36.0.3.Paris, Bibliothèque nationale de France, ms. allem. 222
Bearbeitet von Jeffrey F. Hamburger
KdiH-Band 4/1
Datierung:
Um 1430.
Lokalisierung:
Elsaß (Avril/Delaunay/Rabel II, in Vorbereitung).
Besitzgeschichte:
Aus dem Besitz der Margareta Zorne, Dominikanerin in Unterlinden, Colmar, 1423 nach Basel, 1429 erwählte erste Priorin in Himmelskron bei Worms (Av: S. Margred Zoͤrnin hör ich von weg S⟨wester⟩ Maria Helm[?]). Dann im Straßburger Kloster St. Nikolaus in undis, 1431 reformiert von Schwestern aus Basel und Unterlinden (Av: Dis búch gehoͤrt in daz closter zú sancte Matheus …, des heiligen apostelen vnd ewangelisten den man sprichet zú sancte Nicolaus in undis zü Stroszbourg brediger ordens (nach Johannes Meyer, Buch der Reformacio Predigerordens. IV. und V. Buch. Hrsg. von Reichert [1908] S. 53 und 79, haben die Nonnen aus Basel auf dem Weg nach Himmelskrone Station in St. Nikolaus in undis gemacht). 312v (Nachtragshand): Dis buͦch ist der schwestern zuͦ Sant Nicolaus ze Strasburg/Jeus annº CLXVII. Wohl seit dem 18. Jahrhundert im Besitz der Familie Augustin de Cernay (Sennheim, in der Nähe von Mulhouse): dasz buch gehört jetzt an Stefan Augustine in Sennheim, 1733 (Av), Ce livre apartient à la famille Augustin à Cernay, 1817 (312v), von der selben Hand die Vermerke auf 1v: A.c.lii geschr[ieben] anno 152 [sic], und, 248v: aº C.L.II (Signatur?), 312v: anno CLXVII. 1864 von dem Pariser Buchhändler Gauget von der Bibliothèque nationale erworben.
Zusatz: eia ich habe die lieben junckfrauen gar lieb
I. Kodikologische Beschreibung:
Papier (Wasserzeichen Piccard VIII, Nr. V–38: Basel, 1425, V–13: Baden, 1423, V–14, Hessen, 1430, und A mit Kreuz, ähnlich Briquet Nr. 7954: Colmar, 1423), A–B + 313 Blätter (A–313: ein Bifolium aus Pergament, beschrieben im 15. Jahrhundert mit lateinischen Texten), moderne Paginierung an der oberen Randmitte, 218 × 147 mm. Lagenformel: 1 VI14 + 2, 24 VI300, 1 VI313 + 1, mit Lagenzählung (vii–xxiiii, z. T. korrigiert oder durchgestrichen: 156v: xxv oben, xiii unten, 168v: xii oben, durchgestrichen und mit x ersetzt, 264v: xx oben, durchgestrichen und mit xviii ersetzt). Kursive, eine Hand, ab 125r Korrekturen und Nachträge von einer zweiten Hand, einspaltig, 26–34 Zeilen, rote zwei- bis vierzeilige Initialen, Rubrizierung, Caputzeichen, Strichelung.
Im Gegensatz zu allen anderen erhaltenen illustrierten Handschriften des ›Exemplars‹ bilden die Illustrationen eine Einheit, die Teile von zwei Lagen überspannt. Die von der Texthand geschriebenen Bildtitel und Inschriften sind z. T. gleichermaßen von Banderolen gerahmt.
Bildaufbau und -ausführung:
Der Pariser Zyklus besteht als einziger aus 13 statt aus zwölf Bildern. Die größere Zahl verdankt sich zum einen dem Umstand, daß jedes der Bilder, einschließlich Bihlmeyer Nr. 7 und 8, die in anderen Handschriften zusammen auf einer Seite plaziert sind, hier je eine ganze Seite einnehmen, zum andern der Hinzufügung (124v) einer weiteren Illustration mit dem Teufel, der ein junges Paar bedroht, das seine Hände zur Eheschließung verbindet (dis sint zwey lidende menschen). Diese Szene ist keine neue Erfindung, sondern ein Exzerpt aus der Allegorie des mystischen Wegs, das in allen anderen Handschriften einen Teil von Bihlmeyer Nr. 11 bildet. Die Herauslösung dieses Bildteils als selbständige Darstellung könnte dem Bedürfnis entsprungen sein, etwas bei dem Entwerfen von Bihlmeyer Nr. 11 (123v) Übersehenes nachzutragen, es könnte aber auch durch die davon unabhängige Ikonographie von »Tod und Mädchen« angeregt worden sein, die zu der Darstellung Verbindungen aufweist. Die auf 124v (s. u.) hinzugefügten Bildinschriften deuten auf die Verwirrung, die bei der Zusammensetzung der Handschrift entstanden war. Die Zeichnungen sind unfertig und nur roh ausgeführt, so daß sich ein sinnvoller Vergleich mit den Illustrationen anderer Handschriften ausschließt.
Bildthemen:
Dise bilde wisent der ewigen wisheit mit der sele geistlichen gemahelschaft, 118v oben, rot (Nr. 1); Dis bilde bewiset eins wol anvohenden menschen reislich gesuͦche noch goͤtlichen troste, 119r unten (Nr. 2); Dis nochgonde bilde meinet eins wol zuͦnemenden m[enschen] uͤbigen durchbruche, 119v oben (Nr. 3); Dis nochgonde bilde mit dem roͤslehten ringe betutet mengerleye liden in dem ein worer gottes frunde muͦs bewert werden, 120r oben (Nr. 4); Dis nochgonde erbermlich bilde zoͤiget den strengen vndergang etlicher usserwelten gottes frunden, 120v oben (Nr. 5); Dise bilde gebent zuͦ verstonde die troͤstliche vnderlibe Die got sinen lidern vnderwilent lot werden, 121r oben (Nr. 6); Dis oͤber bilde leret dem menschen wie er nutzlich sol liden, 121v ohne Banderole (Nr. 7); Dise nochgonde bilde vnd owawch von der ritterschaft bewisent aller got lidender m[enschen] himelschen trost in zite vnd ir grosse ere vnd loͤblich wirdikeit die su sollent besittzen in ewikeit, 122r oben (Nr. 8); Ritterlich kleide vnd ere soͤllent su messen ewiklich Die sich hie durch gotte lidens vnd midens nit lot verdriessen, 122v, oben (Nr. 9); Dis noch gonde bild zoͤiget wie ein úbervolles hertze gottes Das selb orarch gern gemeinsamte vil andern menschen, 123r oben (Nr. 10); kein Bildtitel [auf 124v abgesetzt, oben: Dise aller nehsten vorgonden bilde meinet ein suͦsses troͤsten mit himelschen worten aller trurigen hertzen] (123v = Bihlmeyer Nr. 11); kein Bildtitel [auf 124v abgesetzt, oben: Die do vor aller nehste bilde von den usflusse der gotheit bezeichent der blossen gotheit ie wsenheit in persoͤnlicher driheit Vnd aller creaturen vs vnd wider in geflossenheit Vnd zorariget den ersten begin eins anvohenden menschen vnd sinen oͤrdenlichen durchbruch des zuͦnemens Vnd den aller hoͤhsten úberswank úberweslicher volkomenheit] (Nr. 12: 124r); Der Teufel [Dis ist der welt minne Die nimmet mit iomer ein ende] (im 18. Jahrhundert von Stephan Augustin mit Neuer Teufel mit ein Matel bezeichnet) greift ein Ehepaar (von Augustin mit Die Verführung bezeichnet) bei ihrer Hochzeit (coniunctio dextrarum) an, unten zwei klagende Frauen [Dis sint zwey lidende menschen], 124v (die Szene gehört zu Bihlmeyer Nr. 12).
Huet (1895) S. 121. – Ferdinand Vetter: Ein Mystikerpaar des vierzehnten Jahrhunderts. Schwester Elsbeth Stagel in Töss und Vater Amandus (Suso) in Konstanz. Vortrag gehalten im Rathaussaale zu Bern. Basel 1882 (Öffentliche Vorträge gehalten in der Schweiz 12), S. 57. 60; Bihlmeyer (1907) S. 8*; Hofmann (1969) S. 175; Kuhlmann (1987) S. 237–240; Diethelm (1988) S. 167, Abb. S. 175 (118v). S. 179 (119r, falsch wiedergegeben als 119v). S. 183 (119v). S. 187 (120r). S. 193 (120v), S. 197 (121r). S. 201 (121v). S. 207 (122v). S. 213 (123r). S. 217 (123v). S. 222 (124r); Rüther/Schiewer (1992) S. 183. 193; Blumrich (1994) S. 191; Altrock/Ziegeler (2001) passim, Farbabb. 10 (199r); Avril/ Delaunay/Rabel (in Vorbereitung), Abb. 123r, 123v.