Unter den volkssprachlichen Texten, die im europäischen Mittelalter am stärksten verbreitet waren, befindet sich der ›Pèlerinage de vie humaine‹ von Guillaume de Digulleville. Um 1330/31 verfasste der Zisterziensermönch im Kloster Chaalis bei Senlis eine umfangreiche religiöse Dichtung von 13.540 Versen, die er als Reaktion auf den weltlichen ›Roman de la Rose‹ intendierte. In Form einer Traumvision inszeniert sich Guillaume selbst als Pilger, der sich auf den Weg begibt. Ziel seines Strebens ist hier nicht die Geliebte in einem verschlossenen Garten, sondern das hinter hohen Mauern geschützte himmlische Jerusalem. Die Pilgerfahrt ist bei Guillaume Allegorie des menschlichen Lebens, in welchem jeder Mensch den schmalen Weg zur Erlösung (Mt 7,14) wählen soll. Mithilfe der personifizierten Gottesgnade, durch die Sakramente gestärkt und mit Tugenden ausgerüstet, hat der Pilger die Angriffe der personifizierten Laster zu bewältigen, denen er auf seinem Weg begegnet. Bei jeder Etappe erfährt er die allegorische Bedeutung der getroffenen Wesen und Objekte, was den ›Pèlerinage‹ zum katechetischen Werk macht. Dass der Pilger wohlbehalten ans Ende seiner Pilgerfahrt gelangt, geschieht nicht aus eigener Kraft, sondern dank der Hilfe Gottes. Am Ende des Textes erklärt Guillaume, seinen Traum als Warnung und Ermahnung geschrieben zu haben, damit jeder den richtigen Weg verfolge (zum Inhalt siehe Bodemann [1998] S. 12–17).
Mehr als 110 Handschriften in verschiedenen Sprachen sind heute noch erhalten, und über die Hälfte davon ist reich illustriert. Für die erste Fassung des ›Pèlerinage‹, die in ca. 70 Handschriften überliefert ist, sind es sogar zwei Drittel. Dass die frühesten erhaltenen Handschriften alle illustriert sind und dass Guillaume an zwei Textstellen eine bildliche Darstellung vorsah, hat zur Annahme geführt, dass der Bildzyklus von Anfang an geplant war (Camille [1984] S. 5–13; Emmerson [2009] S. 277–279). Der besonders dynamische Retextualisierungsprozess des ›Pèlerinage de vie humaine‹ erstreckte sich über drei Jahrhunderte: Guillaume de Digulleville selbst unternahm ab 1355 neben dem Verfassen des ›Pèlerinage de l’âme‹ und des ›Pèlerinage de Jésus Christ‹ eine Revision seiner Dichtung. Spätere Mischversionen, eine Prosaumsetzung am Hof Anjou (1465) sowie zahlreiche Drucke sicherten deren Übermittlung. Ab dem Ende des 14. Jahrhunderts entstanden bearbeitende Vers- und Prosaübersetzungen im Englischen, Deutschen, Niederländischen, Lateinischen sowie (im Druck) im Spanischen (Peters [2014] S. 37–104; Peters/Kablitz [2013] S. 25–46).
Ins Deutsche wurde die erste Fassung von Guillaumes ›Pèlerinage de vie humaine‹ zweimal übersetzt, und zwar in zwei voneinander unabhängigen Versfassungen. Die erste Übersetzung ist das Werk des Pfarrers zu Merzenich und späteren Kölner Stiftsherrn Peter von Merode. Er dachte sie den ungeleerden luden (1v) – den Illitterati – zu, also neben Laien auch lateinunkundigen Geistlichen. Die ›Pilgerfahrt c‹ ist in einer niederdeutschen Papierhandschrift aus dem Jahre 1444 überliefert (Köln, Hist. Archiv der Stadt, Best. 7004 [GB 4o] 223), die für die Kölner Kreuzherren vom Bruder Johannes Dursten geschrieben wurde. Die unbebilderte Handschrift geht auf ein heute verlorenes Original von 1430 zurück (Meijboom [1926] S. 21*–25*). Die französische Quelle wurde vermutlich durch Marie d’Harcourt, angeheiratete Nichte des Königs Charles V. und Gemahlin vom Herzog von Jülich und von Geldern Reinald IV., ins Rheinland gebracht (Peters [2014] S. 79, 102–104; Lange-Mauriège [2014] S. 502f.). So erreichte die erste Übersetzung wohl tatsächlich die beiden von Peter von Merode angesprochenen Zielgruppen: Laien und – was im Hinblick auf die Gesamtüberlieferung des ›Pèlerinage‹ viel seltener ist – auch Geistliche.
Die zweite, illustrierte Versübersetzung befindet sich heute in der Sayn-Wittgenstein’schen Bibliothek in Bad Berleburg (RT 2/4; ›Pilgerfahrt b‹; Nr. 101.0.1.). Sie stammt aus dem Besitz von Margarethe von Rodemachern († 1490), der Tochter von Elisabeth von Lothringen-Vaudémont, verehelichter Gräfin von Nassau-Saarbrücken († 1456) (Schenk zu Schweinsberg [1941] S. 127–131; Haubrichs [2002] S. 534–542; Herrmann [2013] S. 138–141, 145, 151–154). Um 1430–1455 datiert, wird sie im lothringisch-saarländischen Raum auf Grundlage einer Handschrift entstanden sein, die dem heute verschollenen Codex Metz, Bibliothèque municipale, 315 (M) nahestand (Bömer [1915] S. XVII; Haubrichs [2002] S. 544–568; Kunz [2014], mithilfe der Kollationierung von Stürzinger [1893]).
In ihrer korrigierten Fassung und unter Heranziehung der lothringisch-französischen Vorlage wurde die ›Pilgerfahrt b‹ Grundlage einer Prosaversion (›Pilgerfahrt x‹), die heute nur noch durch zwei illustrierte Handschriften bezeugt ist: den Darmstädter Codex 201 (›Pilgerfahrt d‹; Nr. 101.0.2.) und den Hamburger Codex germ. 18 (›Pilgerfahrt h‹; Nr. 101.0.3.) (Meijboom [1926] S. 15*–19*; Haubrichs [2002] S. 547–549; Haubrichs [2007] S. 158–164; Haubrichs [2014]). Die ›Pilgerfahrt d‹, die um 1460 datiert wurde, weist mit drei Wappenbildern auf hessische Lehnsträger des Hauses Nassau-Saarbrücken hin (Staub/Sänger [1991] S. 27; Haubrichs [2002] S. 549–552). Die ersten Besitzer der ›Pilgerfahrt h‹ bleiben unbekannt; sprachlich ist sie aber westlicher als die ›Pilgerfahrt d‹ anzusiedeln, nahe dem Moselfränkischen (Haubrichs [2019] S. 136). Sie entstand auch etwas früher als die andere Prosafassung; ihre Wasserzeichen weisen auf eine Niederschrift um 1455. Somit fällt die ›Pilgerfahrt h‹ in die Jahre, in denen die Kinder Elisabeths von Nassau-Saarbrücken Abschriften der Werke ihrer Mutter schreiben ließen (zu Margarethe vgl. Herrmann [2013] S. 137f., 148–155), und zwar genau in die Zeit der Verfertigung der prachtvollen Handschriften von ›Loher und Maller‹, ›Königin Sibille‹ und ›Huge Scheppel‹ (siehe Nr. 79.0.1., Nr. 69.0.1. sowie künftig Nr. 116.0.1.), die ihr Sohn Johann III. († 1472) in Auftrag gab (Haubrichs [2002a] S. 23, 36f.; Herrmann [2002] S. 120f.) und die zusammen mit der ›Pilgerfahrt h‹ durch die Sammlungen Uffenbachs und Wolfs in die Staatsbibliothek Hamburg kamen (Burg [1901] S. 40; Horváth/Stork [2002] S. 10–15). Ohne direkte Rückschlüsse auf den Auftraggeber der ›Pilgerfahrt h‹ oder gar auf die Verfasserschaft der ›Pilgerfahrt b‹ zu erlauben, bestätigt die neue Datierung der Handschrift allerdings die Annahme, dass die Retextualiserungsprozesse des zweiten deutschen Überlieferungszweiges »im gleichen Redaktionszentrum des ›Pèlerinage de vie humaine‹ der Mitte des 15. Jahrhunderts erfolgten« (Haubrichs [2019] S. 136) und macht es höchst wahrscheinlich, dass die Kinder Elisabeths auch ein Exemplar des weller [âne] reyme kannten (vgl. Haubrichs [2007] S. 160).
Ein Vergleich der drei erhaltenen Handschriften unter Einbeziehung der textlichen Filiationsverhältnisse, der jeweiligen Blattverluste, des benötigten Schriftspiegels für den fehlenden Text und der Größe der angrenzenden Bilder erlaubt Rückschlüsse auf die ursprünglichen Illustrationszyklen jeder Handschrift. So muss man mit einem Bilderzyklus der lothringisch-französischen Vorlage von (mindestens) 111 Bildern rechnen, darunter einer Darstellung des träumenden Mönchs auf seinem Bett als Eingangsbild (dazu Braet [2008] S. 43–45; Peters [2008] S. 148, 157–162). Die Bücher II, III und IV werden in ihrem Anfang je ein Eröffnungsbild besessen haben, welche aber bereits bei der Konzeption der ›Pilgerfahrt b‹ (Nr. 101.0.1.) nicht als Bestandteil des Bilderzyklus verstanden wurden, wie eine zeitgenössische Nummerierung der Bilder zeigt. In ihrem Inhalt (vgl. z. B. die ersten Bilder der Heiligen und die allegorischen Attribute von HOFFART), in der Umrahmung mit gefülltem Bildgrund der ›Pilgerfahrt b‹ sowie in ihrer Anzahl weisen sie auf die von Michael Camille sogenannte »archetypische« Bildfolge hin, die in den frühesten illustrierten Handschriften in Paris um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstanden ist und die französische Maler bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts inspiriert hat (Camille [1984] S. 20–32; Lange-Mauriège [2014] S. 492–500).
Bildthemen (in Klammern die Anzahl der Bilder): Als Eingangsbild der Pilger auf seinem Bett, vor ihm ein Spiegel mit dem himmlischen Jerusalem (1); bewachtes Tor des himmlischen Jerusalem (1); Heilige helfen ihren Anhängern, in die Stadt zu gelangen (4); Begegnung mit GOTTES GNADE (2), die den Pilger in Kirche, Priesterstand und Sakramente (mit Schwerpunkt auf der Eucharistie) einführt (21); Ausrüstung des Pilgers mit Tasche (GLAUBE) und Pilgerstab (HOFFNUNG) (3) sowie mit einer für ihn zu schweren Rüstung (den Tugenden) (14); Debatte zwischen VERNUNFT und ihrem Gegenspieler GROBES VERSTÄNDNIS (6); VERNUNFT zeigt dem Pilger die Unsterblichkeit der Seele (3); der Pilger an einer Weggabel, zwischen ARBEIT und MÜSSIGGANG (6); Begegnung mit den sieben Hauptsünden und weiteren Sünden in Gestalt von alten Frauen: HOFFART mit ihren Attributen; NEID, die den Pilger angreift; ZORN; TRÄGHEIT; HABGIER; UNKEUSCHHEIT und VÖLLEREI; Raub des Pilgerstabs durch die personifizierten Sünden (20); GOTTES GNADE gibt dem Pilger seinen Stab zurück (1); Gebet an Maria (1); Felsen der BUSSE (2); der Pilger vor dem Weltenmeer (1), dem Teufel (1) und KETZEREI (1); GOTTES GNADE unterrichtet den Pilger über das Weltenmeer (1); JUGEND und GOTTES GNADE helfen dem Pilger gegenüber ANFECHTUNG (6); das Schiff GEISTLICHKEIT, von GOTTESFURCHT bewacht (3); auf dem Schiff begegnen dem Pilger GÖTTLICHE LIEBE und die monastischen Tugenden (9); KRANKHEIT und ALTER betreten das Pilgerzimmer (2); BARMHERZIGKEIT am Pilgerbett (1), TOD auf dem Pilgerbett (1). – Eine Liste der Bildüberschriften bei Bodemann (1998) S. 20–22 (›Pilgerfahrt h‹) und Lange-Mauriège (2014) S. 508–540 (synoptisch).
Die Komplexität der allegorischen Dichtung führte zu einer relativ großen Stabilität der Bilderzyklen, sodass ein Benutzer sich im Erzählablauf zurecht finden konnte, ohne den Text zu lesen (siehe Tuve [1966] S. 146; Emmerson [2009] S. 298f.). Auch das Vorlesen des Textes, das Guillaume für seine erste Versfassung intendierte, könnte dadurch erleichtert worden sein. Mit Ausnahme der Eingangsbilder dienen die Bilder aber nicht primär der Strukturierung des Textes. Manche Erzähleinheiten, typischerweise die langen erläuternden Dialoge zwischen zwei Figuren, enthalten nur eine Darstellung, während andere Passagen Bilder gezielt einsetzen, »um inhaltlich wichtige Stellen zu betonen sowie um besonders bildhafte und komplexe Passagen durch die parallele Darbietung im visuellen Medium noch einprägsamer zu gestalten« (Metzger [2013] S. 290; vgl. auch Hagen [1990] S. 4f., 56). In den deutschen Handschriften sind die Bilder in der Regel dem zugehörigen Text vorangestellt und mit Bildüberschriften versehen. Diese dienen weder als Kapitelüberschriften noch als Verteilung der direkten Rede, wie im Falle der niederdeutschen ›Pilgerfahrt c‹, was eine theatrale Benutzung hätte ermöglichen können. Die Bildüberschriften benennen vielmehr die dargestellten Figuren und Ereignisse sowie die allegorische Bedeutung von Objekten. Manchmal enthalten sie weniger, manchmal mehr Elemente als das, was die Maler dargestellt haben.
In ihrer Ausführung sind die drei deutschen Bilderzyklen doch recht unterschiedlich. Diskrepanzen, die zwischen dem Hamburger (Nr. 101.0.3.) und dem Darmstädter Codex (Nr. 101.0.2.) in der Darstellung mancher Szenen, aber auch in deren Platzierung innerhalb des Textes bestehen, können auf einem zusätzlichen Bild in der Vorlage beruhen. So stellt z. B. die Handschrift Paris, Bibliothèque de l’Arsenal, ms. 5071 vor den zwei Bildern des Schiffes GEISTLICHKEIT (78va) und des PFÖRTNERS (79rb) ebenfalls die Ermahnung von GOTTES GNADE an den Pilger (78ra vgl. ›Pilgerfahrt h‹, S. 312) dar. Einige Sonderwege, die die Hamburger Handschrift trotz gemeinsamer Bildüberschriften mit der ›Pilgerfahrt d‹ gegen Ende geht, stellen die Frage, ob der Maler neben der ›Pilgerfahrt x‹ nicht zusätzlich auf eine französische Vorlage zurückgreifen konnte. Die Hamburger Handschrift teilt nämlich mit französischen archetypischen Handschriften (wie z. B. der Arsenal-Handschrift) drei Charakteristika: JUGEND kommt häufiger vor ANFECHTUNG vor, GOTTES GNADE wird am Ende des Pilgerlebens häufiger dargestellt, und Bild- und Schriftspiegel werden beim Schiff GEISTLICHKEIT überschritten. Auch die Entstehungszeit der Hamburger Handschrift, die nah an derjenigen der ›Pilgerfahrt x‹ zu datieren ist, macht eine solche Rezeption plausibel. Die von Herrmann (2013, S. 144) erwähnte Möglichkeit eines literarischen Austauschs mit René d’Anjou, nachdem Johann III. 1455 in den Ordre du Croissant aufgenommen wurde, ist für die ›Pilgerfahrt des träumenden Mönchs‹ umso interessanter, als der Herzog bereits vor seiner Heirat mit Jeanne de Laval, welche 1465 den Auftrag zur Verfertigung einer Prosaversion des ›Pèlerinage‹ gab, die französische Trilogie kannte. 1437 ließ er in der Tat eine Abschrift für einen seiner Ratgeber Louis Martel herstellen (Legaré [2003] S. 546). Die heute in Philadelphia (Rosenbach Library, MS 241/2) aufbewahrte Handschrift enthält die archetypische Bilderfolge und zeigt gemeinsame Merkmale sowohl mit der ›Pilgerfahrt b‹ (z. B. die inkonsequente Darstellung des Vikars als gehörnter Moses oder als Bischof, 3va und 30va) als auch mit ›h‹ (z. B. die drei oben erwähnten Bilder zum Schiff GEISTLICHKEIT, 75va–76vb), enthält aber gleichzeitig zu große Unterschiede, um als Vorlage des Bildzyklus in Frage zu kommen.
Insgesamt zeigt sich das bildliche Filiationsverhältnis mit der ›Pilgerfahrt b‹ (Nr. 101.0.1.) deutlicher in der ›Pilgerfahrt d‹ (Nr. 101.0.2.) als in der ›Pilgerfahrt h‹ (Nr. 101.0.3.). Dies wird durch eine Bildszene deutlich, die in den drei Handschriften unterschiedlich dargestellt ist: das Gebet des Pilgers an Maria. In der Hamburger Handschrift erscheint Maria mit dem Kind auf einer Wolke, sodass nur ihr Oberkörper sichtbar ist; der Pilger kniet rechts vor ihr (S. 265; siehe Abb. zu Nr. 101.0.3.). In den beiden anderen Handschriften kniet der Pilger links. Die Darmstädter ›Pilgerfahrt‹ zeigt Maria als Mondsichelmadonna (133r), in der Berleburger Handschrift hingegen wird eine thronende Maria lactans gezeigt (335r). Zwar erscheinen die ikonografischen Themen der Laktation und der apokalyptischen Frau meistens separat, sie können aber auch miteinander verbunden werden. Nun ist diese viel seltenere Darstellung gerade in der Gegend von Metz weit verbreitet, einer für die Produktion und die Rezeption des ›Pèlerinage‹ besonders dynamischen Region (siehe auch Haubrichs [2000] S. 69–75; Collignon [1907] S. 12, 110). Sie ist in Stundenbüchern (z. B. Marchitiello Mark [1994] Abb. 2; Büttner [2004] Abb. 2 und S. 140, Anm. 20; sowie Sotheby’s, 6.7.2010, Los 37), Missalien (z. B. Ronig [1956] Abb. 2) oder in Standbildern zu finden. In der Kirche der Cölestiner, welche nicht nur die Handschrift M (siehe oben), sondern noch eine weitere Kopie des ›Pèlerinage de vie humaine‹ besaßen (Breyer [1960] S. 41, 44, 46; Wagner [2009]), ist dieser Bildtypus auf einem der Schlusssteine dargestellt (Schmoll gen. Eisenwerth [1995] S. 134, Abb. 2). Im Haus von Anjou, das seit 1420 das Herzogtum von Lothringen besaß und dessen Herrscher Kontakte sowohl mit Elisabeth von Nassau-Saarbrücken als auch mit Johann III. hatten (Herrmann [2002], siehe auch oben), steht er im Stundenbuch von Yolande von Aragon (Cambridge, Fitzwilliam Museum, MS 62, 136v, ca. 1431; Camille [1984] Abb. 162). Und unter den erhaltenen Handschriften des ›Pèlerinage de vie humaine 1‹ ist dieser Bildtypus einzig in der oben erwähnten Handschrift der Bibliothèque de l’Arsenal (69ra) zu finden. Die Ähnlichkeit mit der ›Pilgerfahrt b‹ (Nr. 101.0.1.) in der Bildkomposition des Marienbildes wird durch das kräftige Rot des Bildhintergrunds bestärkt. In dieser Hinsicht sticht das Bild heraus: Alle anderen Bilder im französischen Manuskript sind kleiner und haben einen blauen Hintergrund. Die sorgfältige Gestaltung deutet darauf hin, dass der Bildtypus nicht zufällig gewählt wurde. Die Gottesmutter stillt ohne auf einem Thron zu sitzen (Madonna dell’Umiltà), und Strahlen gehen von ihrem Körper aus wie auch in der Darmstädter Handschrift. Ein ebensolches Bild muss die französische Quelle der ›Pilgerfahrt b‹ enthalten haben. Ein Textvergleich zeigt jedoch, dass die Arsenal-Handschrift nicht die Quelle sein kann. Ihr Marienbild erinnert aber daran, dass zusammen mit Untersuchungen des Textes und der Besitzgeschichte der ›Pilgerfahrt‹-Handschriften die Analyse der drei Bildzyklen – sowohl in ihren Ähnlichkeiten als manchmal auch in ihren Unterschieden – einen Beitrag zur besseren Kenntnis des Corpus leisten kann.