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26. Chroniken

Bearbeitet von Ulrike Bodemann, Kristina Domanski und Peter Schmidt

KdiH-Band 3

Trotz einer in den letzten Jahren intensiveren Beschäftigung der mediävistischen Forschung mit der volkssprachlichen Chronistik ist ein fundierter gattungstheoretischer Überblick über den Gesamtkomplex mittelalterlicher historiographischer Texte noch immer Desiderat. Die Zeitkategorie, als zentrales Ordnungsprinzip zwar für Ereignisberichte verbindlich, kommt als gattungsgliederndes Kriterium für die gesamte mittelalterliche Geschichtsschreibung schon deshalb kaum in Betracht, weil Zeitgeschichte im Mittelalter stets der Heilsgeschichte untergeordnet ist und sich alle Realdaten dem überzeitlichen Weltentwurf einzufügen haben. Auch die traditionell als Gliederungsprinzip genutzte Raumkategorie ist zumindest dem zeitgenössischen Geschichtsverständnis nur bedingt angemessen, da geographische Bezugssysteme sich erst mittelbar aus dem geschichtlichen Selbstverständnis der Gemeinschaften, über bzw. für die geschrieben wurde, ableiten lassen. Bei allen bisherigen Versuchen, die Vielfalt und Verschiedenheit der chronikalischen Einzelwerke, Textgruppen und Gattungen in ein verbindliches Deutungs- und Ordnungssystem einzupassen, blieb stets ein nicht integrierbarer Überschuß von Randgattungen, auf die die angewandten Definitionskriterien nur höchst bedingt zutrafen. Dies gilt auch für Rolf Sprandels Gliederungsvorschlag (Chronisten als Zeitzeugen. Forschungen zur spätmittelalterlichen Geschichtsschreibung in Deutschland. Köln-Weimar-Wien 1994 [Kollektive Einstellungen und sozialer Wandel im Mittelalter. NF 3]), dessen sieben Chronikgattungen – Weltgeschichte, Annalen, Landesgeschichte, Bistums- und Klostergeschichte, Dynastiegeschichte, Stadtgeschichte, Memoiren und Tagebücher – Textsorten wie etwa die Biographie (einschließlich der Hagiographie) oder thematisch abgegrenzte Geschichten von Kriegen, Reisen oder anderen Ereignissen ausschließen.

Der ›Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters‹ unterscheidet – eher pragmatisch – drei historiographische Großgattungen, deren bebilderte Überlieferung in unterschiedlichen Stoffgruppen aufgearbeitet wird:

  • 26. Chroniken – primär auf Lokal- und Territorial- bzw. Institutionengeschichte (eines Bistums, eines Klosters, einer Stadt) orientierte, also raumbezogene, überwiegend in Prosa verfaßte Chronistik, die in zwei Stoffgruppen gegliedert ist:
    • 26A. Lokal-, Territorial- und Herrschaftschroniken, die – eingedenk der methodisch dagegen vorzubringenden Einwände – alphabetisch nach geographischen Orten und Räumen sortiert werden, und
    • 26B. Ereignischroniken, die als Subtypus zwar in der Geschichte eines Territoriums integriert, jedoch auf ein bestimmtes Ereignis in der Geschichte dieses Territoriums fokussiert sind. Exemplarisch für den Typ Ereignischronik ist die ›Konstanzer Konzilschronik‹, die auf einen konkreten geographischen Raum bezogen bleibt, ihr zentrales Erkenntnisinteresse jedoch auf ein einziges, dort stattgefundenes Ereignis richtet.
  • 45. Genealogie – primär auf dynastische Genealogie bezogene Chronistik. Einige Werke dieser Stoffgruppe haben ihren Ausgangspunkt in Territorial- und Herrschaftschroniken, so etwa die ›Mecklenburgische Fürstendynastie‹ des Nikolaus Marschalk gen. Thurius (Schwerin, Landeshauptarchiv, Fürstenhaus 161), die v. a. auf der ›Mecklenburgischen Reimchronik‹ von 1521 (Schwerin, Mecklenburgische Landesbibliothek, Ms. 376) basiert, oder die Regententafeln (Darmstadt, Hessische Landes- und Hochschulbibliothek, Hs. 204; ebd., Hs. 238), die Wigand Gerstenberg auf der Grundlage seiner ›Chronik von Thüringen und Hessen‹ (1493) angelegt hat (Kassel, Gesamthochschul-Bibliothek – Landesbibliothek und Murhardsche Bibliothek der Stadt, 4o Mss. hass. 115). Dennoch erscheint trotz des entstehungsgeschichtlichen Zusammenhangs eine Ausgrenzung solcher deutlich genealogisch ausgerichteten Texte aus der Stoffgruppe 26A. Lokal-, Territorial- und Herrschaftschroniken sinnvoll.
  • 135. Weltchroniken – primär auf Universalgeschichte bezogene Chronistik, dazu der Sondertypus 64. Kaiserchronik. Insbesondere bei den gereimten Weltchroniken rechtfertigt schon die Ausstattung mit Bildzyklen, in denen sich auch die profanen Anteile größtenteils aus tradierten Modellen christlicher Ikonographie ableiten, ihre Zuordnung zu einer eigenen Stoffgruppe. Übergangsformen, wie z. B. die Niedersächsischen Chroniken des Hermann Bote (›Braunschweiger Weltchronik‹, ›Hannoversche Weltchronik‹) oder die ›Straßburger Weltchronik‹ Jakob Twingers von Königshofen, bei denen der heilsgeschichtliche Darstellungsanspruch trotz der universalhistorischen Einleitung deutlich zugunsten landesgeschichtlicher Fokussierung zurücktritt, sind unter der Stoffgruppe 26. beschrieben.

Anders als in den meisten fiktionalen Gattungen – und der Universalchronistik (Stoffgruppe 135.) – reicht die handschriftliche Überlieferung von Lokal-, Territorial-, Herrschafts- und Ereignischroniken oft weit ins 16. Jahrhundert hinein; für manche Chroniken ist dieses Jahrhundert nicht, wie sonst üblich, die Zeit des Ausklangs mittelalterlicher Traditionen, sondern geradezu die Hauptüberlieferungszeit. Für den auf die mittelalterliche Überlieferung ausgerichteten ›Katalog‹ resultieren aus diesem Befund folgende Abgrenzungskriterien:

  1. Die in den Chroniken beschriebene Zeit darf nicht wesentlich über 1500 hinausreichen.
  2. Die Abfassungszeit der Chroniken sollte das Jahr 1520 nicht wesentlich überschreiten.
  3. Der Überlieferungszeitraum der Chroniken sollte sich nicht wesentlich über 1550 hinaus erstrecken; spätere Überlieferungszeugen werden im Einleitungstext zur Untergruppe genannt oder im Anhang aufgelistet.

Damit fällt z. B. die ›Zimmernsche Chronik‹ von 1566, die vornehmlich die Lebenszeit des Verfassers behandelt, aus dem Kriterienraster heraus, ebenso nahezu alle volkssprachigen Bistums- und Bischofschroniken als Vertreter einer Gattung, in der Bildbeigaben (vornehmlich in Form von Wappenreihen) erst um die Mitte des 16. Jahrhunderts Fuß fassen.

Das zeitliche Abgrenzungskriterium wird bei reich tradierten und gut dokumentierten Chroniken strenger gehandhabt als bei schmal überlieferten und unbekannteren Texten. So erhalten die lediglich mit leeren Bildräumen versehenen Exemplare des 16. Jahrhunderts der ›Österreichischen Chronik von den 95 Herrschaften‹ keine eigene Katalog-Nummer, sondern werden nur im Anhang genannt. Die Berücksichtigung von Grenzfällen, wie der ›Mecklenburgischen Reimchronik‹ des Nikolaus Marschalk gen. Thurius (1521), der ›Chronik der Thüringer und Sachsen‹ von Georg Spalatin (um 1530) und der ›Würzburger Bistumschronik‹ des Lorenz Fries von Mergentheim (1541–1546, berichtete Zeit: bis 1495), wird in den Einleitungstexten zur jeweiligen Stoffuntergruppe begründet.

***

Ebenso vielfältig, ja disparat, wie die unter der Stoffgruppe 26 versammelten Texte sind ihre Illustrationstypen. Anders als bei den Weltchroniken, deren Handschriften mehrheitlich mit bibelgeschichtlichen und ikonographisch daraus abgeleiteten Miniaturen von meist höchstem Anspruchsniveau ausgestattet sind, setzt sich die Ikonographie der Territorial-, Stadt- und Ereignischroniken aus den unterschiedlichsten Bildtypen und -quellen zusammen. Neben Rankenwerk, Drolerien und historisierten Initialen als Handschriftenschmuck – wie bei der Deutschordenschronistik oder der ›Magdeburger Schöppenchronik‹ – sind im wesentlichen sieben Illustrationstypen zu unterscheiden, die häufig auch miteinander kombiniert werden können und sich in der Mehrzahl der Fälle auch überschneiden und gegenseitig verschränken:

  • graphische Reihen mit Bildmedaillons,
  • Portraits,
  • Wappen,
  • Stadtansichten,
  • symbolhafte Darstellungen,
  • Titelbilder,
  • Ereignisbilder.

Graphische Reihen, sich aus Bildmedaillons zusammenfügend, kennen vornehmlich Papst-Kaiser- und Universal-Chroniken, etwa die des Johannes de Utino, aber auch Stadt- und Landeschroniken – wie des Andreas von Regensburg ›Bayerische Chronik‹ –, oft bei den hier behandelten Chronikhandschriften kombiniert mit anderen Illustrationstypen. Angelpunkt des graphischen Organisationsprinzips von Geschichte ist die Genealogie Christi als Wurzel Jesse, zu der sich die Sukzession der Herrscher von Persien, Griechenland und Rom stellt. Handschriften dieses Illustrationsmodells werden im ›Katalog‹ jedoch nur dann berücksichtigt, wenn in das graphische Grundschema figürliche und bildliche Elemente wie Portraits, biblische Szenen usw. eingelagert sind.

Portrait-Folgen ohne graphisch-genealogische Verknüpfung werden vielfach, wie etwa in der ›Sächsischen Weltchronik‹ (Stoffgruppe 135.) oder auch in den ›Niedersächsischen Chroniken‹ Hermann Botes mit anderen Modellen kombiniert; nahezu ausschließlich auf Herrscherdarstellungen reduziert ist dagegen die Ikonographie der ›Ungarischen Chronik‹ des Johannes des Thurocz im Heidelberger Cod. Pal. germ. 156.

Auf Wappenbilder beschränken sich die Illustrationsfolgen z. B. der ›Österreichischen Chronik von den 95 Herrschaften‹ – mit Ausnahme der alemannischen Sonderüberlieferung mit einem umfangreichen Zyklus von Ereignisbildern –, wobei nicht nur hier – wie im Cod. ser. nov. 3344 der Österreichischen Nationalbibliothek Wien mit seinen Bildräumen und Wappen außerhalb des Texts oder im Cod. 905 der Universitätsbibliothek Innsbruck mit drei Wappen im Text und einer Wappenfolge auf einer gesonderten Lage – Übergangsformen zwischen textintegrierten und -separierten Wappenbildern vorkommen: Gallus Öhems ›Chronik der Reichenau‹ (Freiburg, Universitätsbibliothek, Hs. 15) enthält einen Wappenvorspann, Sigismund Meisterlins ›Augsburger Chronik‹ im 2o Cod. H. 1 der Augsburger Staats- und Stadtbibliothek einen Wappenanhang, und bei Hermann Botes ›Schichtbuch‹ ist schwer zu entscheiden, ob die Wappenreihe noch zum ›Schichtbuch‹ gehört oder als eigenes Werk intendiert ist. Jedenfalls besteht bei einigen mit Wappen illustrierten Chroniken eine enge, auch den Werkcharakter betreffende Verwandtschaft mit der Stoffgruppe der Wappenbücher (Nr. 133.).

Zuweilen leiten Titelbilder, häufig die Dedikation der Chronik an den Auftraggeber oder die Benutzergemeinde darstellend, die Handschrift ein, so bei Gallus Öhems ›Chronik der Reichenau‹, bei Sigismunds Meisterlins ›Augsburger Chronik‹ oder in der Schweizer Chronistik. Mit Stadtansichten, wie sie in der Drucküberlieferung, etwa in Hartmann Schedels Weltchronik, geradezu gattungstypisch werden, ist Hermann Botes ›Niedersächsische Chronik‹ illustriert; eine Vielzahl politischer Symbole findet Eingang in das Bildprogramm der ›Agrippina‹ Heinrichs von Beeck, Tierallegorien in das ›Schichtbuch‹ Hermann Botes.

Der für die Regional-, Lokal- und Ereignischronik jedoch bemerkenswerteste Illustrationstyp ist eine ikonographische Neuschöpfung für »Motive, die bisher noch keine Darstellung gefunden hatten« (RDK 3, Sp. 744f.) – ein Typ, für den Hans Wegener am Beispiel der ›Konstanzer Konzilschronik‹ den Terminus »Ereignisbild« geprägt hat: Darstellungen von aktuellen historischen Begebenheiten, detailreich, voll von Alltagsrealitäten und wohl mit der Absicht konkreter Lokalisier- und Datierbarkeit des dargestellten Geschehens angefertigt. Neben den in der Gruppe 26B. Ereignischroniken beschriebenen Handschriften ist es besonders die Schweizer Chronistik, deren Illustrationen sich durch außergewöhnlichen »Realitäts«-Bezug und durch die Tendenz, das einmalige historische Ereignis exakt festzuhalten und in einer geographisch bestimmbaren Situation zu verorten, auszeichnen und sich dabei mitunter gänzlich von tradierten Bildmustern lösen. Ein Sonderfall dieses Illustrationsmodells ist Cod. 3040 der Österreichischen Nationalbibliothek Wien von Ottokars von Steiermark ›Österreichischer Reimchronik‹, der lediglich Bildtitel für Ereignisbilder enthält.

So vielfältig wie die Illustrationstypen und ikonographischen Modelle der Chroniken ist auch ihr Anspruchs- und Qualitätsniveau. Neben künstlerisch und in der Bilderfindung höchst fortschrittlichen, in die Neuzeit vorausweisenden Beispielen wie etwa der Schweizer Chronistik und der Stuttgarter Meisterlin-Handschrift HB V 52 (Nr. 26A.2.9.), oder besonders aufwendigen Repräsentationshandschriften zur städtischen oder herrscherlichen Selbstdarstellung wie z. B. der ›Würzburger Bistumschronik‹ oder den Mecklenburgischen Chroniken, gibt es mehr oder minder dilettantische, vom Verfasser und Illustrator in Personalunion ausgestattete Handschriften, wie Heinrichs von Beeck ›Agrippina‹ oder Hermann Botes ›Niedersächsische Chronik‹ und sein ›Schichtbuch‹. Relativ geringe Resonanz hat die Chroniküberlieferung und -illustration im Druck gefunden, etwa in der auf Augsburg beschränkten Tradierung von Sigismund Meisterlins Werk oder in der ›Schwäbischen Chronik‹ Thomas Lirers. Stattdessen werden die Texte bis weit in die Neuzeit hinein handschriftlich kopiert und bebildert – mit Werken wie der ›Österreichischen Chronik von den 95 Herrschaften‹, Hermann Botes ›Schichtbuch‹, der ›Würzburger Bistumschronik‹, Gallus Öhems ›Chronik der Reichenau‹ und anderen.