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 51).

Literatur zu den Illustrationen:

Ute von Bloh: Ausgerenkte Ordnung. Vier Prosaepen aus dem Umkreis der Gräfin Elisabeth von Nassau-Saarbrücken: ›Herzog Herpin‹, ›Loher und Maller‹, ›Huge Scheppel‹, ›Königin Sibille‹. Tübingen 2002 (Münchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelalters 119), S. 407–433.