Die Lieder Oswalds von Wolkenstein (um 1377–1445) sind in drei Dichter-Sammlungen sowie verstreut in etlichen weiteren, nicht dichterspezifischen Sammelhandschriften überliefert (Zusammenstellung bei Klein/Wachinger [2015] S. XI–XXIII). Von den drei Dichter-Sammlungen entstanden zwei zu Lebzeiten Oswalds und in seinem Auftrag (hierin vergleicht sich Hugo von Montfort, siehe Untergruppe 76.4.). Sie sind durch ihre Autornähe die beiden zentralen Textzeugen für Oswalds Werk und offensichtlich auch zu repräsentativen Zwecken angelegt, auch wenn ungeklärt ist, in welchem Maß der Dichter Einfluss auf ihre Erstellung nahm (Robertshaw [1998]). Nr. 76.5.2. ist dabei von der Zusammenstellung und dem Erscheinungsbild heterogener, wohingegen Nr. 76.5.1. kaum Nachträge aufweist und von formaler Einheitlichkeit ist. Wie Timm (1972, S. 122f.) gezeigt hat, sind sie nicht voneinander abhängig, gehen aber auf dieselben Vorlagen zurück (zur kontrastiven Charakterisierung und zum Verhältnis der beiden Handschriften siehe auch Moser [1974]). Beide Handschriften enthalten ein ganzseitiges Autorbild. Das frühere Porträt, das den stehenden Dichter ganzfigurig zeigt, ist dabei nach Pfändtner (Katalogbeschreibung in Roland [2007] S. 286) an die Druckgrafik anschließbar (wie sie etwa in den Figuren Vogel-, Raubtier- und Blumen-Unter des sog. Meisters der Spielkarten greifbar wird), wohingegen das spätere individuellere Züge trägt. In den Bildern hat man den Wunsch des Autors gesehen, »in seinen Handschriften nicht nur sein Werk, sondern auch seine Person weiterleben zu lassen« (Neuhauser [1987b] S. 23). Laut Peters lassen diese Bilder jedenfalls das Konzept, auctoritas zu präsentieren, hinter sich und legen den Akzent der Darstellung vielmehr auf die gesellschaftliche Stellung des Dichters, womit sie »in die neue Welt persönlich-biographischer Werkherrschaft« führen (Peters [2008] S. 54).
Ungeklärt ist bisher die Funktion und Geschichte einer marginalen Federzeichnung von Oswald in der Handschrift Wolfenbüttel, Cod. Guelf. 11 Aug. 4o, 202v mit Texten von Plinius, Cicero und Petrarca aus der Mitte des 15. Jahrhunderts (Konrad [2005b, S. 373] datiert das Bild auf 1415). Gezeigt wird OSWALDUS D.. WO.. als stehende, vom Textblock angeschnittene Figur mit langem Bart und einfachem, gegürtetem Gewand; das rechte Auge ist geschlossen, vor ihm lehnt sein Wappenschild. Da die Illustration neben einem lateinischen Text steht, wird sie im Rahmen des KdiH nicht behandelt.
Weitere bildliche Zeugnisse des Dichters sowie die neuzeitliche Rezeption seiner Porträts untersuchen Konrad (2005b) und Andergassen (2011).