19. Ulrich Füetrer, ›Das Buch der Abenteuer‹
Bearbeitet von Ulrike Bodemann
KdiH-Band 2
In der umfangreichsten Epensumme des deutschen Spätmittelalters faßt der Münchner Maler Ulrich Füetrer in den achtziger Jahren des 15. Jahrhunderts zahlreiche Stoffe der Ritterdichtung, darunter auch ansonsten nicht überlieferte Stoffe, in strophische Zyklen zusammen. Der Gral-Tafelrunde-Zyklus nach der Wolfram-Tradition bildet dabei den ersten Teil des ›Buchs der Abenteuer‹. Ihm sind als zweiter Teil sieben Einzelstücke angeschlossen, die sich offenbar in die genealogische Struktur des ersten Teils nicht integrieren ließen. Das gesamte ›Buch‹ war vermutlich 1487 abgeschlossen. Der ›Lanntzilet‹, ein Zyklus nach dem Lancelot-Gral-Prosaroman aus französischem Stamm, entstand wohl erst nach 1487; trotz deutlicher Anlehnung an das ›Buch der Abenteuer‹ ist er als selbständiges Werk angelegt (siehe Stoffgruppe 72.) und erweist sich auch in seiner meist mit dem ›Buch der Abenteuer‹ verknüpften Überlieferung als eigenständig.
Das ›Buch der Abenteuer‹ widmet Füetrer Herzog Albrecht IV. von Bayern, dem er sowohl durch Mal- und Ausstattungsaufträge des Hofes als auch durch persönliche Kontakte mit Hofmitgliedern eng verbunden war. Die Anfangswörter der Strophen 10–29 ergeben akrostichisch Albrechts Namen: Dem Durchleuchtigenn Hochgebornn Fürstenn Unnd Herren Herren Albrecht Pfallcz Graf Bey Rein Herzog Inn Obernn Unnd Nidernn Bayern Ett Zettera. Auch in der stofflichen Aufbereitung und im Aufbau ist das ›Buch‹ vom Autor auf die spezielle Situation des Münchner Hofes Herzog Albrechts hin konzipiert mit der Intention, Albrechts Hof mit dem Glanz des Artushofes zu identifizieren.
Die Funktion dieser wittelsbachischen Hofdichtung scheint sich folglich auch ganz innerhalb eines engen Interessentenkreises zu entfalten und zu erschöpfen. Die Überlieferung ist spärlich; in ihrem Zentrum steht die Münchner Großfolio-Handschrift Cgm 1 mit Deckfarbeninitialen und -ranken (Nr. 19.0.1.), deren prachtvolle Wappentafel sie als Eigentum Albrechts selbst ausweist. Mehr als Repräsentationsobjekt denn als Lesehandschrift anzusehen, hat sie vielleicht im Münchner Cgm 247 ein tatsächlich für den herzoglichen Gebrauch bestimmtes Pendant, das allerdings nur den ersten Teil des ›Buchs der Abenteuer‹ enthält. Der Cgm 247 stammt aus dem Münchner Pütrich-(Franziskanerinnen-)Kloster, in das nach Albrechts Tod seine Witwe Kunigunde übersiedelte. Unter den Handschriften, die sie aus der Hofbibliothek ins Kloster mitnahm, dürfte sich auch das ›Buch der Abenteuer‹ befunden haben. Wie die Handschrift der Österreichischen Nationalbibliothek, Cod. 2888 (nur ›Merlin‹), stammt vermutlich auch die ehemals Donaueschingener Handschrift (Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Donaueschingen 140: nur ›Poytislier‹ und ›Flordimar‹) aus dem Besitz der schwäbischen Grafen von Zimmern und wurde vielleicht für den literaturinteressierten Grafen Johann Wernher von Zimmern (1454–1495) geschrieben. Sein Interesse richtete sich wohl weniger auf die Huldigung des Bayerischen Hofes und Herzogs als auf bestimmte Stoffe des Ritterzyklus: ›Merlin‹, ›Poytislier‹ und ›Flordimar‹ sind heute in älteren Bearbeitungen nicht bekannt und könnten auch für einen Sammler des späten 15. Jahrhunderts schon den Status literarischer Raritäten gehabt haben. Beide Handschriften sind mit dem Cgm 247 vergleichbare Leseexemplare ohne Illuminationen.
Vom Cgm 1, Albrechts Auftrags- oder Geschenkexemplar, unterscheidet sich dessen Schwesterhandschrift, der Codex 3037–38 der Österreichischen Nationalbibliothek (Nr. 19.0.2.), im Text so wenig, daß die beiden Exemplare als austauschbar gelten; gleiche überdimensionale Größe (die Wiener Handschrift ist mehr als 45 cm, die Münchner fast 55 cm hoch), nahezu gleiche Einrichtung und Ausstattung (zweispaltig, geplante bzw. ausgeführte Deckfarbeninitialen an den Kapitelanfängen), ähnliche Schreiberaufteilung vertiefen die Parallelen. Beide Handschriften könnten unter ähnlichen, vielleicht übereinstimmenden Umständen entstanden sein, die Wiener Handschrift eventuell als Kopie der Münchner Handschrift oder deren Vorlage. Doch läßt sich weder die vielerorts vermutete Anfertigung beider im Benediktinerkloster Tegernsee, noch die Herkunft der Wiener Handschrift aus dem Besitz Kaiser Maximilians I. endgültig bestätigen. Daß zumindest der Cgm 1 in Tegernsee entstand, hielt
Neben dem, was die beiden gleichermaßen als Repräsentationsobjekte angelegten Handschriften verbindet, ist deshalb hier auch das sie Trennende in den Blick zu nehmen: Von der Münchner Handschrift unterscheidet sich die Wiener durch eine wahrscheinlich erst nachträgliche, gleichwohl aber noch zeitgenössische Erweiterung des Illustrationsprogramms durch eine Folge von szenischen Handlungsbildern. Ihre Ausführung als kolorierte Federzeichnungen blieb allerdings in den Anfängen stecken, ebenso wie die der vorgesehenen Zierinitialen, von denen nur diejenigen der ersten Textseite des Cod. 3037 realisiert wurden, womit die Wiener Handschrift im Ausstattungsniveau um einiges hinter der Münchner zurückblieb.
Merlin und Seifrid de Ardemont von Albrecht von Scharfenberg. In der Bearbeitung Ulrich Füetrers. Hrsg. von