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9.3. Die sog. ›Totentanzhandschrift‹ des Grafen Wilhelm Werner von Zimmern und ihre Abschriften

Bearbeitet von Gisela Fischer-Heetfeld

KdiH-Band 1

Ein Sonderfall in dieser Stoffgruppe wie überhaupt im Katalog ist das geistliche Erbauungsbuch des Grafen Wilhelm Werner von Zimmern (1485–1575), das in der Forschung gewöhnlich zu eng als ›Zimmernsche Totentanzhandschrift‹ bezeichnet wird. In Wirklichkeit bewahrt diese Handschrift des 16. Jahrhunderts eine Fülle von z. T. sonst nicht überlieferten Texten und auch Bildern des 15. und 16. Jahrhunderts zum Thema Vergänglichkeit. Da bisher keine Beschreibung vorliegt und die Handschrift in der Forschung kaum berücksichtigt wurde, bringt der Katalog ausnahmsweise ausführlichere Angaben und eine größere Zahl von Abbildungen.

Wilhelm Werner hat seine Texte wie auch die Bilder über einen langen Zeitraum hinweg zusammengetragen, dafür gibt es verschiedene Hinweise. So stellt er sich mit seiner ersten, 1521 früh verstorbenen Frau Katharina von Lupfen zu Füßen des Kreuzes dar (237v); das von ihm selbst verfaßte Gedicht Nr. 41 entstand nach Ausweis des Akrostichons 1539 in Wimpfen, und auf der Grabplatte des verstorbenen Bruders Johannes steht die Jahreszahl 1548. Die endgültige Redaktion des Ganzen zu einem geistlichen Vademecum muß etwa um die Jahrhundertmitte erfolgt sein, vielleicht Ende der fünfziger Jahre während einer zeitweiligen Dispensierung vom Amt, oder auch erst nach 1554, als sich der bald Siebzigjährige nach einer erfolgreichen juristischen Laufbahn (Studium in Tübingen und Freiburg, 1505/6 Rektor der Freiburger Universität, 1529–41 Assessor, 1548–54 Richter am Reichskammergericht in Speyer) auf sein Schloß Herrenzimmern bei Rottweil zurückzog, um während eines langen Ruhestandes seinen bibliophilen und antiquarischen Neigungen nachzugehen. Der gebildete Jurist und Historiker hatte als passionierter Bücherliebhaber zeitlebens die ererbte Bibliothek zu vergrößern getrachtet. Ein äußerer Anlaß für das Zustandekommen der vorliegenden Handschrift mag ein Ereignis gewesen sein, von dem der Neffe Froben Christoph in der Zimmerischen Chronik berichtet: In den Kriegswirren des Jahres 1553 hatte Wilhelm Werner einen Teil seiner kostbaren Bibliothek und Wunderkammer ins sicherere Straßburg bringen lassen. Beim Transport fielen mehrere Fässer in die Kinzig, unersetzliche Manuskripte gingen verloren oder waren durch Wasserschaden kaum noch lesbar. Vielleicht hat Wilhelm Werner selbst abgeschrieben, was noch zu entziffern war, um so wenigstens den Inhalt zu retten.

Die Vorlagen des ›Geistlichen ABC‹ waren neben Handschriften vor allem frühe Druckerzeugnisse. Anscheinend hat Wilhelm Werner alles gesammelt, was ihm unter die Hände kam und ihn persönlich ansprach. Sein eigener Anteil als Autor ist schwer abzuschätzen, zumal er auch als Redaktor eingriff: erweiterte, ein Vorwort hinzufügte, eine Überleitung verfaßte. Nur in wenigen Fällen schafft das Akrostichon (Nr. 41. 65.) oder die explizite Nennung (Nr. 47. 65.) Klarheit über seine Verfasserschaft.

Auch das Verhältnis von Wort und Bild wirft Fragen auf. Der Graf scheint ein geübter, nicht unbegabter Zeichner gewesen zu sein, der – anders als viele seiner Zeitgenossen, wie etwa Klaus Spaun oder Valentin Holl in Augsburg – nicht ausgeschnittene Holzschnitte oder Zeichnungen zur Illustration einklebte, sondern auch die Bilder mitkopierte. Offen ist aber, ob schon in der Vorlage Bild und Text in gleicher Weise verbunden waren wie in Wilhelm Werners Handschrift. In manchen Fällen trifft das zu und läßt sich nachprüfen, z. B. beim ›Spiegelbuch‹ oder ›Totentanz‹. Bei eigenen Gedichten oder wenn die Vorlage nicht bebildert war, mag der Graf auch anderwärts gesucht haben, so beim Bild des Grafen auf der Himmelsleiter (131v) aus Johann Neubers Cicero-Übersetzung für Johann von Schwarzenberg, das er seinem eigenen, auch in der Zimmerischen Chronik überlieferten Gedicht voranstellte, oder bei der Todesgestalt auf der Grabplatte des verstorbenen Bruders (145r) nach Schäufeleins Holzschnitt im ›Memorial der Tugend‹. Für eine ad hoc-Zusammenstellung von Bild und Text spricht auch, daß gelegentlich ein Leerraum freiblieb, wenn ein passendes Bild wohl nicht zur Verfügung stand, z. B. vor Luthers Sterbelehre. Wie frei Wilhelm Werner dem Brauch der Zeit entsprechend mit der Vorlage umging, zeigt die Verwendung des Kupferstichs vom Meister der Bandrollen für zwei verschiedene Texte oder die Aufteilung eines anonymen Einblattdruckes von Hans Weigel d. Ä.: das Bild erscheint beim Priamel Nr. 10, während dem Spruchgedicht (Nr. 33) ein anderes Bild vorangestellt ist.

Offen muß bleiben, ob der alte Graf die Sammlung allein zur eigenen Erbauung und rechten Vorbereitung auf den Tod zusammenfügte oder ob er dabei auch an seine Erben, vor allem den Neffen Froben Christoph, dachte. Die ungewöhnlich hohe Zahl von drei bisher bekannten Kopien könnte darauf hindeuten, daß das Buch im Familien- und Freundeskreis gelesen und zur Abschrift weitergereicht wurde.

Von diesen Kopien folgen zwei – die Berliner (B) und die Nürnberger (N) – aufs engste dem Original, sowohl beim Kopieren der Bilder wie bei der Abschrift des Textes. B ist flüchtiger und gröber gezeichnet und geschrieben, N eine sehr sorgfältige, genaue Kopie. In beiden fehlt leider eine beträchtliche Anzahl von Blättern. Viel freier geht dagegen der Maler der Donaueschinger Foliohandschrift 123 (D) mit der Vorlage um. Sie ist die eigentliche, ohne Blattverlust erhaltene Repräsentationshandschrift. Das Bemerkenswerteste an ihr ist neben der prächtigen Ausstattung der Austausch von 17 Bildern des ›Totentanzes‹ und des Predigerbildes im ›Spiegelbuch‹ durch Kopien nach Holbeins Holzschnittvorzeichnungen der ›Bilder des Todes‹. Wenn die Handschrift tatsächlich erst um 1600 geschrieben wurde, wie Heiss annimmt, wären rund 25 Jahre seit dem Tode von Graf Wilhelm Werner vergangen. Akzeptiert man dagegen Cosacchis Lesung [15]55 (s. zu Nr. 9.3.1b.), so dürfte der Ersatz der älteren Totenreigenbilder durch die »moderneren« Holbeins noch durch Wilhelm Werner selbst veranlaßt worden sein.

Literatur zu den Illustrationen:

Ernst Heiss: Der Zimmern’sche Totentanz und seine Copien. Diss. Gießen. Heidelberg 1901.