Tnugdalus, ein junger Ire, ändert sein auf weltliche Werte ausgerichtetes Leben hin zu einem gottgefälligen Verhalten, nachdem er drei Tage im Zustand einer Art Scheintod unter der Führung eines Engels im Jenseits Straf- und Läuterungsräume durchwandert und schließlich in den Körper zurückkehrt. Die ›Visio Tnugdali‹ (Tondali, Tundali) ist zwar mit etwa 170 lateinischen und 37 volkssprachlichen Handschriften der verbreitetste Text des Genres, illustriert wurde die Tnugdal-Vision jedoch nur in einer auf 1475 zu datierenden mittelfranzösischen Prachthandschrift (Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, Ms. 30), geschrieben von David Aubert und illustriert mit 20 Deckfarbenminiaturen von Simon Marmion im Auftrag von Margarete von York (Roger S. Wieck [siehe unten Literatur] S. 119–128). Die Bildkomposition in dieser Handschrift zeigt Parallelen zu den Illustrationen der ›Visiones Georgii‹: Tnugdal/Georg und der begleitende Engel befinden sich durchgängig auf der linken Seite des Bildes, der Jenseitsort nimmt meist drei Viertel der rechten Hälfte ein, auch die Jenseitsorte weisen Parallelen auf. Auch wenn der Text nicht zu weiteren Illustrationen in Handschriften angeregt hat, zeigte er doch eine starke Wirkkraft auf Künstler wie Stefan Lochner und Hieronymus Bosch, der sich in seinen Jenseitsdarstellungen auf diesen Text bezieht (vgl. Palmer [1982] S. 218–220).
In der deutschsprachigen handschriftlichen Überlieferung sind in Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, HB V 86 (Nr.62a.1.1.) Freiräume für Illustrationen vorhanden. Die umfangreiche Drucküberlieferung, die früh einsetzt und breit in Laienkreisen rezipiert wurde, illustriert die lange Fassung der Tnugdal-Version D (vgl. Palmer [1982] S. 278–294 mit Abb.), die in der Stuttgarter Handschrift überlieferte Fassung C ist nur in einem nicht illustrierten Druck (Augsburg: Johann Bämler, 1473 [GW 11405] und 1476 [GW 11406]) überliefert (zu den Drucken: Palmer [siehe unten Literatur] S. 157–170).
Editionen:
Otto Mausser: Eine Fahrt durch die Reiche des Jenseits (Himmel – Fegfeuer – Hölle). Unbekannte deutsche Jenseitsvisionen. Walhalla 6 (1910), S. 200–271 (Abdruck der Tnugdal-Vision nach München, Staatsbibliothek, Cgm 458 = Übersetzung C). – Tondolus der Ritter. Die von J. und C. Hist gedruckte Fassung. Hrsg. von Nigel F. Palmer. München 1980 (Kleine deutsche Prosadenkmäler des Mittelalters 13). – Teileditionen aus verschiedenen Handschriften siehe auch Palmer (1982).
Literatur zu den Illustrationen:
Nigel F. Palmer: llustrated Printed Editions of ›The Visions of Tondal‹ from the Late Fifteenth and Early Sixteenth Centuries. In: Margaret of York, Simon Marmion and ›The Visions of Tondal‹. Papers delivered at a symposium organized by the Department of Manuscripts of the J. Paul Getty Museum. 21.–24.6.1990. Hrsg. von Thomas Kren. Malibu 1992, S. 157–170; Roger S. Wieck: Margaret of York’s Visions of Tondal. Relationship of the Miniatures to a Text Transformed by Translator and Illuminator. In: Margaret of York, Simon Marmion and ›The Visions of Tondal‹. Papers delivered at a symposium organized by the Department of Manuscripts of the J. Paul Getty Museum. 21.–24.6.1990. Hrsg. von Thomas Kren. Malibu 1992, S. 119–128. Abbildungen unter http://www.getty.edu/art/collection/objects/1502/simon-marmion-and-david-aubert-les-visions-du-chevalier-tondal-franco-flemish-1475/; Judith Theben, Bild und Text in den Visionen des Georg von Ungarn. Staatsexamensarbeit (masch.) an der Georg-August-Universität Göttingen, 2001.