34. ›Die Erlösung‹
Bearbeitet von Christine Stöllinger-Löser
KdiH-Band 4/1
Das anonym überlieferte Bibelepos ›Die Erlösung‹ (7022 Reimpaarverse) entstand zu Beginn des 14. Jahrhunderts wohl im rheinfränkischen Raum. Der wahrscheinlich geistliche Dichter verfügte über fundierte theologische und literarische Kenntnisse. Er bietet eine umspannende Darstellung der christlichen Heilsgeschichte von der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht im Sinn der kirchlichen Lehre. Neben beschreibenden, betrachtenden und gebethaft-preisenden Passagen präsentiert er Dialogszenen nahezu dramatischen Charakters, die in Zusammenhang mit den hessischen geistlichen Spielen stehen (vgl. zuletzt detailliert
Schöpfung und Sündenfall werden knapp dargestellt, anschließend der Streit der vier Töchter Gottes mit dem Ratschluß Gottes zur Erlösung durch die Menschwerdung des Sohnes; es folgen 24 Weissagungen von Patriarchen und Propheten auf Christus, einschließlich solcher von Heiden, nämlich der (erythräischen) Sibylle, Nebukadnezars und Vergils. Den Hauptteil bilden die Lebensstationen Jesu mit der Geschichte Johannes’ des Täufers und Marias bis zu ihrem Tod, zuletzt folgen Antichrist und Jüngstes Gericht. Quellen der Dichtung sind neben der Vulgata auch apokryphe Texte (›Evangelium Nicodemi‹), der (pseudoaugustinische) ›Sermo contra Iudaeos, Paganos et Arianos de Symbolo‹ des Quodvultdeus, die Sibyllenweissagung u. a.
Das Werk überliefern insgesamt acht Handschriften, darunter zwei Codices discissi (zur Überlieferung vgl. zuletzt
Die Illustrationen, lavierte bzw. mit Deckfarben kolorierte Federzeichnungen, sind in beiden Handschriften jeweils denselben Textpassagen zugeordnet. Fast allen großen thematischen Abschnitten des Textes entspricht mindestens eine Illustration; nicht bildlich dargestellt ist der im Text ausführlich behandelte Streit der Töchter Gottes mit der detaillierten künstlerischen Beschreibung von Gottes Thron (zu letzterem vgl.
Kennzeichnend sind zwei verschiedene Bildtypen: einerseits eine thematische Reihe von Einzelfiguren mit Patriarchen und prophetischen Gestalten des Alten Testaments und der heidnischen Antike (Sibylla, Nebukadnezar und Vergil), die im Text den Prophezeiungen und Vorausdeutungen auf Christi Erlösungswerk zugeordnet sind und diesem entsprechend (= Verse 1143–2272) einen geschlossenen Block bilden; andererseits narrative Figurenszenen, bei denen das Alte Testament nur mit zwei Bildern vertreten ist (Erschaffung des Menschen und Sündenfall), während die meisten aus dem Neuen Testament stammen (v. a. das Leben Christi bis zum Tod Marias, Antichrist und Jüngstes Gericht). Soweit die erhaltenen Fragmente des Codex discissus einen Schluß erlauben, decken sich die Bildkonzepte der beiden illustrierten Textzeugen weitgehend, aber nicht vollständig; B 1 enthält als Schöpfungsbild die Erschaffung Evas, N dagegen diejenige Adams; zwei zusätzliche Szenenbilder in B1, die im vollständigeren Zyklus fehlen, stellen Christus mit dem ungläubigen Apostel Thomas und den thronenden Antichrist mit Gefolgsleuten dar; außerdem ist der Sturz des Antichrist dort durch ein zweigeteiltes Bild differenzierter gestaltet.