KdiH

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76.5.2. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2777

Bearbeitet von Nicola Zotz

KdiH-Band 8

Datierung:

1425 (38r; Nachträge bis mindestens 1436, siehe Timm [1972] S. 122).

Lokalisierung:

Tirol.

Besitzgeschichte:

1445 im Besitz Herzog Albrechts VI. von Österreich (1418–1463; Deutung des datierten Eintrags auf 59v durch Delbono [1977] S. 9–11), von ihm gelangte die Handschrift zu Pankraz von Auersperg (1441–1496; Besitzvermerk 61v). Wie sie in die Wiener Hofbibliothek gelangte, ist unbekannt (Delbonos Vermutung, sie sei zeitweilig in der Wiener Stadtbibliothek gewesen, ist laut Roland nicht haltbar, Delbono [1977] S. 13f., Roland [2000] S. 12).

Inhalt:
1r–61v Oswald von Wolkenstein, Handschrift A
108 Lieder Oswalds (1r–58r), darin Register (38r); Nachträge: zwei anonyme Minnestrophen (61r), Rezept gegen Läuse (61v)
I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament, 61 Blätter (nach Bl. 59 ist ein leeres Blatt herausgeschnitten), 368 × 270 (ab Bl. 39: 360 × 264) mm, Bastarda, neun Schreiber (a–i nach Schatz [1904], 1–9 nach Delbono [1977], der fünf Hauptschreiber und vier Schreiber für Nachträge oder kurze Passagen unterscheidet), einspaltig, Zeilenzahl wegen der Notenzeilen schwankend (bis zu 56 Zeilen), rote, bis 25r (erstes Blatt der vierten Lage) auch blaue oder rot-blaue Initialen für Gedichtanfänge (ein oder zwei Notenzeilen hoch, das entspricht etwa fünf oder zehn Textzeilen, manche mit einfachen ornamentalen Schaftaussparungen oder schlichtem Fleuronné), abwechselnd rote und blaue zwei- bis dreizeilige Lombarden für Strophenanfänge (Initialen und Lombarden ab 51r nicht ausgeführt), ab 45v (siebte Lage, Schreiber 7) vereinzelte Cadellen zu Beginn von Notenzeilen (häufig auf eine Initiale folgend), zahlreiche Melodien. (Zum Buchschmuck siehe auch Delbono [1977] S. 37–40.)

Schreibsprache:

bairisch-österreichisch (tirolerisch).

II. Bildausstattung:

Ein ganzseitiges Dichterporträt (Innenseite des Vorderdeckels).

Format und Anordnung, Bildaufbau und -ausführung, Bildthemen, Farben:

Nach dem Binden (aber vor dem Einschlagen der Handschrift in rotes Leder) in den vorderen inneren Einbanddeckel eingeklebte Ganzkörperdarstellung des Dichters (in schlechtem Zustand, da wegen des flexiblen Einbands stark abgesplittert); der umgeschlagene rote Einband begrenzt das Bild auf den drei Außenseiten und wurde durch einen gemalten roten Rand auf der Innenseite zu einem Rahmen für das Bild ergänzt. Unter der (heute schlecht zu lesenden) Beischrift Oswald Wolknstainner (so liest Delbono [1977] S. 36) steht der Dichter breitbeinig nach halb links gewendet auf einem grünen Rasenstück vor blauem Hintergrund. Bekleidet ist er mit einer Pelzmütze, einem knielangen schwarzen, am unteren Saum pelzverbrämten Rock mit weit gebauschten Pelzärmeln, unter denen an den Unterarmen das schwarze Untergewand sichtbar wird; vorne ist der Rock bis zum weißen (silbernen?) Gürtel, an dem der Knauf eines Dolchs sichtbar ist, geschlitzt. Darunter trägt der Dichter Beinlinge (rechtes Bein schwarz, linkes weiß) ohne Schuhe. Um den Hals hängt ihm die Kette des aragonesischen Kannenordens (ein Greif hält ein Schriftband in den Klauen; dieser Orden wurde Oswald im Jahr 1415/16 von der aragonesischen Königswitwe, Margarita de Prades, verliehen). Die Linke hat der Dichter an den Gürtel gelegt, in der erhobenen Rechten präsentiert er ein Blatt, auf dem der Anfang des auf der gegenüberliegenden Seite (1r) stehenden, programmatisch den Anfang der Sammlung bildenden Liedes unter einer Melodie notiert ist: Ain anefangk an gotlich, ein deutlicher Hinweis auf die Performanz (vgl. Spicker [1997] S. 181), die in der Tradition von Minnesang-Autorbildern sonst rar ist (vgl. die Handschriften unter Nr. 76.2.).

Auf dem Rasenstück stehen zwei Wappen: neben Oswalds linkem Bein das Stammwappen der Wolkensteiner (Vilanders zu Pradell), zweigeteilt mit drei weißen Spitzen auf blauem Grund oben und einer roten Fläche unten, zu seiner Rechten das spätere eigentliche Wolkenstein’sche Wappen mit schräger einreihiger roter Wolkenfeh, darauf als Helmzier zwei geschwungene, mit Pfauenspiegeln besteckte Hörner auf einer Krone.

Die Ausführung ist aufgrund des schlechten Erhaltungszustands kaum noch zu beurteilen, legte aber offenbar Wert auf plastische Gestaltung (Schatten auf dem linken Bein formen die Wade, auch scheinen weiße Höhungen auf dem linken Oberarm für eine Rundung gesorgt zu haben). Die Linienführung ist schwungvoll und sicher, dennoch hat die Figur etwas Steifes. Der Ausdruck »selbstbewußter, gebieterisch entschlossener Haltung« (Delbono [1977] S. 37) wird durch die großzügige Namens-Beischrift sowie die Tatsache unterstrichen, dass überhaupt ein ganzseitiges Dichterporträt die Handschrift eröffnet. Inwieweit es sich hier um ein ›naturgetreues‹ Porträt handelt, soll offen bleiben. Auffällig ist bereits hier, was in der wenige Jahre späteren, zweiten Liedersammlung Oswalds (Nr. 76.5.1.) noch deutlicher werden wird: Das Interesse dieses Bildes war nicht die Stilisierung oder Anpassung der Figur an ein gängiges Schönheitsideal, wovon das geschlossene (erblindete) rechte Auge, das breite Gesicht und der dicke Hals Zeugnis geben.

Faksimile:

Delbono (1977) (schwarz-weiß mit roter und blauer Kolorierung).

Literatur:

Menhardt 1 (1960) S. 277–286; Unterkircher 2 (1971) S. 37f. – Timm (1972); Delbono (1977) S. 9–45; Moser (2011).

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus; manuscripta.at 5471

Abb. 122: Vorderdeckel innen. Porträt Oswalds von Wolkenstein.

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Abb. 122.