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86.6.4. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. Ser. n. 4711; München, Staatliche Graphische Sammlung, Inv.-Nr. 1909.2; Inv.-Nr. 1909.3; Inv.-Nr. 1909.4

Bearbeitet von Anja Eisenbeiß

KdiH-Band 9

Datierung:

1514–1518.

Lokalisierung:

Süddeutschland.

Besitzgeschichte:

Der Wiener Codex im 18. Jahrhundert im Benediktinerkloster St. Blasien im Schwarzwald (Signatur Bl. 75) nachgewiesen, mit der Säkularisation des Klosters zwischen 1806 und 1809 nach St. Paul im Lavanttal, Kärnten (Kasten XXIX, ohne Signatur) gelangt, von dort 1907 als Geschenk an das österreichische Kaiserhaus nach Wien und in die Hofbibliothek. Die Münchner Einzelblätter waren bereits um 1830/1831 aus dem Codex herausgelöst worden und gelangten aus dem Besitz des Münchner Professors Ernst von Lasaulx († 1861) über den Kunsthandel in die Staatliche Graphische Sammlung München (Pallmann [1908–1911] S. 21).

Inhalt: Zur ursprünglichen Anordnung der Wiener und Münchner Blätter siehe die Konkordanz der Bildthemen in der Einleitung zur Untergruppe (KdiH-DB, 86.6.).
1. 1r–48r ›Heilige der Sipp-, Mag- und Schwägerschaft‹
Miniaturencodex D (Wien)
1909.2–1909.4 ›Heilige der Sipp-, Mag- und Schwägerschaft‹
drei Einzelblätter (München)
2. 1r–54r Erklärender Text zu den Miniaturen von 1901
Beilage zu Miniaturencodex D (Wien)
3. 1r–10v Heiligenkalender, lateinisch
Beilage zu Miniaturencodex D (Wien)
I. Kodikologische Beschreibung:

Cod. Ser. n. 4711: Pergament und Karton, I + 49 + [I] Blätter (48 seit 1901 auf Karton aufgezogene Pergamentblätter, Vor- und Nachsatz sowie Bl. 49 Karton), 325 × 260 mm (mehrfach beschnittene Pergamentblätter), 392 × 305 mm (Kartons), auf einigen Blättern unter den Miniaturen Spuren einer heute getilgten Kursive (1r, 5r, 12r, 16r, 18r–20r, 22r, 24r–25r, 28r–29r, 31r–37r, 39r–41r, 43r, 45r, 48r), die zweispaltig ein bis fünf Zeilen umfasste, teilweise auch nur den Namen des oder der Heiligen nannte. Dieser lateinische Text vermutlich aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts.

Münchner Einzelblätter: Pergament, 265 × 215–230 mm, bei Inv.-Nr. 1909.4 lateinischer Text, zweispaltig, sechs Zeilen.

Laschitzer 2 (1887, S. 134) beschreibt den Zustand des Codex vor der Neubindung: Pergament und Papier, I + 91 + 1 Blätter (Vor- und Nachsatz Papier, Reste von 13 ausgeschnittenen Blättern, komplett fehlten zwölf Blätter), damals noch beigebunden der Heiligenkalender auf Papier (Text 3). Die zweite Beilage (Text 2) entstand im Zuge der Neuordnung des Codex im Jahr 1901 in St. Paul im Lavanttal.

Schreibsprache:

kein Text aus der Entstehungszeit der Miniaturen.

II. Bildausstattung:

51 Deckfarbenminiaturen, davon 48 jeweils auf den Rectoseiten von Cod. Ser. n. 4711 (1r–48r), drei weitere heute in München (Einzelblätter), mindestens zwei Maler.

Format und Anordnung:

Auf einem mehrfach profilierten Sockel Heiligenbilder (263–269 × 207–226 mm) mit schmalen, teilweise durch schwarze oder farbige Konturlinien akzentuierten roten, seltener blaugrauen, gelben oder schwarzen Rahmen. Obwohl alle erhaltenen Blätter beschnitten, der Codex mehrfach neu gebunden und dabei die Bildfolge verändert wurde, spricht einiges dafür, dass die Miniaturen jeweils auf einer Rectoseite in der Blattmitte ohne Bildtitel angebracht waren. Die Blattrückseiten und die 48 weiteren, 1901 entfernten Blätter des ehemaligen Pergamentcodex tragen und trugen keinen Text aus der Entstehungszeit. Im Unterschied zu den Skizzencodices (Nr. 86.6.1., Nr. 86.6.2., Nr. 86.6.3.) erscheinen jeweils zwei Heilige in einer Miniatur, weshalb auch die marmorierten Sockel jeweils zwei Wappen tragen. Wie die Konkordanztabelle der Bildthemen in der Einleitung zur Untergruppe zeigt (86.6., KdiH-DB), folgen die Heiligenpaare in der ursprünglichen Anordnung der Reihung des Skizzencodex A bis 39r in gleichförmigen Zweierschritten, so dass sich die Münchner Einzelblätter zweifelsfrei einordnen und die vermutlich elf fehlenden Paare rekonstruieren lassen. Bis zur nächsten erhaltenen Miniatur 40r bleibt eine Lücke von drei (Edeltraud, Edmund I. und Edmund II.) statt der zu erwartenden zwei oder vier Heiligen, so dass Bischof Otto von Freising am Ende der Folge mit einer der zuvor übersprungenen Figuren hätte kombiniert werden müssen. Ob es sich hier um ein Versehen oder eine inhaltlich begründete Entscheidung handelt, muss offen bleiben, solange keine weiteren Einzelblätter bekannt werden.

Bildaufbau und -ausführung, Bildthemen:

Die Komposition der Heiligenbilder folgt eng dem Vorbild von Skizzencodex A (Nr. 86.6.1.), die in B und C vorgenommenen Vereinfachungen der Bildräume werden nicht aufgegriffen. Nur in wenigen Fällen erscheinen einzelne Figuren gegenüber dem Vorbild gedreht, so dass sich die zu einem Paar verbundenen Heiligen anblicken. Beim Zusammenfügen lassen sich drei Varianten unterscheiden: 1. Beide Heilige sind mit einem eigenen Rahmen versehen (3r, 1902.3, 4r, 16r, 18r, 26r, 29r, 30r, 32r, 34r, 38r, 39r, 42r–45r, 48r). 2. Beide Heilige teilen einen Rahmen, stehen aber in eigenen, voneinander verschiedenen Bildräumen (1r, 2r, 12r, 13r, 20r, 22r, 25r, 27r, 31r, 33r, 35r, 37r, 46r, 47r). 3. Beide Heilige teilen Rahmen und Bildraum, was ein Angleichen der Hintergründe und damit die größten Abweichungen von Skizzencodex A erforderte (1902.2, 5r–11r, 14r, 15r, 17r, 19r, 1902.4, 21r, 23r, 24r, 28r, 36r, 40r, 41r). Der Wechsel der Kompositionsschemata folgt nicht dem Wechsel der Malerhände. Laschitzer 2 (1887) unterscheidet drei Maler. Der erste (1r, 2r, 4r–13r, 17r, 18r, 21r, 33r–36r, 1902.2–1902.4) und dritte (19r, 20r, 22r–25r, 28r–32r, 42r–46r) ähneln einander stark und dürften einer Werkstatt angehört haben, die er in Augsburg oder Nürnberg lokalisiert. In diesen Miniaturen sind oft Spuren einer schwarzen Unterzeichnung erkennbar. Die sorgfältig ausgeführten Figuren weisen betonte Konturlinien auf. Zarte Farben, weiche Farbübergänge und changierende Farbtöne lassen an eine mit der Malerei der Donauschule vertraute Werkstatt denken. Abschließend wurden sowohl bei den Figuren wie Bildgründen Details in Deckweiß und Gold zeichnerisch aufgetragen. Laschitzers zweiter Maler (3r, 14r–16r, 26r, 27r, 37r–41r, 47r, 48r) unterscheidet sich hiervon so deutlich, dass gelegentlich eine Entstehung oder zumindest Überarbeitung im späteren 16. Jahrhundert erwogen wurde (Mazal/Unterkircher [1975] S. 329). Dieser Maler bevorzugt einen deckenderen Farbauftrag. Er verwendet leuchtende, ungebrochene Farben und verzichtet auf eine kleinteilige Strukturierung der Oberflächen. Seine kompakten Figuren weisen geschlossene, feste Umrisse auf. Die Stoffe der Gewänder sind schwer mit starren, sich oft verselbständigenden Faltenwülsten. Alle Bilder des Wiener Codex bei Eisler (1907, S. 126–134) detailliert beschrieben.

Farben:

mehrere Rot- und Blautöne, Gelb, Grün, Schwarz und Deckweiß.

Digitalisat:

http://data.onb.ac.at/rep/10011CFC (Cod. Ser. n. 4711)

Literatur:

Eisler (1907) S. 125–134; Unterkircher (1957) S. 191; Mazal/Unterkircher (1975) S. 329–332. – Laschitzer 2 (1887) S. 134–145; Pallmann (1908–1911) Abb. Taf. III (München 1909.2), IV (München 1909.3), V (München 1909.4); Maximilian I. 1459–1519 (1959) S. 54f., Nr. 175; Maximilian I. (1969) S. 164, Nr. 609; Unterkircher (1983) S. 27f., Taf. 46–50; Kunst um 1492 (1992) S. 318f., Nr. 130 und S. 321–323, Nr. 134 [Eva Irblich]; Scheichl (1992) S. 38–44; Merkl (1999) S. 24, Nr. 13; Heiliges Römisches Reich (2006) S. 544–547, Nr. VI.38 [Anja Grebe / G. Ulrich Grossmann]; Kaiser Maximilian I. und die Kunst der Dürerzeit (2012) S. 172f., Nr. 22 [Thomas Schauerte]; Theisen (2015b) S. 121f.

Abb. 41: Einzelblatt (München 1909.4). Hl. Notburga und hl. Karlmann.

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Abb. 41.