KdiH

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76.2.1. Budapest, Országos Széchényi Könyvtár (Széchényi-Nationalbibliothek), Cod. germ. 92

Bearbeitet von Nicola Zotz

KdiH-Band 8

Datierung:

Ende 13. Jahrhundert (Vizkelety [1988] S. 390), 1. Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts (Roland [2001] S. 210).

Lokalisierung:

Bayerisch-österreichischer Donauraum.

Besitzgeschichte:

Das Fragment, Einband eines heute verschollenen Buches, wurde 1985 von der Széchényi-Nationalbibliothek aus dem Privatnachlass von Sándor Frigyes Varga erworben (Vizkelety [1988] S. 387f., Voetz [2015] S. 91).

Inhalt:
1r–3v Budapester Liederhandschrift
I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament, ein Doppel- (1, 3) und ein Einzelblatt (2), ca. 214 × 139–155 mm, Textualis, eine Hand, einspaltig, 31 Zeilen, Raum für Initialen ausgespart (Höhe der Initialen zu Beginn der Dichterœuvres 1v, 3v: drei, 2v: vier Zeilen, zu Beginn der Strophen zwei Zeilen), keine Rubrizierung.

Schreibsprache:

bairisch-österreichisch.

II. Bildausstattung:

Drei Federzeichnungen auf koloriertem Hintergrund. Nicht abgeschlossen (Aussparungen in der Zeichnung des Wappens von Nr. 1 und des Wappens und Baums von Nr. 3 deuten darauf, dass weitere Elemente – Rahmen oder Stangen – vorgesehen waren; zumindest die Wappen sollten sicher noch koloriert werden).

Format und Anordnung:

Ganzseitige ungerahmte Dichterdarstellungen auf der Rectoseite, denen jeweils auf der Versoseite das Dichtercorpus folgt. Ob Rahmen wie bei Nr. 76.2.2., Nr. 76.2.3. und Nr. 76.2.5. vorgesehen waren (so Kornrumpf [2008b] S. 37, vorsichtiger Saurma-Jeltsch [1988] S. 338) und ob sie Wappen- und Bildzone getrennt hätten, muss offen bleiben; die Öffnung der Komposition nach unten in allen drei Fällen spricht nach Roland (2001, S. 208) dagegen.

Bildaufbau und -ausführung:

Ganzkörperporträts in Dreiviertelansicht in angedeuteter Landschaft (Baum auf allen Miniaturen, bei Nr. 1 zusätzlich ein rahmendes Architekturelement). Das obere Drittel der Seite nimmt die Darstellung von Topfhelm und Schild ein, durch kolorierten Hintergrund davon getrennt ist die Personendarstellung in den unteren zwei Dritteln (anders Nr. 76.2.2., Nr. 76.2.3. und Nr. 76.2.5., wo Wappen- und Bildzone durch den gemeinsamen unbemalten Pergamentgrund stärker miteinander verbunden sind). Über der Miniatur stehen Stand und Name des Dichters.

Federzeichnungen in schwarzer (bisweilen brauner, späterer [?] – vgl. etwa die Hunde bei Nr. 2) Tinte in kräftigen Linien, Hintergrund (und bei Nr. 1 und 2: Topfhelm) gleichmäßig Rotbraun, sonst keine Farben. Figuren (besonders bei Nr. 3) in leichter gotischer S-Form gestaltet, schlank, Gesichter länglich, aber voll, Augen mit Brauen drei übereinanderliegende Bögen, keine Pupillen, kräftige Nasen, Münder meist aus einem Bogen gebildet mit einem senkrechten Strich oder Punkt darunter (Kinngrübchen). Lockiges Haar, bei den Männern schulter-, bei den Frauen hüftlang, kein Kopfschmuck (allerdings hält der Dichter bei Nr. 1 einen Blumenkranz in den Händen). Die Kleidung ist bei Männern wie Frauen ein langärmeliger (bei den Frauen: bodenlanger) roc mit V-Ausschnitt, darüber ein Mantel. Wenige Binnenfalten strukturieren die Gewänder.

Vom Zackenstil des 13. Jahrhunderts geprägt (dagegen Roland [2001] S. 209), z. B. Mantel und Satteldecke bei Nr. 2, und damit vermutlich näher an der verlorenen Vorlage (oder den Vorlagen), auf der (oder denen) auch Nr. 76.2.2., Nr. 76.2.3. und Nr. 76.2.5. basieren (vgl. Beer [1987] S. 73). Werkstatt (Regensburg?) dieselbe, die auch München, Cgm 6406 mit Bildern ausstattete (Meister der Münchener Weltchronik, nach Roland in seiner Spätphase [S. 209]). Vergleichbar ist die flächige Komposition, ähnliche Details sind etwa Frisuren (mehrere kurze Striche am Haaransatz, weich den Kopf umschließende Wellen, vom Ohr abwärts enger gelockt). Nach Roland später als Nr. 76.2.2. (der Figurenstil und die Modeentwicklung seien »entschieden fortschrittlicher« als jene im Grundstock des Codex Manesse und wohl am ehesten mit dem zweiten Nachtrag zu vergleichen [S. 212]).

In Hinblick auf den kräftig kolorierten Hintergrund, vor dem nicht oder nur spärlich kolorierte Figuren platziert sind, vergleichen sich Beispiele der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, etwa die Münchner ›Tristan‹-Handschrift Cgm 51, die Münchner ›Willehalm‹-Handschrift Cgm 193 oder ein Bamberger Stundenbuch in New York, The Morgan Library & Museum, MS M.739 (siehe die Stoffgruppen 129. und 141. sowie 43. Gebetbücher). Im 14. Jahrhundert begegnet diese Gestaltung im ›Speculum humanae salvationis‹ in Kremsmünster, Stiftsbibliothek, CC 243 (siehe Stoffgruppe 120.).

Bildthemen:

Die Dichter sind durch eine Überschrift in Texttinte (Stand und Name), ein Wappen und als Person repräsentiert: im Gespräch mit der Dame (als Liebender; 1r, 3r) oder als Falkner (in höfischer, ritterlicher Beschäftigung; 2r). Daraus, dass zwei der drei Bildthemen übereinstimmen, hat Saurma-Jeltsch (1988, S. 338) gefolgert, dass hier im Unterschied zu Nr. 76.2.2. und Nr. 76.2.5. die Variation kein Darstellungsprinzip gewesen sei. Sie geht sogar so weit, daraus die Unmöglichkeit einer gemeinsamen Vorlage dieser Handschriften abzuleiten, und stellt infrage, ob das Budapester Fragment überhaupt auf eine bebilderte Vorlage zurückgegriffen habe. Da das Fragment nur drei Bilder überliefert, scheint der Rückschluss auf ein Illustrationsprinzip schwierig. Es ist auch zu bedenken, dass gerade das Motiv ›Dichter im Gespräch mit der Dame‹ auch in Nr. 76.2.2. und Nr. 76.2.5. mehrfach vorkommt.

Ob die Dichter-Darstellungen auf den Text Bezug nehmen, ist fraglich, nicht nur, weil die Überlieferungsbasis des Fragments dünn ist. Zwar ist Der herre von Chvrenberch im Gespräch mit der Dame gezeigt, und tatsächlich enthält das hier überlieferte Corpus mehrere Frauenstrophen, teilweise in Wechseln mit Männerstrophen, und somit eine Art Gesprächssituation. Eine Begegnung, auf die die Dame anspielt (vnd man in was wir redeten do ich in ivngist sach; 1v), könnte also hier dargestellt sein. Allerdings lässt sich im Corpus zum vogt von Rotenburch, der ebenfalls im Gespräch mit der Dame gezeigt ist, keinerlei Hinweis auf ein solches Gespräch finden. Dieser Minnesang ist nicht mehr donauländisch, es gibt weniger Kontakt zwischen Dame und Sänger und (zumindest in diesem Corpus) keine Frauenstimme. Auch die Lieder des Burggraue[n] von Regenspurch, als Falkner dargestellt, thematisieren kein Jagen. (Zur Frage, ob dieser Autor identisch mit dem Burggrafen von Rietenburg zu sehen ist, wofür u. a. die Parallelüberlieferung der Strophen und die Ähnlichkeit der Wappen in Nr. 76.2.2. und Nr. 76.2.5. spricht, vgl. zuletzt Voetz [2015] S. 96f.) Insofern ist mit Saurma-Jeltsch (1988, S. 338) davon auszugehen, dass die Bilder hier »allgemein gültige[…] Gesprächs-, Minne und Rittermotive« darstellen und nicht auf den Inhalt des Textcorpus zu beziehen sind; die Darstellung von Mann und Frau samt Baum verweist nicht zuletzt natürlich auf die Idealität der Liebe (vor dem Sündenfall).

Farben:

Rotbraun für Hintergründe.

Literatur:

Beer (1987) S. 73f.; Saurma-Jeltsch (1988) S. 338f.; Vizkelety (1988) (mit Text-Abdruck); Voetz (1988) S. 246–249 (Abb. des vollständigen Fragments S. 551–566); Entstehung und Typen (2001); Roland (2001); Kornrumpf (2008b); Voetz (2015) S. 91–99.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 111: 1r. Der von Kürenberg.

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Abb. 111.