KdiH

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85.9.1. Bern, Burgerbibliothek, Mss.h.h.X.50

Bearbeitet von Isabel von Bredow-Klaus

KdiH-Band 9

Datierung:

Nach 1462 (S. 111); 3. Viertel 15. Jahrhundert (Hilg [1987]).

Lokalisierung:

Nordwestschweiz.

Besitzgeschichte:

Ab 1462 pertinet Alexander (S. 111), im weiteren Verlauf befand sich die Handschrift in unterschiedlichem Privatbesitz (Federproben und Besitzereinträge von 1631 und 1632), bevor sie bis 1808 in der Stiftsbibliothek Beromünster aufbewahrt wurde. Dann war sie im Besitz von Staatsarchivar Theodor von Liebenau in Luzern, anschließend im Besitz von Großrat Friedrich Bürki in Bern, der sie 1877 an die Burgerbibliothek übergab.

Inhalt: Sammelband mit geistlichen Betrachtungen.
1. S. 1–2, 21–41 Auslegung des ›Ave Maria‹
2. S. 3, 12–18 Lehren des hl. Bernhard über himmlische und irdische Minne
3. S. 5–11 Passionsbetrachtung mit Lob Christi
4. S. 19–20, 67–96 ›Interrogatio Sancti Anselmi de Passione Domini‹, deutsch
5. S. 42–55 Auslegung des Vaterunser
6. S. 56–60 Glossenlied über das ›Goldene Ave Maria‹
Fassung II.3 (Wachinger [1981] Sp. 82 Nr. II.3.; Appelhans [1970] Nr. 49), vgl. Nr. 85.11.1.
7. S. 60–63 Reimgebet Ich man dich vater Jhesum Christ
(Klapper [1935] Nr. 123)
8. S. 115–148 Selbständiges Prosa-Marienleben (Fragment)
Es wirt vff gan ein ruͦt vss dem stamme Jesse vnd ein bluͦm wirt von dem zwijg uffgan ... Text bricht ab: ...sy kumen soltennt vnd wie vff wellen tag vnd warum
9. S. 149–304 Heinrich Seuse, ›Büchlein von der ewigen Weisheit‹
10. S. 305–330 ›Berner Weltgerichtsspiel‹
11. S. 331–345 Bruder Philipp, ›Marienleben‹
Auszug V. 9196–10065, vgl. Untergruppe 85.4.
12. S. 347–512 Traktat vom zeitlichen und ewigen Tod, von Hölle und Himmel
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, 258 Blätter, 260 × 180 mm, Bastarda, mehrere Hände (S. 21–111: Jacob Amgrund scolaris in Luceria, S. 111), zweispaltig, Text 8: 36–38 Zeilen, eine zehnzeilige Initiale (S. 115), eine vierzeilige Initiale (S. 149).

Schreibsprache:

nordwestschweizerisch (Benziger [1913] S. 9).

II. Bildausstattung:

26 Federzeichnungen von einer Hand.

Format und Anordnung:

Neun ganzseitige (S. 114, 125, 131, 133, 134, 136, 139, 141, 143), drei dreiviertelseitige (S. 127, 129, 140), neun halbseitige (S. 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 145), eine einspaltige Federzeichnung (S. 137), zwei kleine Federzeichnungen in einer Spalte (S. 147), zwei historisierte Initialen (S. 115, 144).

Bildaufbau und -ausführung:

Viele der Bildräume sind sehr dicht gefüllt und wirken daher unübersichtlich. Jedes Stück der Illustrationen ist mit Informationen und Details nahezu überfrachtet, was vor allem durch die häufig simultane Darstellung von mehreren Handlungen in einem Bild hervorgerufen wird. Die Geburt Christi wird mit der Verkündigung an die Hirten, einer Gruppe von fünf singenden Engeln mit einem langen Notenblatt und einem großen Gottvater ergänzt, die Darstellung von Eva und Maria erzählt ebenfalls zwei Geschichten, die alttestamentliche Präfiguration und die neutestamentliche gleichzeitig. Besonders augenfällig wird dieses ikonografische Überfrachten auf S. 125, einer Darstellung, die voll ist mit Symbolen und Typologien des Alten Testaments, eingebettet in eine Verkündigungsszene. Selbst in Szenen, die nur von einer Person bespielt werden, schafft der Zeichner einen teppichartigen Eindruck, indem er den Hintergrund mit diversen Architekturelementen wie Fenstern oder Gewölben, mit detailliert ausgearbeiteten, aber perspektivisch fehlerhaften, Stadtansichten (besonders im Hintergrund der Heimsuchung S. 131), mit weiteren Nebenszenen wie im Tempel S. 139 oder mit dekorativem Perlstabfleuronné und Akanthus (S. 137) dicht bestückt. Die perspektivischen Unsicherheiten bei der Draufsicht von Gegenständen oder Ansicht von Innenräumen schaffen zusätzliche Irritationen. Der Zeichner hat durchaus auch Sinn für unterhaltsame Detailanreicherungen, wenn er beispielsweise einen kleinen schlafenden Hund neben das Bett der Elisabeth setzt (S. 121), oder religiöse Anreicherungen, wenn er den ungeborenen Johannes im Leib Elisabeths knien lässt (S. 131).

Zeichnerisch wirken die langgestreckten Personen steif und ungelenk, ihnen fehlt eine lockere Bewegung in ihren zahlreichen Interaktionen. Diese beschränken sich nahezu auf Handzeichen und Blickkontakte. Die sehr gerade und steif fallenden Gewandfalten sind einer Körperbewegung nicht gerade dienlich. Auch die langgezogenen Gesichter, die fehlenden Körpermodellierungen, fehlerhafte Proportionen und die perspektivische Staffelung zum oberen Bildrand zeugen trotz des sicheren Striches von keiner großen künstlerischen Qualität. Die Personen sind in lange hochgeschlossene, weite Gewänder gekleidet, die darunter keine für die Zeit modischen Merkmale wie freiliegende Ärmel oder eng anliegende Beinkleider der Männer zeigen, aber häufig mit verschiedenen Stoffmustern versehen sind. Gelegentlich sind die Gewänder mit Details wie einer Spange oder einem Besatz ergänzt. Auffallend sind die aufwendigen Kopfbedeckungen, vor allem die hohen, schmuckvollen Turbane der Propheten und die großen Hauben der heiligen Frauen.

Architektur rahmt diejenigen Szenen, die sich in Innenräumen abspielen, während die Szenen im Freien ungerahmt bleiben. Zum besseren Verständnis der Darstellungen sind den meisten Bildern erläuternde Spruchbänder oder kurze Texte am Rand der Illustration (S. 137, 147) beigegeben, die die Worte der Propheten oder Heiligen wiedergeben. Eine Titulierung vieler Elemente zum Beispiel in der mystischen Einhornjagd (S. 125) hilft zudem bei der Identifizierung der zahlreichen Bilddetails.

Vermutlich wurden diese Federzeichnungen als Vorlagen für Kupferstiche angefertigt, worauf eine besonders klare Strichführung und Schraffierung sowie der deutlich sichtbare Horror vacui hindeuten.

Bildthemen:

Das sehr durchdachte Bildkonzept enthält zwölf Bilder aus dem Leben Mariens, zwischen die 14 typologische Darstellungen mit alttestamentlichen Präfigurationen und Allegorien geschaltet sind.

König David (S. 114) mit dem Spruchband tamquam sponsus procedens de thalamo suo et assumo (= a summo) celo egressio eius (Ps 18), Wurzel Jesse Es wirt vff gan ein ruͦt vss dem stamme jesse ... (Is 11,1–10) (Initiale S. 115), König Salomo (S. 116), Vertreibung Joachims (S. 117), Verkündigung an Joachim Joachim furcht dir nit din gebet ist erhórt von got (S. 118), Treffen an der Goldenen Pforte (S. 119), Salomo auf einem Thron (S. 120), Mariengeburt (S. 121), Tempelgang Mariens (S. 122), Vermählung von Maria und Josef (S. 123), Mystische Jagd (S. 125), Maria und Eva unter dem Baum der Erkenntnis (S. 127), Begegnung zwischen Boas und Ruth als Parallele zu Maria und dem Hl. Geist Boos es wissend alle die die da sint inerthalb der muren jerusallem dz du bist ein frow der tugent (S. 129), Heimsuchung (S. 131), Geburt des Johannes (S. 133), Josefs Traum (Mt 1,19–21) ioseph ein sun dauides fúrcht dir nit won das sy enphangen hat das ist von dem heiligen geist (S. 134), Prophezeiung des Bileam orietur stella ex Iacob et virgo peperit salvatorem, im Hintergrund König Balak, mit dem Wappen der Stadt Basel und den Wappen verschiedener Basler Honoratioren (S. 136), Verkündigungsengel und Samson mit dem Löwen, der eine Tempelsäule umfasst (Idc 16,29) ICH VERkund úch grosse fród ... (S. 137), die Sibylle bei Kaiser Augustus (Octavianus) Hic est templum pacis (S. 139), Kaiser Augustus schickt seine Boten aus (S. 140), Geburt Christi und Verkündigung an die Hirten (S. 141), Hesekiels Vision vom verschlossenen Tor, dahinter Maria mit dem Einhorn Ezechiel propheta ich han gesehen ein tor dz wz verschlossen vnd solt n (S. 143), Jesuskind mit Ochs und Esel (Initiale S. 144), Jeremias Berufung Ieremias a a a her got ich kan nit reden nach dinem namen (S. 145), Erlösung der Vorväter durch Christi Geburt (S. 147).

Die Zeichnungen illustrieren sehr detailliert die nebenstehenden Texte. Die alttestamentlichen Szenen werden in der Regel ebenso wie die Szenen aus dem Marienleben im Text direkt angesprochen. Eine Ausnahme bildet das alttestamentliche Bild des Samson, das integriert wird in die Verkündigung an die Hirten, von der im Text die Rede ist. Da auch seine Geburt seiner Mutter auf wundersame Weise verkündet worden war, zeigt sich hier eine typologische Parallele, die geschickt beide Verkündigungen des Alten und des Neuen Testaments verbindet. Eine zweite Illustration ohne konkreten Textbezug ist die Prophezeiung des Bileam, die gelegentlich auf den Stern aus dem Osten, der den hl. Drei Königen den Weg wies, umgedeutet wird. Der Text von Hesekiels Version über das verschlossene Tor (Ez 44) wird in dieser Handschrift ausgeweitet und berichtet, der Prophet habe gesehen, dass ein Jüngling durch das verschlossene Tor ein- und ausgeht. Diese Vision wird mit dem unversehrten jungfräulichen Leib Mariens gleichsetzt, steht so aber nicht in der Bibel. Bemerkenswert ist die hervorgehobene Bedeutung König Salomos, dem zwei Textstellen und Bilder gewidmet sind, dessen mariologischer Bezug jedoch unklar bleibt. Der erste Text zitiert Salomos Spruch 8,22 in der deutschen Übersetzung und lässt ihn Maria durch Salomo sagen, auf dem Spruchband wird der Spruch lateinisch zitiert.

Literatur:

Bloesch (1895) S. 353; von Scarpatetti 2 (1983) S. 31f., Nr. 80. – Vetter (1877) S. 356–367; Benziger (1913) (Ausgabe); Hilg (1981) S. 401, Nr. 8; Bergmann (1986) S. 69–71, Nr. 22, S. 410 (M 23); Hilg (1987); Spätmittelalter am Oberrhein (2001) S. 65, Nr. 9, Abb. 9a, 9b (S. 136, 127); Schachzabel, Edelstein und der Gral (2009) S. 46–51; Schmid Blumer (2004) Abb. 13 (S. 127).

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 19: S. 121. Mariengeburt.

Abb. 20: S. 139. Die Sibylle bei Kaiser Augustus.

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Abb. 19.
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Abb. 20.