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90.0.5. Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum, Hs 4028

Bearbeitet von Heidrun Stein-Kecks

KdiH-Band 9

Datierung:

1468 (97v).

Lokalisierung:

Baden oder Franken (Nürnberg?).

Besitzgeschichte:

Drei Besitzeinträge auf dem Spiegel des Vorderdeckels, davon zwei mit dem Datum 1573 verbunden: Wolfgang Jacob Graf zu Schwarzenberg (1560–1618), Datum von anderer Hand nachgetragen, und Philipp (II.) Markgraf zu Baden (1559–1588); der dritte Eintrag, Christoph Markgraf zu Baden, ist nicht datiert. Aufgrund der Schrift kann es nicht Christoph I. (1453–1527) sein, dessen Schwester Zimburg die Kopenhagener Handschrift besaß (Nr. 90.0.3.). Vielmehr ist der von Kurras vorgeschlagenen Datierung ins 18. Jahrhundert zuzustimmen (Kurras [1974.1980] 1,1, S. 42; Benker [2005] S. 12, geht irrtümlich von einem entsprechenden Datumseintrag aus; Hellwig [1976] S. 251, identifiziert den Eintrag mit Christoph Gustav, 1566–1609). 1842 (1r) im Besitz des Münchener Bildhauers Ludwig Schwanthaler, gelangt die Handschrift über den mit diesem befreundeten Hans Freiherr von und zu Aufseß in das Germanische Nationalmuseum (Bibliothekskatalog [1855] S. 13).

Inhalt:
I.1. 1r–97v Thüring von Ringoltingen, ›Melusine‹
Handschrift N, Klasse II (Schneider [1958] S. 7f.), unvollständig
II.1. 98r–130v 66 erbauliche Exempel nach den ›Vitaspatrum‹
II.2. 131r–v ›Der König im Bade‹
unvollständig
II.3. 132r–133v ›Der Ritter in der Kapelle‹
unvollständig
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, 132 Blätter (2 Teile, I.1.: 1–97, II: 98–133); Textverlust durch fehlende Blätter nach Bl. 12, 21 (Hellwig [1976/2007] S. 251), 101, 130 und 131, I.1.: 300 × 205 mm, Bastarda von einer Hand, einspaltig, 29–31 Zeilen, ein Schreiber; Incipit und Schlussformel in Rot, rote Tituli mit großzügigen Schleifen und Cadellen, rote Lombarden über drei bis sechs Zeilen, abwechslungsreiche, aber wenig aufwendige Ziermotive wie Perlung, sehr einfaches Fleuronné.

Schreibsprache:

schwäbisch-alemannisch (Habermann [2006] S. 110).

II. Bildausstattung:

Erhalten sind 65 von ursprünglich 67 halb- bis dreiviertelseitigen kolorierten Federzeichnungen. Zu ergänzen sind die durch Blatt- mit Textverlust verlorenen Szenen der Huldigung Reymonds durch Melusines Hofstaat (Richel Nr. 10, nach Bl. 12) und zur Geburt von drei Söhnen in drei Jahren (Titulus auf 21v, Folgeblatt verloren).

Format und Anordnung:

Die Miniaturen sind überwiegend oben auf der Seite freigestellt; die Tituli stehen in diesen Fällen auf der vorhergehenden Seite, wo sie meist großzügige Weißräume füllen, manchmal aber auch eng in die letzten Zeilen gedrängt werden. In weniger als einem Drittel der Fälle sind sie am unteren Rand ausgerichtet, darüber der rot geschriebene Titel, der ohne Abstand auf den Text folgt und oft von Bildgegenständen bedrängt oder überschnitten wird. In den meisten Fällen breiten sich die Miniaturen ganz ohne rahmende oder innerbildliche Begrenzung und ohne definierten Bildgrund bis zu den Blatträndern aus und nutzen die vertikalen Freiräume neben der Textkolumne für aufragende Bildelemente (nur in Ausnahmen feine begrenzende Linien). Die Variation der Formate verbindet die beiden erhaltenen illuminierten Handschriften (vgl. Nr. 90.0.1.), wobei sie ikonografisch, stilistisch und kompositorisch deutlich voneinander abweichen.

Bildaufbau und -ausführung:

Die Miniaturen zeichnen sich durch klare, zugleich variationsreiche Kompositionen aus, die jede für sich genommen sowie in der ganzen Folge eine reiche, mit und ohne Text lesbare Bildergeschichte erzählen. Sie dominieren die Seiten allein schon durch ihre Größe, aber auch durch ihre offenen Formate, die von den Bildgegenständen bestimmt, nicht von außen an sie herangetragen werden. Der unbemalte Papiergrund wird bildwirksam in die Komposition einbezogen. Die Handlung wird maßgeblich von den fein gezeichneten, oft ohne jegliches Beiwerk agierenden Figuren getragen. Mit kommunikativen Gesten, Überschneidungen und Verkürzungen, Rückenfiguren und Gegenbewegungen – sogar bei den Pferden (z. B. 4r) – und aus einer gewissen Tiefe heraus entwickelten Massenszenen (Schlachten, z. B. 41r) erzeugen sie einen Eindruck von Räumlichkeit und überzeugender Interaktion. Ein verbindendes Element über die ganze Folge ist das in fast allen Szenen eingesetzte Grün einer Bildbühne, manchmal ergänzt durch ein dünnes Band in hellem Blau am oberen Rand. Es hängt am Bildgeschehen selbst, ob der Betrachter offene Landschaft oder Innenraum assoziiert. Letztere werden nur spärlich durch rahmende Linien angedeutet, wobei die Begrenzung nach unten offen bleibt und der wiederum grüne Boden in den Papiergrund übergeht. Nur in drei Fällen wird ein architektonischer Rahmen angedeutet (11r, 65r und 88v). Spannender sind von außen gezeigte Gebäude, die Figuren einen Raum in ihrem Inneren bieten, in dem sie sich bewegen (z. B. 20v) und aus dem sie durch Fenster und Öffnungen herausschauen können (z. B. 86v). Für die Wirkung der Szenen spielen auch die imaginären Verbindungen mit dem Betrachter(-raum) eine Rolle, wie bei den Turnieren, wo die Zuschauer den Kampf von hinter den Reitern aufgebauten Tribünen aus beobachten und damit zugleich auf ihr Gegenüber, die Betrachter der Szene im Buch (16v, 46v), schauen. Das Sehen und Schauen kulminiert in der heimlichen Beobachtung Melusines im Bad (50r), die, hier auf die beiden Protagonisten beschränkt, den verbotenen Blick Reymonds durch ein Guckloch in den verschlossenen Taburaum lenkt. Dort offenbart sich ihm, was der Titel abweichend von den anderen Ausgaben beschreibt und sich dem Leser, der ohnehin von Anfang an informiert ist, endlich präsentiert: die Zwittergestalt Melusines, die ihrerseits mit gesenkten Augen andeutet, dass das Geheimnis weiterhin gewahrt bleiben kann. Die von Clier-Colombani (2013, S. 329) treffend beschriebene Psychologisierung der Erzählung zeigt sich in besonderer Weise in der Folge der Ereignisse um die Offenbarung der Zwitternatur Melusines (60r, 61r, 62v und 63v). Die Bilderfindungen verzichten mit Ausnahme eines Sessels, der Melusine zunächst in ihrer Ohnmacht auffing und ihrer anschließenden Rede Autorität verleiht, auf jegliche Ausgestaltung der Szenerie und setzen ausschließlich auf die Figuren, ihre Bewegungen, Gesten und Mimik. Damit bekommen die emotionalen Beweggründe und Reaktionen einen angemessenen Ausdruck im Bild.

Die Bilderzählung spannt den Bogen noch öfter über mehrere Einzelbilder, am anschaulichsten in der gleichbleibenden, aber stets variierten Szenerie des Riesenkampfes Geoffroys mit Grymmolt, der nicht nur zum Tod des Ungeheuers, sondern auch zur Entdeckung der Melusines Herkunft und Fluch offenbarenden Ahnengruft führt. Dort besticht die textgetreue Darstellung der Ahnentafel (74r) mit lesbarer Inschrift, die mit den Worten Presines die Familiengeschichte wiedergibt (vgl. Nr. 90.0.d.). Spannung erzeugt auch die Folge der Darstellungen von Lehensvergabe und Landvermessung (11r, 12r), bei der die List zunächst verborgen bleibt, weil der Jäger bei der in ihrem Rechtscharakter betonten Szene nicht anwesend ist. Umso größer ist die Überraschung, auch für Reymond, wenn die zerschnittene Hirschhaut ein Land in unglaublicher Größe, wie es die mit dem Band umschlossenen Wiesen, Berg und Wald suggerieren, umfasst – das ganze sagenhafte Reich Melusines.

Bildthemen:

Trotz derselben Anzahl der Illustrationen entspricht die Auswahl der Bildthemen nicht dem Richel-Druck (Nr. 90.0.a.), sondern stimmt in den signifikanten Abweichungen genau wie die Vergleichshandschriften mit Bämlers erster Ausgabe von 1474 (Nr. 90.0.b.) überein. Dies betrifft die Illustrationen zum Bau des Schlosses Lusignan (19r) und zu den Geburten der ersten Söhne sowie den Verzicht auf die bei Richel und den Straßburger Drucken aufgenommenen Darstellungen zum Empfang und Abschied des Elsässer bzw. hier des sächsischen Königs mit Anthoni und Reinhart sowie zum Tod des unehrenhaften Gis im Sperberschloss (Richel Nr. 29, 30, 63). Bemerkenswert ist nicht nur die Zahl an Illustrationen der Geburten (20v, 21r, 21v [Blattverlust], 23r), sondern auch die Anpassung an Textstelle und Titel. So wird die im Text angebotene Verknüpfung der Geburten mit Hinweisen auf das spätere ruhmreiche Schicksal der Söhne in der Ikonografie nicht aufgegriffen, wie das die ersten Drucke mit jeweils abweichender Platzierung tun. Der Grund für die gerade in dieser Passage stark abweichende Text-Titulus-Bild-Gestaltung mag in der nicht mehr zu rekonstruierenden Vorlagensituation zu suchen sein.

Farben:

Federzeichnung in Braun und Schwarz, teilweise auch mit Pinsel nachgezogen, lokalfarbig-bunte Kolorierung mit Grün, Blau (Lapislazuli), Rot, Grau, farbige Modellierungen, aufgesetzte Lichter mit Deckweiß (Hellwig [1976] S. 263).

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 118: 6r. Reymond tötet den Grafen.

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Abb. 118.