72. Lanzelot
Bearbeitet von Kristina Domanski
KdiH-Band 8
Lanzelot darf neben Gawan, Iwein und Erec als eine der bekanntesten Figuren der fiktionalen Artuswelt gelten, denn aufgrund seines herausragenden Rittertums nimmt er einen unbestrittenen Platz an der Tafelrunde ein. Als namensgebender Protagonist tritt er im deutschsprachigen Raum seit Ende des 12. Jahrhunderts zum einen in Ulrichs von Zatzikhoven Versroman ›Lanzelet‹ als auch in dem anonymen Prosaroman, dem ›Prosalancelot‹ (Lancelot-Gral-Prosaroman) aus der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts auf. Beide Werke folgen zeitnah entstandenen französischen Vorlagen, unterscheiden sich voneinander aber nicht nur in der literarischen Form und im Umfang, sondern auch hinsichtlich ihres Inhalts. Trotz der recht spärlich erhaltenen Textzeugen müssen sie eine beträchtliche Bekanntheit besessen haben, wie zahlreiche literarische Verweise nahelegen.
Gewöhnlich wird Ulrich von Zatzikhoven mit dem capellanus Uolricus de Cecinchon, plebanus Loumeissae (Zezikon bzw. Lommis im Kanton Thurgau) identifiziert, der in einer 1214 datierten Urkunde genannt wird. Weitere Kenntnisse zu Autor, Datierung und Auftraggeberschaft beschränken sich auf die Angaben Ulrichs im Epilog seines Werkes. Demnach folgt die Erzählung einem welschen buoch aus dem Besitz des Hugh de Morville, eines der Begleiter Richards Löwenherz auf dem Kreuzzug, das er auf die Bitten lieber vriunde (V 9342) ins Deutsche übertrug. Da Richard Löwenherz – wie Ulrich gleichfalls erwähnt – auf der Rückkehr vom Kreuzzug von Herzog Leopold als Geisel genommen wurde, bietet sein Bericht nicht nur einen Terminus post quem von 1194, sondern auch einen Hinweis auf die materiellen Verbreitungswege französischer Literatur im deutschen Sprachraum. Zudem lässt sich der Umstand, dass ein Kreuzritter auf dem Weg ins Heilige Land einen Codex mit dem Epos eines Artusritters mit sich führte, auch als Zeugnis des identifikatorischen Potentials epischer Literatur lesen (
Für die spätere literarische und ikonografische Rezeption sind diese Motive von enormer Bedeutung, die Liebe Lanzelots zur Königin Ginover wird vielfach als Exempel der höfischen Minne zitiert, etwa auch in der Manessischen Liederhandschrift, wo in der Illustration zum Dichter Alram von Gresten beim Minnegespräch die Dame ihrem Begleiter unter einem mit AMOR beschrifteten Schild aus einem aufgeschlagenen Buch die ersten Worte aus Ulrichs ›Lanzelet‹ vorliest (Heidelberg, Cod. Pal. germ. 848, 311r, siehe Nr. 76.2.2.). In der Bildüberlieferung gehört die Darstellung Lanzelots auf der Schwertbrücke zu den verbreiteten Motiven höfischer Literatur. Sie findet sich etwa im Bildprogramm einer Reihe von Elfenbeinkästchen aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, die offenbar nach ein und demselben Modell in Paris gefertigt wurden. Diese Schatullen, deren frühestes Exemplar wohl bereits zu Beginn des Jahrhunderts entstand (Musée de Cluny, MNMA Cl. 23840, La Légende du Roi Arthur [2009] Kat.-Nr. 65, S. 162), zeigen eine Zusammenstellung von Szenen aus verschiedenen Romanen und kombinieren einen Kampf um das Château d’amour auf dem Deckel mit Darstellungen zu Aristoteles und Phyllis und dem Jungbrunnen auf der Vorderseite, der Baumgartenszene aus ›Tristan‹, einer Einhornjagd und einer Darstellung Galahads an den Seitenwänden und schließlich Lanzelots Überquerung der Schwertbrücke und Gawans Abenteuer auf dem gefährlichen Bett auf der Rückseite (
Im deutschen Sprachraum erfährt die Figur Lanzelots im 15. Jahrhundert in mehrfacher Hinsicht eine erneute literarische Auseinandersetzung. Zum einen schafft Ulrich Füetrer mit seinem ›Lanzelot‹ einen Prosaroman mit dem Protagonisten. Zum anderen fertigt er eine weitere strophische Fassung im dritten Teil des ›Buchs der Abenteuer‹ an, das er Herzog Albrecht IV. von Bayern widmet (siehe Stoffgruppe 19. Ulrich Füetrer, ›Das Buch der Abenteuer‹). Neben den beiden Neubearbeitungen Füetrers entsteht zum anderen eine Neuübersetzung des ›Prosalancelot‹, von der eine spätere, in Paris erhaltene Abschrift zeugt (siehe unten Nr. 72.2.2.). Diese Bearbeitungen des Stoffs fallen zeitlich mit der Spätphase der handschriftlichen Überlieferung der älteren Fassungen des Stoffes zusammen, so dass die meisten Manuskripte aus dem 15. Jahrhundert bezeugt und erhalten sind.
Insgesamt bleibt der Umfang der materiellen Zeugnisse jedoch für alle Versionen der Stoffbearbeitung in der Zahl gering und in der Bildausstattung bescheiden. Dies gilt nicht nur im Vergleich zur Überlieferung der französischen Vorlage des ›Prosalancelot‹, von der zahlreiche Exemplare mit umfangreichen Bildzyklen erhalten sind (
Die Diskrepanz zwischen dem Renommee Lanzelots als »des besten ritters von der welt« (
Demgegenüber ließe sich überlegen, ob nicht die bis auf Fragmente reduzierten frühen schriftlichen Textzeugen gemeinsam mit den wenigen späten, zum Teil von namhaften Büchersammlern beauftragten Handschriften und den Nachweisen in den Bibliotheken adeliger Literaturinteressierter vor dem Hintergrund der literarisch und durch bildliche Darstellungen vielfach bezeugten Bekanntheit als Hinweis auf eine ›konsumierende‹ Rezeption zu deuten sind, bei der Abschriften schlichtweg zerlesen wurden, bevor eine auf Bewahrung angelegte Sammeltätigkeit von Buch- und Literaturliebhabern einsetzte. Erst im Verlauf des 15. Jahrhunderts beginnt ein institutionalisierender, den klösterlichen Bibliotheken vergleichbarer Umgang mit literarischen Texten, der den Erhalt der handschriftlichen Textzeugen begünstigte und immerhin in einigen Fällen erfolgreich war.
Nr. 19. Ulrich Füetrer, ›Das Buch der Abenteuer‹