90.0.4. München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 252
Bearbeitet von Heidrun Stein-Kecks
KdiH-Band 9
Zwischen Ende 1474 (Druck Augsburg: Johann Bämler) und 1482/1483 (Tod des Schreibers Konrad Bollstatter).
Augsburg.
Herkunft unbekannt. Spätestens seit Anfang des 19. Jahrhunderts in der Münchner Bibliothek.
Ausführliche Beschreibungen des Bandes siehe Nr. 29.1.3., Nr. 40a.0.1. und Nr. 49.0.1. sowie künftig Nr. 120.5.11.
15. | 177r–190v |
Thüring von Ringoltingen, ›Melusine‹
unvollständig, Anfang, Handschrift m, Klasse III (
|
Text 15: Papier, 14 Blätter (Fragment), 305–310 × 215 mm, Bastarda, Konrad Bollstatter (176r: 1468, 209r: 1477), einspaltig, 29–38 (meist 34–35) Zeilen, Tituli in Rot, unregelmäßig verteilte Auszeichnungen durch Schnörkel, Cadellen, Fleuronné, Blattornamentfüllungen, Lombarden; gerahmte R-Initiale (Reymond) über sechs Zeilen mit Maiblumenfüllung (185r), eine weitere Hervorhebung des Namens durch eine Lombarde R in Rot über sechs Zeilen (186r).
ostschwäbisch (
Freiräume für neun dreiviertelseitige Illustrierungen sowie für sieben Initialen. Ausgeführt wurde nur die Lehensvergabe (190v): gerahmte, unkolorierte Federzeichnung, 183 × 136 mm, sowie ein etwa gleich großer, profilierter Rahmen (179r) für die nicht ausgeführte Darstellung der Beauftragung zur Abfassung des Buches in französischer Sprache, schwarz-rot schraffierte Federzeichnung.
Die vorgesehene Bildausstattung zielt auf großformatige Illustrierung und Freistellung der Szenen mit Titel und gegebenenfalls einigen Textzeilen auf der Seite; einmal rückt das Bild an den oberen Rand, Titel und wenige Zeilen des Kapitelanfangs stehen auf der vorhergehenden Seite ganz unten. Fünf weitere Freiräume klaffen zwischen zwei kleinen Textblöcken (ohne Titulierung) mitten auf der Seite. Dies ist besonders kennzeichnend: Bilder werden häufig nicht unmittelbar nach einem Titulus, sondern an passender Stelle in den Text, auch mitten in einen Satz eingefügt.
Die einzige ausgeführte Zeichnung, die Lehensvergabe, folgt bis hin zur Musterung des Pelzsaumes am hier allerdings üppig über den Boden ausgebreiteten Gewand des Grafen Bertram sehr genau dem Holzschnitt (Nr. 8) des Basler Richel-Drucks (Nr. 90.0.a.), aber doch mit Änderungen, die nicht nur die formalen Qualitäten der Zeichnung gegenüber dem Holzschnitt betreffen. Die Komposition wird gewissermaßen zurechtgerückt. Die drei Figuren sind enger aneinander- und durch damit entstehende Überschneidung räumlich hintereinander gestellt. Die Gesichter gewinnen scheinbar individualisierten Ausdruck, wodurch die innerbildliche Kommunikation deutlicher erkennbar wird. Wie beim ausgeführten Rahmen für die Szene der Auftragsvergabe (179r) transformiert der Zeichner auch hier den Steg des Holzschnitts in einen plastisch wirkenden Bilderrahmen.
Die erhaltenen Tituli, die sich teilweise vom Bild trennen und als Kapitelüberschriften fungieren, verweisen auf die mit den ersten Druckausgaben von 1473/1474 (Nr. 90.0.a., Nr. 90.0.b.) standardisierte Folge. Das Fragment lässt zwar nicht erkennen, ob sich die kompilierende Textgestaltung nach Bämler mit Korrekturen nach Richel auch in der Ikonografie niederschlug, aber es zeigt eigenständige Bereicherungen des Bildprogramms. So sind für die Erzählung um die Aufnahme Reymonds beim Grafen von Poitiers, Emmerich, gleich drei Illustrationen vorgesehen: Auf den Titulus zum Fest beim Grafen Emmerich (180r) folgt zunächst kein Freiraum für die Illustration, sondern für eine Initiale; das Bild der Festtafel sollte erst auf der folgenden Seite (180v) stehen, und zwar an der Stelle, als erneut die hochtzeit genannt wird. Ein weiterer Freiraum folgt auf 181r, platziert in Emmerichs Entscheidung, Reymond als Knappen zu sich zu nehmen. Für eine entsprechende Ikonografie gibt es keinen Vergleich. Das dritte Bild zur selben Episode ist durch einen Titel identifizierbar, nämlich als Abschied des Grafen vom Forst mit seinen beiden älteren Söhnen von Emmerich und Reymond; ebenso die anschließende Begegnung am Turstbrunnen (184v). Sterndeutung (183r) und Jagdunfall, dessen Ablauf in zwei Illustrationen (184r und 184v) dramatisiert werden sollte, drängen sich ohne Titel jeweils mitten in die entsprechenden Sätze hinein. Vor dem Abschied Reymonds von Melusine (Titulus und Illustration 189r) wird eine weitere, sonst nirgends bekannte Illustration mitten in Melusines Rede eingefügt, als sie Reymond schwören lässt, sie zur Frau zu nehmen und sie niemals am Samstag zu behelligen (187v). Die ausgeführte Zeichnung zur Lehensvergabe (190r) folgt ganzseitig mit dem Titel freigestellt. Der Text bricht danach ab.
schwarze und rote Tinte.
Abb. 117: 190r. Lehensvergabe.