12. Barlaam und Josaphat
Bearbeitet von Norbert H. Ott
KdiH-Band 2
Die verchristlichte Version des Lebens und der Bekehrung Buddhas ist während des Mittelalters in fast allen europäischen Volkssprachen bearbeitet worden; auf vielen Umwegen wurde der über Afghanistan aus Indien kommende Stoff wohl seit dem 6. Jahrhundert im Orient durch persische, syrische, arabische, hebräische, georgische, armenische, ja äthiopische Fassungen an den Westen vermittelt. Vermutlich von Johannes Damascenus stammt die weitverbreitete griechische Bearbeitung des mit zahlreichen Gleichnissen und Beispielerzählungen durchsetzten Legendenromans, der die Bekehrung des heidnischen Königssohns Joasaph (= Bodhisattva, über die Verballhornung des arabischen Budasaf zu Jodasaf) durch den Eremiten Barlaam, seinen Verzicht auf den Königsthron und den Rückzug ins eremitische Asketendasein schildert. Über Byzanz wurde der Stoff von der lateinischen Literatur in mehreren Übersetzungen, deren älteste um die Mitte des 11. Jahrhunderts entstand, rezipiert (nun mit der Namensform Josaphat) und z. T. in größere Werkzusammenhänge integriert, so in Vinzenz’ von Beauvais ›Speculum historiale‹ und die ›Legenda aurea‹ des Jacobus de Voragine. Noch immer ungeklärt ist das Verhältnis der lateinischen Versionen zueinander, sicher jedoch, daß von diesen die Verbreitung und weitere Bearbeitung des Stoffs in den volkssprachlichen – romanischen, englischen, skandinavischen, deutschen und slavischen – Literaturen ausging.
Früh schon wurde der Stoff auch ikonographisch umgesetzt: Vier mit Bilderzyklen illustrierte Handschriften der griechischen Fassung (Jerusalem, Heilig-Kreuz-Konvent, Cod. 42, 11. Jahrhundert; Cambridge, University Library, MS Add. 4491, und Joannina in Epirus, Bibliothek der Schola Zosimaia, Ende 11./Anfang 12. Jahrhundert; Cambridge, King’s College, MS. 338, Anfang 13. Jahrhundert; Paris, Bibliothèque Nationale, ms. gr. 1128, 14. Jahrhundert) sind nachgewiesen, die – bis auf den jüngsten Codex – fast ausschließlich die Rahmenhandlung und einige Parabeln illustrieren; zu den Bilderhandschriften der lateinischen Versionen, etwa dem Cod. Ottob. lat. 269 der Biblioteca Apostolica Vaticana von 1311 oder dem oberitalienischen Ms. 233 der ehem. Biblioteca Rossiana (jetzt Vaticana) aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts bestehen keinerlei Verbindungen.
Aus dem zyklischen Zusammenhang der ›Barlaam‹-Ikonographie herausgelöst und in andere Kontexte integriert erscheint häufig die Illustration der im großen Bekehrungsgespräch Barlaams enthaltenen Parabel vom Mann im Abgrund, die auch außerhalb des Romans in Predigten und Exempelsammlungen – auch in Hugos von Trimberg ›Renner‹ und in Geilers von Kaysersberg ›Narrenschiff-Predigten‹ – überliefert wird. Vor allem griechische und lateinische Psalterien (z. B. London, The British Library, Add. 19352, datiert 1066; Roma, Biblioteca Apostolica Vaticana, Barb. graec. 372, 12. Jahrhundert; Berlin, Kupferstichkabinett, 78 A 9 [Cod. Ham. 119], 13. Jahrhundert), tradieren diese Bildformel und benutzen sie zur Illustration von Ps 143,4 (homo vanitati similis factus est; dies eius sicut umbra praetereunt). Emblematisch verselbständigt hat sich die bildliche Darstellung der Parabel im Bereich außerhandschriftlicher Ikonographie, hauptsächlich in der kirchlichen Plastik und der Freskomalerei, so etwa auf dem Bischofsstuhl der Kathedrale von Ferrara (jetzt: Museo dell’Opera) aus der Mitte des 13. Jahrhunderts, am Tympanon des Südportals des Baptisteriums von Parma, um 1200, im späteren 14. Jahrhundert am Portal der Capella San Isidoro von San Marco in Venedig, oder, in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, auf einer Gewölbemalerei der Dorfkirche von Vester Broby in Dänemark. Von einem nicht mehr erhaltenen, mit Beischriften versehenen Wandgemälde im Kloster Lorch berichtet die ›Schwäbische Chronik‹ des Martin Crusius von 1588. Völlig vom ursprünglichen Textbezug gelöst hat sich die Darstellung auf der Platte eines niederdeutschen Falttisches, um 1400 (Paris, Musée de Cluny), die Barlaam und Josaphat im Gespräch beiderseits eines Baumes zeigt, an den ein Löwe gekettet ist; eine Maus nagt an den Fesseln des Löwen.
Zur Ikonographie der deutschsprachigen ›Barlaam‹-Handschriften führt weder von den Illustrationen griechischer und lateinischer Codices noch von textabgelösten Bildzeugnissen ein Weg; ihre Illustrationen sind Neuschöpfungen, die an keine in den literarischen Quellen verwendeten ikonographischen Vorbilder anknüpfen und auch untereinander keinerlei Beziehungen aufweisen. Die einzige Handschrift der ältesten deutschen Fassung, der wohl um 1200 entstandenen Übersetzung des lateinischen Prosaromans in deutsche Reimpaarverse durch Otto II., Bischof von Freising 1184–1220, enthält zum Textbeginn eine nachträglich in den offensichtlich für die Anfangsinitiale vorgesehenen Leerraum eingefügte kolorierte Federzeichnung eines auf einem Kastenthron sitzenden Königs, der ein Buch in Händen hält (Nr. 12.1.1., Laubach, Gräflich Solms-Laubach’sche Bibliothek, Hs. T). Der Codex entstand 1392 vermutlich im Zisterzienserkloster Arnsberg bei Lich; die qualitativ ziemlich bescheidene Federzeichnung wurde wohl in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts hinzugefügt. Immerhin zitiert sie mit der Wahl des ikonographischen Modells, einer Variation des vor allem für Evangelienillustrationen kanonischen Autorenbilds, eine Bildformel, mit der ein hoher Anspruch auf Wahrheit des Texts einhergeht.
Der um etwa 1225 entstandene Versroman, mit dem Rudolf von Ems den Legendenstoff für ein höfisches Publikum aufbereitete, ist mit 47 Textzeugen, davon 14 nahezu vollständigen Handschriften, recht breit überliefert; wie bei den griechischen und lateinischen Versionen aber sind nur wenige Überlieferungsträger auch illustriert worden. Ebenfalls ein Autorenbild steht dem Text in der – ehemals Königsberger – Pergament-Sammelhandschrift des Deutschen Ordens (Nr. 12.2.4., Toruń, Biblioteka Uniwersytetu Mikołaja Kopernika, Rps 40) voran, die das Werk zwischen die Deutschordens-Dichtungen ›Hiob‹ und ›Daniel‹ stellt. Wie diese wird auch der ›Barlaam‹ mit einer historisierten Initiale eingeleitet: Ein auf einem Steinthron sitzender Greis hält eine Schriftrolle in der Hand, die den Querbalken des A bildet und die Inschrift Dis is das buch barlam trägt. Stärker noch als die relativ anspruchslose Zeichnung des Laubacher ›Barlaam‹ betont diese dem Propheten-Bildtyp entlehnte Autoritätendarstellung den Wahrheitsanspruch des Textes, den schon die Einfügung des Romans zwischen die beiden Bibel-Epen hervorhebt.
Während eine elsässische Sammelhandschrift aus der Mitte des 15. Jahrhunderts (Nr. 12.2.1., Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 20) den Text lediglich mit einer blauen Blattwerkinitiale auf rot gerahmtem Goldgrund einleitet und eine ebenfalls initialornamentierte Pergamenthandschrift vom Ende des 13. Jahrhunderts (Nr. 12.2.2., London, The British Library, Add. 10288) nachträglich zwei primitive Federzeichnungen an den Blatträndern hinzufügt – und für den Cod. germ. 19 der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg nicht auszumachen ist, ob das leere Blatt 167v für eine ganzseitige Miniatur (wie zum gleichfalls in dieser Handschrift enthaltenen ›Karl‹ des Strickers 1v und zum ›Willehalm‹ 80v) vorgesehen war –, illustriert die aus der Lauber-Werkstatt stammende Handschrift des J. Paul Getty Museums in Malibu, Ms. Ludwig XV 9 (Nr. 12.2.3.), den Text aufwendig mit einer Folge von 138 ganzseitigen kolorierten Federzeichnungen; es ist die einzige Bilderhandschrift, die dem Barlaam-Stoff eine derart reiche ikonographische Ausstattung zuteil werden läßt. Der Codex, der 378v von der Schreiberhand die Datierung 1469 trägt, fällt in die Spätzeit der Werkstatt Diebold Laubers; seine Illustrationen fügen sich stilistisch eng zu einer Gruppe ähnlich später Manuskripte1, die aufgrund einer Namensnennung in der Colmarer Weltchronik dem Schreiber und Illustrator Hans Schilling zugeschrieben wurden. Doch trotz vieler Ähnlichkeiten mit Schillings Zeichenstil gehen die ›Barlaam‹-Illustrationen doch in manchem – vor allem in Farbgebung, Architekturen und der »Drastik der Erzählweise« (
Die gesamte Bilderfolge des Codex setzt sich aus drei kompositorischen Grundtypen zusammen: aus Dialogbildern mit zwei bis drei auf einfachen, hintergrundlosen Bodenstücken agierenden Figuren, aus vielfigurigen, in Landschafts- und Architekturkulissen integrierten, oft dichtgedrängten Handlungsszenen, und aus meist frontalsymmetrischen, von reichgeschmückten Architekturen gerahmten Darstellungen. Gerade bei letzteren wird deutlich, daß die Illustratoren der Lauber-Werkstatt, vor allem die der Gruppe K, mit der zeitgenössischen Druckgraphik oberrheinischer und niederländischer Provenienz vertraut waren: hauptsächlich die Stiche des Meisters E. S. und des Meisters der Bandrollen scheinen als Vorlagenlieferanten für manche ›Barlaam‹-Illustration gedient zu haben – dies speziell im Bereich christlicher Ikonographie. Überhaupt ist der hohe Anteil von Bildszenen aus biblisch-heilsgeschichtlichem Kontext auffällig; gut ein Viertel aller Illustrationen der Handschrift – z. B. Abrahams Berufung 55r, Wurzel Jesse 64v, Taufe Christi 68v, Einzug in Jerusalem 70r, Christus vor Pilatus 71v, Kreuzigung 73v und 90v (hier mit den klugen und törichten Jungfrauen), Descensus 75r, Pfingsten 77r, Jüngstes Gericht 93r und 95v, die Gleichnisse von Lazarus 85r und 86v, vom verlorenen Sohn 106r und 107v und vom guten Hirten 109r – gehört in diesen Zusammenhang, und schon die dem Text voranstehende Titelminiatur mit der Paradiesesdarstellung 1v scheint deutlich als eine Art ikonographischer Leseanweisung für das Werk gemeint zu sein: Zumindest nach Ausweis seiner Ikonographie wurde der Text in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nicht mehr als höfische – Rudolfs Intention entsprechend –, sondern als geistliche Legende rezipiert.
Die Illustrationen der beiden um 1476 bei Johann Zainer (Nr. 12.3.a.) und um 1480 bei Anton Sorg (Nr. 12.3.b.) in Augsburg erschienenen Inkunabeln des ›Barlaam‹-Prosaromans weisen keinerlei Zusammenhang mit der vorausgegangenen Handschriftenikonographie auf: Für Zainers Druck faßt der sog. Sorgmeister vor allem den äußeren Handlungsverlauf des Werks in 64 querformatigen, vielfigurigen, stets mehrszenigen Holzschnitten zusammen und bezeichnet die oft verwirrende Fülle der Einzelpersonen durch Namenstafeln über den Häuptern. Die Beispielerzählungen Barlaams, die im Codex der Lauber-Werkstatt, losgelöst vom äußeren Handlungsverlauf, meist in eigenen Zeichnungen dargestellt sind, werden im Druck jeweils in die Gesamtkompositionen integriert: Mit beredten Gesten weist Barlaam, den Kopf Josaphat zugekehrt, auf diese in der linken Bildhälfte angesiedelten, von den beiden Protagonisten durch einen Mauerdurchblick erkennbaren Szenen hin. Der Reißer Anton Sorgs benutzt wenige Jahre später Zainers Holzschnittfolge als Vorlage seiner vereinfachten, in der Höhe verkürzten, stärker schematischen, seitenverkehrten Kopien.
J. D.
1Es sind dies außer der ›Barlaam‹-Handschrift folgende Codices, deren einige schon