KdiH

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72.2.2. Paris, Bibliothèque nationale de France, Bibliothèque de l’Arsenal, mss. allem. 8017–8020

Bearbeitet von Kristina Domanski

KdiH-Band 8

Datierung:

Vor 1539/1576 (Kolophone).

Lokalisierung:

Süddeutschland (Schreibsprache), Elsass (Vorbesitzer).

Besitzgeschichte:

Dem Wappen (Br) nach aus dem Besitz des J. Wolfhelm Bock von Blaesheim (1522–1597), Mitglied des elsässischen Adelsgeschlechts, seit 1566 mit dem Dorf und dem Schloss Blaesheim belehnt (Nachweise bei Heider [2000]), im 18. Jahrhundert in der Büchersammlung des Joseph-Louis Baron d’Heiß im Schloss Maffliers, zwischen 1781 und 1785 von Antoine-René de Voyer d’Argenson, Marquis de Paulmy, dem Gründer der Bibliothèque de l’Arsenal, erworben.

Inhalt:
1. 1r–317v ›Prosalancelot‹, erster Teil
2. 318r–572v ›Prosalancelot‹, zweiter Teil
3. 573r–722v ›Prosalancelot‹, dritter Teil
4. 723r–925r ›Prosalancelot‹, vierter Teil
926r–935r Register der Personen und ihrer Taten
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, 935 gezählte Blätter, in vier Bände gebunden, je Band jeweils zwei Vor- und Nachsatzblätter jüngeren Datums, Bd. 1 (ms. allem. 8017): 319 Blätter (A, B + 317), nummeriert 1–317, Bd. 2 (ms. allem. 8018): 255 Blätter, nummeriert von 318–572, Bd. 3 (ms. allem. 8019): 150 Blätter, nummeriert von 573–722, Bd. 4 (ms. allem. 8020): 215 Blätter (213 gezählte Blätter + [II]), nummeriert 723–935, zeitgenössische Foliierung oben rechts in schwarzer Tinte, mit dem Register (926r–935r) übereinstimmend, 450 × 290 mm, Kurrentschrift, eine Hand: Christoph Crispinus (317v Ennde des Erstenn Thaÿls der Tafelronnde vnnd Lanntzlots vom Lac etc: Actum die Veneris, ante Mathei Apostoli: Anno etc: 1539; 925r Scriptum et per me Christophorum Crispinum finitum 12 Septembris Anno Salutis nostræ 1576), einspaltig, bis zu 49 Zeilen, eingerückte Kapitelüberschriften in Fraktur.

Schreibsprache:

bairisch.

II. Bildausstattung:

Vier unkolorierte Federzeichnungen von einer Hand (Ar, Bv, 572v, 935r), das mit Feder gezeichnete blühende Herz unter dem Explizit des dritten Teils (722v) wird wegen geringer Größe (15 × 15 mm) im Folgenden vernachlässigt; ein ganzseitiges, farbiges Wappen (Br) von anderer Hand.

Format und Anordnung:

Das Wappenbild (Br) ungerahmt und ganzseitig. Die Federzeichnung auf dem Titelblatt ungerahmt (Ar), zwei Bildfelder mit schlichten Rahmenleisten eingefasst und dreidimensional hinterfangen (Bv, 572v), die letzte Federzeichnung mit einfacher Linie gerahmt (935r). Der überwiegende Teil der bildlichen Ausstattung ist dem Text vorgeschaltet: eine Federzeichnung auf dem Titelblatt (Ar), das Wappenbild (Br) sowie eine weitere Federzeichnung, in die der Prolog des Romans integriert ist (Bv). Die beiden übrigen Federzeichnungen sind am Ende eines Bandes (572v) bzw. am Ende des Textes (935r) platziert, so dass die Anordnung durch die visuelle Hervorhebung von Textbeginn und -ende funktionalen Charakter aufweist. Zugleich lassen sich die Bildthemen (siehe unten) als Verweise auf den Inhalt verstehen.

Bildaufbau und -ausführung:

Federzeichnungen und Wappenbild unterscheiden sich im Hinblick auf Technik und Ausführung so markant, dass zwei verschiedene Urheber angenommen werden können. Das ganzseitige Wappenbild (etwa 370 × 240 mm), das unter einem Schriftband mit dem Namen J. Wolffhelm Bock das Wappen mit einem nach links aufsteigenden silbernen Steinbock auf rotem Grund zeigt, weist eine nuancierte farbige Abschattierung auf. Die dadurch erreichte ausgeprägte Plastizität sowie die präzise Gestaltung der Details – etwa der Ranken auf dem Grund des Schildes – und die perspektivische Einheitlichkeit lassen an die Ausführung durch einen professionellen Schildermaler denken.

Die Strichführung der Federzeichnungen imitiert bei der Schattengebung mit feinen Kreuzschraffuren, kurzen Haken und dichtgesetzten Punkten das Aussehen von Tiefdrucktechniken wie Kupferstich oder Radierung. Die relativ starke, gleichmäßige, an einigen Stellen mehrfach nachgezogene Kontur der Figuren sowie einige perspektivische Unstimmigkeiten, z. B. bei den Proportionen des auferstandenen Christus der überlängte Rumpf und das Schreitmotiv mit leicht verdrehtem linken Fuß (Ar), legen nahe, dass es sich um Adaptionen druckgrafischer Vorlagen handelt. Von den weit verbreiteten Darstellungen des auferstandenen Christus bekannter Meister wie Albrecht Dürer, Lucas Cranach oder Albrecht Altdorfer aus dem frühen 16. Jahrhundert, die motivische Ähnlichkeiten wie den schraffierten Kreuznimbus, die Kreuzfahne mit doppeltem Querbalken oder das dynamische Schreitmotiv aufweisen, lässt sich jedoch keine als unmittelbare Vorlage ansprechen. Gleiches gilt für die gewappneten Ritter (Bv, 572v), die nach Vorlagen wie dem ›Augsburger Geschlechterbuch‹ von Hans Burgkmair d. J. und Heinrich Vogtherr d. J. (1545–1547) gearbeitet sein dürften (Das Augsburger Geschlechterbuch [2012]). Keine der Radierungen, die zum Teil auf Entwürfe Hans Burgkmairs d. Ä. für die ›Genealogie Kaiser Maximilians I.‹ (1509–1512) zurückgreifen (siehe Stoffgruppe 86. Maximilianea), ist als unmittelbare Vorlage anzusehen, doch sind deutliche Ähnlichkeiten in den statuarischen Posen und den ausgefallenen Rüstungen festzustellen. Als Anregung kommen für König Artus etwa die Figuren der Familien Welser oder Krantz (Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung, Inv.-Nr. D 2010/777 [KK], Nr. 92, 94), für Lancelot hingegen jene der Pfister, Peutinger oder Stetten in Frage (Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek, Rar 114 [4°R 26 b], Nr. 7, 13 und 21).

Der Urheber der Federzeichnungen Christoph Crispinus, der sich als Schreiber nennt, ist möglicherweise identisch mit dem Schöpfer eines Stammbaums für Herzog Ludwig von Württemberg (1568–1593), der in den Rechnungsbüchern von 1571/1572 genannt wird (Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, A 256, Bd. 56, 339r, online verfügbar).

Bildthemen:

Die Federzeichnungen zeigen den auferstandenen Christus (Ar), zwei gewappnete Ritter, wohl Lancelot und Artus, auf einem hohen Podest, in dessen Sockel auf zwei Tafeln ein Prolog, gestaltet als Monolog Lancelots, eingeschrieben ist (Bv), einen Ritter und eine Dame, die aufgrund der Platzierung als Lancelot und Ginover anzusprechen sind (572v), sowie zwei Genien auf einem Blumen bewachsenen Bodenstück, von denen der linke Laute spielt, während sein Gegenüber einbeinig auf einem Totenschädel balanciert und dabei ein Stundenglas in der Rechten hält (935r). Die Federzeichnungen besitzen einen kompilierenden Charakter, da die für sich bekannten Bildmotive abgewandelt und in einen ungewöhnlichen Bildzusammenhang integriert werden, so dass vielfältige ikonografische Bezüge entstehen. So steht der auferstandene Christus mit Kreuz und Kreuzfahne auf einem sehr breit und flach angelegten, mit Blumen bewachsenen Rasenstück. Außerdem strömt aus seiner Seitenwunde sowie aus den Wundmalen an den Händen das Blut in hohen Bögen, so dass eine ikonografische Verknüpfung zum Schmerzensmann besteht. Die Platzierung der beiden ritterlichen Helden auf einem Podest zu Beginn des Textes entspricht der Präsentation der Protagonisten in den Heldenbüchern des 16. Jahrhunderts. Typologisch stimmt sie mit den Druckausgaben Heinrich Grans für Johann Knobloch 1509 in Hagenau (Nr. 53.0.c.) und Heinrich Steiners in Augsburg von 1545 überein (Nr. 53.0.d.). Ikonografisch erinnern die beiden ritterlichen Helden an die Eingangsillustration des für Maximilian I. geschaffenen Ambraser Heldenbuchs (Nr. 53.0.4., V*v). Eine weitere Allusion zu kaiserlicher Repräsentation bietet der Doppeladler auf dem Schild König Artus’, der sonst gewöhnlich drei Kronen im Schild führt (vgl. z. B. den Holzschnitt Hans Burgkmairs zu den Neun Helden, 1516–1519, siehe Virtuelles Kupferstichkabinett). Zum memorialen Charakter eines heroisch-genealogischen Denkmals tragen außerdem die beiden Inschrifttafeln auf dem Sockel bei, die einen bislang unedierten Monolog Lancelots enthalten.

Die Darstellung Lancelots und Ginovers lässt sich aufgrund ihrer Einfügung am Ende des zweiten Bandes (572v) inhaltlich als Abschied des Ritters von der verehrten Königin deuten, wofür auch Lancelots über die Schulter rückwärts gewandter Blick zur Geliebten spricht, da die Liebesnacht, auf die Lancelots Abschied von Camelot folgt, wenige Seiten zuvor (540v) beschrieben wird. Der Halsschmuck Ginovers, deren Glieder jenen einer Kette des Ordens vom Goldenen Vlies ähneln, lässt sich als Bezugnahme zu kaiserlicher Repräsentation deuten, die allerdings in der Art eines Pasticcios ausfällt, da der Anhänger der Kette als florales Motiv gestaltet ist und nicht das Vlies zeigt. Obwohl die Federzeichnungen also eine Kompilation von Zitaten darstellen, ergibt sich in der Zusammenschau eine lockere, aber inhaltlich schlüssige Assoziationskette. Das Titelblatt evoziert mit dem sein Blut verströmenden Auferstandenen ein christologisches Heilsversprechen, in dessen Dienst sich Artusritterschaft und Gralssuche einfügen. Deren wichtigste Protagonisten, ein kaiserlich anmutender Artus und sein heroischer Vasall Lancelot, werden als lebendige Statuen in einer memorialen Architektur präsentiert. Lancelots Abkehr von Ginover am Ende des zweiten Bandes verbildlicht gleichsam die Rückkehr des Helden auf den Pfad der Tugend (572v), während die Genien am Ende des Textes als Memento Mori auf das christliche Heilsversprechen verweisen (935r).

Farben:

Nur das Wappenbild mit Grün, Rot und Grau koloriert.

Literatur:

Martin (1885–1899) Bd. 6, S. 427f. – Kluge (1948) Bd. 1, S. XLV–LI; Rothstein (2007a) S. 33f., 171f., 179–182; Rothstein (2007b) S. 281–291.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 3: Bv. Lancelot und Artus.

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Abb. 3.