66.2.4. St. Gallen, Kantonsbibliothek, VadSlg Ms. 302
Bearbeitet von Kristina Domanski
KdiH-Band 7
Nicht vor 1300.
Zürich.
Um 1600 im Besitz des Bartholomäus Schobinger (1566–1604) belegt durch Zitate bei Melchior Goldast: Alamannicarum rerum scriptores aliquot vetusti. Frankfurt 1606, und Notizen desselben (Text 2, 31v, 32r, 33vb), vor 1740 an die Städtische Bibliothek (
1. | 1ra–214vb |
Rudolf von Ems, ›Weltchronik‹
Handschrift A
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2. | 1ra–76va |
Der Stricker, ›Karl der Große‹
Handschrift A
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Pergament, 292 Blätter, dazu je ein modernes Vor- und Nachsatzblatt aus Pergament (I,V) sowie drei Vorsatzblätter aus Papier (II-IV, dabei Blattverlust nach III); weitere Blattverluste: Text 1 fehlt die erste Lage, weiterhin fehlen drei Blätter vor 1, jeweils ein Blatt nach 19, 44, 56, 110, 144, 153, 189, 190, 204, 214, bei Text 2 fehlt je ein Blatt nach 40, 45, 47, 74, ein Doppelblatt nach 75, Doppelblatt 32–33 später hinzugefügt), moderne Foliierung bei Text 1 mit Bleistift 1–214 (95 doppelt gezählt) bei Text 2 mit Tinte 1–76, 300–305 × 205–210 mm, zweispaltig, 40 Zeilen, Schriftraum mit Tinte liniert; Textualis, vier Schreiber; erste Hand: Text 1, 1ra–207vb, als diejenige Konrads von St. Gallen, Chorherr am Fraumünster in Zürich, identifiziert; 110ra Einschub eines anderen Schreibers; zweite Hand: Text 1, 207vb bis Text 2, 29vb; dritte Hand: Text 2, 29vb–76va; von der vierten Hand nur die Nachtragsblätter 32ra–33rb in Text 2 (
überwiegend hochalemannisch (
58 Miniaturen in Deckfarbenmalerei auf Goldgrund erhalten, davon 47 zu Text 1 (15vb, 16v, 21v, 25v, 32v, 39r, 45v, 50r, 54v, 61r, 65r, 73v, 76v, 78v, 81r, 88v, 91r, 95r, 97v, 105v, 107v, 109r, 112r, 113v, 120v, 122v, 124v, 126v, 132v, 135v, 140v, 143r, 150r, 152v, 159v, 163v, 167v, 169v, 172v, 177r, 178v, 186v, 192v, 195r, 197r, 200v, 203v), vermutlich sieben Blätter mit Illustrationen verloren (nach Blatt 19, 56, 110, 144, 153, 189, 190). Zu Text 2 elf Miniaturen erhalten (3v, 6v, 25r, 26v, 35v, 50v, 52v, 55r, 62r, 66r, 71r), drei Blätter mit Bildern verloren (nach 40, 45, 47), wie die Zahl der fehlenden Verse nahelegt. Eventuell Verlust einer weiteren Miniatur mit dem Doppelblatt nach Blatt 75. Mindestens vier Maler einer Werkstatt, davon drei, die lagenweise verteilt die Miniaturen zu Text 1 herstellten, ein vierter für die Illustrationen zu Text 2 (
Die knapp ganzseitigen Miniaturen nehmen nahezu den ganzen Schriftspiegel ein (172–175 mm × 140–143 mm), horizontal in zwei Register unterteilt. Abweichungen von dieser Unterteilung nur bei Miniaturen zu Text 1. Zweifarbige Rahmen, jeweils die gegenüberliegenden Leisten in derselben Farbe, die Ecken mit Blattgold belegt. Ein zusätzlich eingestellter blauer Innenrahmen auf Blatt 26v. Die schwarz gefassten Rahmenleisten jeweils in Längsrichtung abschattiert in zwei Farbtönen, getrennt von einer weißen Linie, innenliegend der hellere Farbton. Der mittige Querbalken etwas breiter als die Außenleisten mit unterschiedlichen weißen Mustern verziert. Bildseiten relativ gleichmäßig über das Manuskript verteilt, in der überwiegenden Zahl den relevanten Textpassagen nachgestellt oder zwischen die visualisierten Erzählmomente eingefügt (z. B. 50v, wo sich die Darstellung des unteren Registers auf den nachfolgenden Text bezieht). Als Ausnahmen die Miniaturen 62r und 66r dem Text vorangestellt.
Meist eine Szene pro Bildfeld, nur bei 25r beide Register durch einen Binnenrahmen in je zwei Einzelszenen aufgeteilt, bei einigen Miniaturen zwei Szenen in einem Register (50v unten, 52v oben und unten, 55r unten). Meist zentrale, auf die Bildmitte ausgerichtete Kompositionen mit symmetrischem Aufbau, bei den Doppelszenen 50v unten eine Spiegelung durch die ähnlichen Körperhaltungen von Turpin und Roland, 52v oben eine parallele Komposition. Die Darstellung greift oftmals über den Rahmen hinaus, besonders bei den Kampfdarstellungen sprengen die Pferde über die Bildbegrenzung hinweg (26v, 35v, 50v, 62r), auch die Extremitäten der Figuren überschneiden verschiedentlich den Rahmen. Als Handlungsbühne dienen flache Landschaftsterrains, vereinzelt oder mehrere in verschiedenen Farben kombiniert. Bestimmend für den Gesamteindruck ist ein »heraldischer Stil« (
Die elf erhaltenen Bildseiten veranschaulichen folgende Szenen in jeweils zwei Registern (vgl.
1. Karl erhält das Schwert Durndart und das Signalhorn Olifant von einem Engel / Karl übergibt Schwert und Horn an Roland (3v),
2. Das Heer der Christen unter Roland schlägt die Heiden in die Flucht / Sturm auf Tortosa und die Zerstörung des Götzenbildes (6v),
3. Karl schlafend, seine drei warnenden Träume, verteilt auf vier Bildfelder (25r),
4. Roland erhält die Fahnenlanze / das Lanzenwunder (26v),
5. Das Heer der Christen unter der Führung Rolands und Turpins / Roland tötet König Alderot (35v),
6. Roland stößt ein Notsignal in sein Horn, neben ihm Turpin inmitten der Toten auf dem Schlachtfeld / Roland steht dem sterbenden Turpin bei und erschlägt selbst im Sterben einen Heiden mit dem Olifant (50v),
7. Roland versucht sein Schwert zu zerbrechen und überreicht seinen Handschuh einem Engel / Karl nimmt Schwert und Horn aus den Händen des toten Roland und ein Engel ermahnt ihn, den Kampf nicht aufzugeben (52v),
8. Der verwundete König Marsilies und die Bekehrung seiner Frau Pregmunda / Zerstörung der Götzenbilder und ihre Verfütterung an die Schweine (55r),
9. Heidenkönig Palligan lässt vor der Schlacht die Götzenbilder anbeten / Karl und Palligan im Zweikampf zu Pferd (62r),
10. Karl und Palligan im Zweikampf zu Fuß / Karl erhält Zuspruch aus dem Himmel (V 10274) und erschlägt Palligan (66r),
11. Karl betet, daneben die Toten auf dem Schlachtfeld, durch ein Wunder gekennzeichnet / Bestattung der Christen und Wunderheilungen an ihrem Grab (71r).
Die drei verlorenen Miniaturen zeigten möglicherweise den Sieg der Christen (nach 40), den Zweikampf Rolands mit Marsilies (nach 45) und den Tod Oliviers (nach 47). Die Szenen führen immer wieder göttliches Wirken und Eingreifen auf Seiten der Christen vor, indem göttliche Boten oder Erscheinungen (3v, 25r, 52v, 66r , 71r), z. B. die Übergabe der wundertätigen Waffen (3v), regelrechte Wunder wie das Lanzenwunder (26v) oder die Kennzeichnung der Gefallenen und die Wunderheilungen am Grab (71r), veranschaulicht werden. Gleichsam als kontrastierende Gegenüberstellung wird mehrfach die Zerstörung heidnischer Idole und die Abwendung vom heidnischen Glauben illustriert (6v, 55r). Einige Bildseiten sind durch die Szenenauswahl als inhaltlich aufeinander bezogene Bildpaare konzipiert (3v und 6v , 25r und 26v), indem auf der jeweils ersten Bildseite göttliche Unterstützung für Karl, das Überreichen der Waffen (3v) bzw. die Warnträume (25r), und auf der jeweils zweiten Bildseite der unmittelbare Erfolg der verliehenen Kräfte mit der Eroberung Tortosas (6v) bzw. dem Lanzenwunder (26v) zu sehen ist. Gleiches gilt für die Bildseiten 62r und 66r, wo zunächst Palligans Götzenanbetung (62r oben), dann sein zweifacher Kampf gegen Karl (62r unten und 66r oben) und schließlich Karls Triumph über Palligan, den eine göttliche Erscheinung am Himmel begleitet, gezeigt wird. Die auf Symmetrie und Spiegelungen bedachte Komposition der Einzelbilder scheint hier auf eine Bildsequenz übertragen, denn Palligans (fehlgeleitete) Anbetung richtet sich nach links, die beiden Kampfszenen sind zentral angelegt, während Karls Sieg und die Flucht der Heiden in der Leserichtung nach rechts gerichtet sind. Die kompositorischen Elemente wie Symmetrien, Parallelisierungen und Wiederholungen, die den Aufbau der einzelnen Szenen und der Bildseiten kennzeichnen, finden sich insofern in der Konzeption der Bildfolge als Ganzes wieder.
Goldgrund, Rosa, Rot, Blau, Grün, Grau, Gelb, Ocker.
Rudolf von Ems, Weltchronik. Der Stricker, Karl der Große. Faksimile der Handschrift 302 der Kantonsbibliothek (Vadiana) St. Gallen. Editionskommission
Taf. XXXIb: 50v. Roland und Turpin auf dem Schlachtfeld / Turpins Tod; Roland erschlägt den Heiden mit dem Olifanten.