87.4.1. Basel, Universitätsbibliothek, O II 26
Bearbeitet von Pia Rudolph
KdiH-Band 9
1476 (45v).
Hagenau (vgl. Wasserzeichen, WZI online, AT3800-PO-108271).
Zur Herkunft der Handschrift ist nichts bekannt.
2v–45v | ›Buch der heimlikeit‹ |
Papier, 48 Blätter, 285 × 205 mm, Bastarda, eine Hand, einspaltig, 28–31 Zeilen, Rubrizierung, zahlreiche Cadellen.
niederalemannisch.
17 kolorierte Federzeichnungen. Eine Hand.
Die Illustrationen umfassen etwa ein Drittel bis die Hälfte des Schriftspiegels (nur auf 19v nehmen die vier Bilder zu den Jahreszeiten die ganze Seite ein). In der Regel sind die Abbildungen vor Beginn des Kapitels angebracht, auf das sie sich beziehen, so dass die davor stehenden roten Überschriften auch über den Inhalt der Abbildungen Auskunft geben.
Die Illustrationen sind einfach schwarz gerahmt, ein blau lavierter Hintergrund deutet an, dass die Szenen im Freien zu verorten sind (außer: Himmelssphäre auf 25r). Meist ist ein grüner, zum Teil hügeliger Untergrund zu sehen. Selten deutet ein brauner Untergrund mit Sitzflächen doch eine Art Innenraum an, auch wenn der blaue Himmel sichtbar ist (4r, 10r, 22r, 28v). Vor allem der Faltenwurf ist gelungen, wodurch Plastizität erzeugt wird.
Die Illustrationen beziehen sich alle auf den Text, sind aber so allgemein gehalten, dass hier jeder Herrscher gemeint sein kann, was den Charakter eines Fürstenspiegels unterstreicht.
Einleitend werden in drei Illustrationen (2v, 3r, 3v) Briefübergaben gezeigt, die den Briefwechsel von Alexander und Aristoteles veranschaulichen und für das gesamte Werk stehen.
Auf 4r sitzt ein gekrönter Herrscher umgeben von sieben Gelehrten auf einem Thron, die Ikonografie verweist auf die sieben weisen Meister (siehe Stoffgruppe 119.), es folgen Hinweise zur guten Regierung, die mit zwei Sinnbildern illustriert werden, die sich mit Hilfe der rubrizierten Bildunterschriften benennen lassen: Gerechtigkeit (6v Ritter auf Elefant, er scheint sich mit einem Raben zu unterhalten, der auf einer Waage sitzt) und Weisheit (9v Dame auf zwei Tieren sitzend, eventuell ein Löwe und Esel, sie hält einen Hahn und eine Tasche in Händen). Auf 10r wird gesagt, dass der König oder Fürst sich von den Weisen beraten lassen solle, hierzu wird ein Mann auf einem Thron, der von drei Figuren umgeben ist, gezeigt, zwei davon nähern sich ehrfürchtig, die dritte mit erhobenem Finger scheint den Thronenden zu unterweisen. Bevor das dritte Buch beginnt, das sich mit dem leiblichen Wohl auseinandersetzt, werden die Ausführungen zur guten Regentschaft mit einem Bild des gekrönten Alexander am Schreibpult abgeschlossen. In der linken Bildhälfte steht ein Altar, darüber erscheint das Gesicht Gottes (11v).
12v Ein König mit einer Dame auf einem Rasenstück, neben ihnen ein Lautenspieler; der Text warnt vor Wollust. 14v Gelehrter mit Astrolabium vor einem Lesepult, über ihm Sterne; im Text wird der Lauf der Sterne und Planeten erklärt. 19v Repräsentative Darstellungen zu den vier Jahreszeiten: Paar vor einer Badewanne, in der ein Kind sitzt (Frühling; links oben), Frau bei der Kornernte (Sommer; rechts oben), zwei Männer bei der Weinlese (Herbst; links unten), Mann vor einem Feuer (Winter; rechts unten); Textbeginn auf 20r Von den vier zytten des Jars vnd ir eigenschaft.
Das nächste Buch handelt erneut von der Ordnung der Dinge und des Regierens, zunächst von der Weisheit. Der orientalisch gekleidete Herrscher ist im Bild von zwei Frauen flankiert (22r), die wohl die Weisheit verkörpern sollen (die linke Dame gleicht der Figur der Weisheit auf 9v). 25r eine Himmelssphäre zur Repräsentation der Ordnung der Dinge. Auf 28v gibt der Meister (am Pult) sein Wissen an seine Schüler weiter, die vor ihm auf dem Boden sitzen. Auch die Ritterlichkeit spielt im Text eine Rolle, die durch zwei kämpfende Ritter zu Pferd dargestellt wird (29r). Um Hunger vorzubeugen, müsse der kluge Herrscher Vorräte anlegen, dies wird im Bild durch einen Kornspeicher dargestellt (34v). Vor Beginn des Kapitels zur Physiognomie wird einem Gelehrten von einem Boten ein Porträt überreicht, das dieser offenbar analysieren soll (37v).
Der geschickte Illustrator kann auf kein festes Bildprogramm zurückgreifen und hatte wohl genaue Textkenntnis oder arbeitete in Absprache mit dem Schreiber/Auftraggeber der Handschrift. Er war offenbar sehr gut mit anderen Bildtraditionen vertraut, die er für das komplexe Programm heranzog (der Kornspeicher mit Aufzug [34v] könnte aus Hausbüchern [Nr. 49a.] bekannt gewesen sein, der Sterndeuter [14v] aus dem ›Iatromathematischen Hausbuch‹ [Nr. 87.1.] und die Darstellungen zu den Jahreszeiten [19v] aus Kalendern [Nr. 65.]).
kräftiges Blau und Rottöne, bräunliches Grün, Gelb, Inkarnatfarbe.
Abb. 99: 37v. Zur Physiognomie: Übergabe eines Porträts.