KdiH

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99.0.1. Bern, Burgerbibliothek, Cod. AA 91

Bearbeitet von Gabriel Viehhauser

KdiH-Band 9

Datierung:

Fertiggestellt 27. Januar 1467 (176rb; die Jahreszahl erscheint auch in Besitzeinträgen auf Iv und 176rb, ist dort aber aus 1468 korrigiert).

Lokalisierung:

Alemannischer Raum (Konstanz? vgl. den Schreiberkolophon auf 176rb).

Besitzgeschichte:

Erster nachweisbarer Besitzer ist der Berner Ratsherr Jörg Friburger (Besitzeinträge auf Iv und 176rb), der möglicherweise auch der Auftraggeber der Handschrift gewesen sein könnte (auf das Umfeld Friburgers verweist auch ein als Einbandmakulatur verwendetes Testament von dessen 1438 verstorbenem Vater, Gilyan Friburger). Im Besitz der Berner Bibliothek war die Handschrift vermutlich erst ab Anfang des 19. Jahrhunderts. Während der von 1769 bis 1773 erstellte Katalog von Johann Rudolf Sinner die Handschrift noch nicht erwähnt, vermerkt Friedrich Heinrich von der Hagen nach seinem Besuch der Bibliothek am 25. September 1816, dass der Codex »noch nicht lange hier« sei (von der Hagen [1818] S. 205).

Inhalt:
1ra–176rb Wolfram von Eschenbach, ›Parzival‹
Handschrift R; aufgrund einer Zerstörung der ersten Lage und einer fehlerhaften Vorlage Lücken und Umstellungen zu Textbeginn
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, 180 Blätter + ein Vorsatzblatt (sowie jeweils ein aus Gilyan Friburgers Testament gebildetes Vor- und Nachsatzblatt am vorderen und hinteren Einbanddeckel), 310 × 215 mm, Bastarda, ein Schreiber (Explicit barczifal 3a ante purificacionis marie Anno etc. lxvijo per me Joh. Stemhein [Steinhein?] de Constancia vielleicht auch Stemheim oder Steinheim, 176rb), zweispaltig, 34–42 Zeilen, rote Überschriften und Umrandungen mit schwarzer Tinte, 18 Großinitialen von vier- bis achtzeiliger Höhe sowie zweizeilige Lombarden.

Schreibsprache:

alemannisch.

II. Bildausstattung:

28 kolorierte Federzeichnungen, ein Maler.

Format und Anordnung:

Die Verteilung der Bilder über die Handschrift ist auffällig und korrespondiert mit zwei unterschiedlichen Herangehensweisen an deren Ausführung: Die ersten 20 Bilder begegnen bereits im ersten Drittel des Codex (bis 63v) und erstrecken sich zumeist über beide Spalten und über eine Höhe von einem Drittel bis zur Hälfte des Schriftraums (Ausnahmen: das Bild auf 21r ist nur einspaltig, die Bilder auf 47r, 47v und 61v sind ganzseitig ausgeführt). Nach einer längeren unbebilderten Strecke sind dann im letzten Drittel zwei Abschnitte mit zwei mal zwei ganzseitigen Bildern ausgestattet.

Diese ungleiche Verteilung setzt nicht nur inhaltliche Akzente, sondern könnte auch auf eine konzeptionelle Änderung während der Arbeiten an dem Codex hindeuten, die vielleicht, wie Curschmann (1992a) erwogen hat, die Abwendung von einem älteren Modell mit kleineren Bildern hin zu einem zeitgemäßeren Layout mit ganzseitigen Illustrationen mit sich brachte. Gestützt wird diese Annahme durch zahlreiche Diskrepanzen, die sich insbesondere im ersten Teil zwischen den mit roter Tinte geschriebenen Bildüberschriften und den Illustrationen finden lassen. Diese Diskrepanzen betreffen nicht nur den Inhalt der Bilder, sondern auch strukturelle Eigenheiten: So werden im Text einzelner Rubriken wiederholt unterschiedliche Szenen miteinander verknüpft, deren potentielle Ausführung in mehreren Bild(teilen) explizit angesprochen wird. Das prononcierteste Beispiel hierfür bietet die Rubrik zum Bild auf 20r, die gleich vier Szenen aus Parzivals Kindheitsgeschichte aufgreift und dann mit der Wendung vnd sind vier figuren nach ein ander schließt. In der Forschung wurde erwogen, dass diese Angaben nicht unbedingt Malanweisungen gewesen sein müssen, sondern dass der Rubrikator hier die Bildanordnung beschrieben hatte, die er in seiner Vorlage sah (Curschmann [1992a]). Der Illustrator des Codex hat jedenfalls trotz dieser mehrteiligen Rubriken immer nur eine Illustration pro Bildraum ausgeführt, was zu einigen Konfusionen im Zusammenspiel von Text, Überschriften und Bild geführt hat – vielleicht auch deshalb, weil er durch die unklaren Rubriken auf sich alleine gestellt war und nach eigenen Lösungen suchen musste. Diese Unstimmigkeiten könnten die Umstellung auf das ›neue‹ Modell im hinteren Teil (118r–166v) befördert haben.

Bildaufbau und -ausführung:

Die Bilder sind zumeist mit einer Rahmenlinie vom Text abgesetzt. Im Gegensatz zu den ›Parzival‹-Handschriften aus der Lauber-Werkstatt sind Angaben zu Landschaft, Kleidung bzw. Rüstung der Figuren oder Architektur detaillierter umgesetzt, so dass sich von einer Neigung zu einer ›realistischen‹ Darstellung sprechen lässt (etwa in der genauen Schilderung von Kampfabläufen, vgl. Saurma-Jeltsch [1992] S. 149). Charakteristisch ist eine Vorliebe für geschlossene Kompositionen mit Zentrierung und symmetrischem Bildaufbau.

Bildthemen:

Ein vollständiges Verzeichnis der Bildthemen bietet Stolz (2020, S. 309).

Durch die Zweiteilung des Programms ergibt sich eine entsprechende unterschiedliche Schwerpunktsetzung. Die Bilder aus dem ersten Teil illustrieren fast ausschließlich Parzivals Kindheitsgeschichte und seinen Aufstieg zum Artusritter. Lediglich die erste Darstellung auf 8r greift ein (für den Handlungsverlauf nicht allzu relevantes) Detail aus der Vorgeschichte um Parzivals Vater Gahmuret auf (die Übergabe der Rüstung Isenharts). Wenngleich nicht alle Bildmomente genau zum Text stimmen, sind die Darstellungen immer wieder durch Details als textbezogen gekennzeichnet. Dies trifft auch auf in Ansätzen seriell wirkende Empfangs-, Gesprächs- und Kampfszenen zu – etwa wenn Parzival im Bild auf 28v, das seinen Kampf mit Ither zeigt, zwar in einer ähnlichen stereotypen Bildformel wie in anderen Kampfszenen (vgl. 38r, 40v, 52v, 58r), aber auf den Text Bezug nehmend in einem Narrenkleid dargestellt wird. Das Narrenkleid als Erkennungszeichen wird dann auch im vorangehenden und dem folgenden Bild umgesetzt.

Die erste Teilstrecke des Bildprogramms bricht mit der den Gattungskonventionen des Artusromans entsprechenden Krise des Protagonisten am Artushof ab, als Parzival auf seine Schuld auf der Gralburg hingewiesen wird (63v). Unter Umständen könnte der Abbruch an dieser Stelle darauf hindeuten, dass die Darstellung problematischer Aspekte des Helden vermieden werden sollte.

Im letzten Drittel der Handschrift widmen sich zunächst vier Bilder der Gawan-Handlung (118r, 118v, 126r, 128r). Die ersten beiden Illustrationen beziehen sich auf die Aventiure von Schastel Marveile, die zweiten auf die Gawan-Orgeluse-Handlung. Die abschließende Strecke von zwei mal zwei Bildern (156v, 158v, 165v, 166v) fokussiert dann wieder auf Parzival, zunächst auf den Kampf und die Versöhnung mit dessen Halbbruder Feirefiz, alsdann auf den gemeinsamen Ritt zur Gralburg mit der Gralbotin Kundrie. Unterschiedlich ist dabei der Umgang mit unkonventionellen Figurendetails ausgefallen: Während Feirefiz dem Text entsprechend mit teils schwarzer, teils weißer Hautfarbe dargestellt wird, ist die im Text ausführlich geschilderte Hässlichkeit Kundries nicht ins Bild umgesetzt, Kundrie erscheint als konventionelle höfische Dame. Ob damit ›unhöfische‹ oder, wie vielleicht im ersten Teil, problematische Aspekte abgemildert werden sollten oder ob der Illustrator sich über den Status Kundries schlicht nicht im Klaren war, muss letztlich offen bleiben.

Farben:

Rot, Ocker, Grün, Grau.

Literatur:

von Scarpatetti 2 (1983) S. 15 (Nr. 31). – Benziger (1914a); Benziger (1914b) S. 6–20, 44–47; Schirok (1982) S. 44, 142; Schirok (1985) S. 6, 154–181; Curschmann (1992a); Ott (1992c) S. 121; Saurma-Jeltsch (1992) S. 149f.; Drecoll (2000) S. 331, 369, 442, u. ö.; Stolz (2002); Stephan-Chlustin (2004) S. 187–259; Obermaier (2005); Stolz/Viehhauser (2006) S. 337–344, 349–351; Mertens Fleury (2008) S. 139–155; Stolz (2009); Viehhauser (2009); Klein (2011) S. 944; Domanski/Krenn (2012); Schirok (2011) S. 341–345; Schmitz (2012) S. 240–243, 286 (Abb. 6); Meyer (2015) S. 192–198; Ohlendorf (2015); Ohlendorf (2017) S. 33–37, 135–178; Stolz (2020) S. 308–326, 336–361.

Abb. 205: 28v. Parzival tötet Ither.

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Abb. 205.