66.2. Stricker, ›Karl der Große‹
Bearbeitet von Kristina Domanski
KdiH-Band 7
›Karl der Große‹ gehört mit 23 vollständigen und 19 fragmentarischen Handschriften zu den häufig überlieferten Werken epischer Literatur des Mittelalters. In der Neufassung der Ereignisse des Spanienfeldzuges, für die das ›Rolandslied‹ des Pfaffen Konrad die Hauptquelle bildete, werden vom Stricker einige Erzählmomente ergänzt, die die Person Karls deutlich akzentuieren. Zu Beginn wird die Geschichte um Karls Kindheit und Jugend erweitert, neu sind gleichfalls die Verheißung des römischen Reichs durch einen Engel sowie die Übergabe der wundertätigen Waffen, Horn, Schwert und Handschuh. Nach der Schlacht bei Roncevalles werden die Bestattung der Gefallenen und die Stiftung des Klosters St. Johannes hinzugefügt, so dass sich der narrative Schwerpunkt vermehrt auf die Person Karls des Großen verlagert und eine »romanhaft-biografische Legenden-Vita« entsteht (
Bebilderte Exemplare des Werkes sind erst aus dem Beginn des 14. Jahrhunderts erhalten. Das St. Galler Manuskript und das Berliner Fragment (Nr. 66.2.4. und Nr. 66.2.1.) mit ihren auf poliertem Goldgrund angelegten Deckfarbenminiaturen gehören allerdings zu den prunkvollsten Manuskripten literarischer Werke deutscher Provenienz. In beiden Handschriften folgt Strickers ›Karl der Große‹ auf die ›Weltchronik‹ Rudolfs von Ems, so dass beide Exemplare zu einer Gruppe von fünf umfangreich illustrierten ›Weltchroniken‹ zu rechnen sind, die in Zürich oder der unmittelbaren Umgebung entstanden (
Die bildliche Ausstattung der Manuskripte setzt durchaus unterschiedliche Schwerpunkte. Die Miniaturen der St. Galler Handschrift, deren Bildfolge zumindest über Zwischenstücke den Malern des unvollständig erhaltenen Manuskripts in Berlin bekannt gewesen sein dürfte, legen großen Wert auf die Polarisierung zwischen christlichem Glauben und Heidentum sowie auf die Visualisierung des göttlichen Beistands auf Seiten der Christen, sei es durch Wunderszenen oder himmlische Erscheinungen. Gegenüber dem ›Rolandslied‹ hat sich mit der Veränderung des narrativen Fokus auch der Schwerpunkt der Bildfolge gewandelt, so tritt etwa Bischof Turpin seltener und weniger prominent auf, seine Rolle als geistlicher Würdenträger und Spender der Sakramente scheint zurückgenommen (vgl. hingegen Nr. 66.1.1., 5r, 53v). Eine neuerliche Verschiebung des Bildinteresses ist im 15. Jahrhundert an der Illustrationsfolge aus der Werkstatt Diebold Laubers zu beobachten (Nr. 66.2.2.). Zum einen wirft die Bildserie die Frage auf, ob eventuell auf ältere Illustrationszyklen zum ›Rolandslied‹ zurückgegriffen werden konnte, da sich die Themenauswahl der illustrierten Szenen insbesondere zu Beginn ähnelt. Zum anderen fällt auf, dass die Szenen göttlichen Eingreifens deutlich reduziert sind und die Kontrastierung von Christen und Heiden sich auf Unterschiede in Waffen und Kleidung beschränkt, während ein großes Interesse an der Präsentation modischer Accessoires zu bemerken ist. Gegenüber dieser eleganten Überformung der Ereignisse tritt die zeitpolitische Aktualisierung des Werks durch die als ganzseitige Miniatur vorgeschaltete Darstellung Karls des Großen in der Hamburger Abschrift hervor, die nur wenige Jahrzehnte zuvor im unmittelbaren zeitlichen Umfeld des Konstanzer Konzils (1414–1418) entstanden sein dürfte (Nr. 66.2.3.). Aufgrund charakteristischer Gesichtszüge ist die Figur zudem als Kryptoporträt König Sigismunds zu interpretieren, so dass der römisch-deutsche König Sigismund, der maßgeblichen Anteil am Zustandekommen des Konzils in Konstanz hatte, in die Nachfolge Karls gestellt und als Retter des christlichen Glaubens präsentiert wird.
Schließlich sei auf eine hier nicht eigens vorgestellte Kompilation von Strickers ›Karl dem Großen‹ verwiesen, die in eine ›Weltchronik‹ Heinrichs von München integriert wurde (Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 1.5.2 Aug. 2o, 178r–220r, Vv 450–12196). Die Illustrationen des bereits im letzten Drittel des 14. Jahrhunderts hergestellten Textes wurden zum großen Teil erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ausgeführt. Unter ihnen zeigt die erste, über drei Spalten reichende querformatige Darstellung in einem Bildfeld eine schrittweise Bekehrung der Heiden, von der Anbetung eines Götzen über die Zerstörung eines heidnischen Idols durch Roland bis zur Taufe dreier Kinder durch Bischof Turpin (
Karl der Große von dem Stricker. Hrsg. von