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90.0.1. Basel, Universitätsbibliothek, O I 18

Bearbeitet von Heidrun Stein-Kecks

KdiH-Band 9

Datierung:

29.3.1471 (82v).

Lokalisierung:

Oberrhein (Basel).

Besitzgeschichte:

Aus dem Erstbesitz des Schreibers, Nikolaus Meyer zum Pfeil (1451–1500), Ratsschreiber der Stadt Basel; dann nachgewiesen in der Bibliothek des Remigius Faesch (1595–1667) und mit dieser nach 1823 in die Öffentliche Universitätsbibliothek Basel übergegangen.

Inhalt: Die Handschrift war laut Notiz auf dem Vorsatzblatt von 1872 in einem zu diesem Zeitpunkt aufgelösten Sammelband überliefert, der folgende vier Inkunabeln beinhaltete (HAN 000084198): ›Apollonius‹ (vgl. Nr. 7.) Augsburg: Günther Zainer, 1471, Inc. 216, ISTC ia00925000, GW 02273; Francesco Petrarca, ›Griseldis‹ (deutsche Fassung von Heinrich Steinhöwel, vgl. Nr. 49.) Augsburg: Günther Zainer, 1471, Inc. 217, ISTC ip00402850, GW M31580; Aeneas Sylvius Piccolomini, ›De duobus amantibus‹, deutsch von Niklas von Wyle, Straßburg: Heinrich Knoblochtzer, nicht vor 1477, AM VI 9a, ISTC ip00686455, GW M33550; Hans Erhard Tüsch, ›Burgundische Historia‹, Straßburg: Heinrich Knoblochtzer, 1477, AM VI 9b, ISTC it00495000, GW M48074.
1r–82v Thüring von Ringoltingen, ›Melusine‹
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, 83 Blätter, 290–300 × 205–210 mm, Blattverlust mit Text- und Bildverlusten an zehn Stellen am Anfang und Ende, Bastarda von einer Hand, Nikolaus Meyer zum Pfeil (82v), einspaltig, 27–30 Zeilen, rote Lombarden über zwei bis drei Zeilen zum Beginn jedes Abschnitts, rot gestrichelte Majuskeln, gelegentliche Unterstreichungen von Namen und Bezeichnung von Personen sowie Randbemerkungen durch Benutzer, ebenso jüngere Beschriftungen der Kulisse der Schlacht als Statt Prag (27r) oder der dargestellten Personen (31r).

Schreibsprache:

alemannisch mit baslerischen Eigenheiten (HAN).

II. Bildausstattung:

Erhalten sind 38 kolorierte Federzeichnungen (Liste siehe HAN 000084198). Die ursprüngliche Anzahl von wohl 48 Miniaturen leitete Butz (1987, S. 12, 21–28) aus den Blatt- und Textverlusten im Vergleich mit den ältesten Drucken (Nr. 90.0.a., Nr. 90.0.b.) ab.

Format und Anordnung:

Die halb- bis dreiviertelseitigen Bilderzählungen unterbrechen den geschriebenen Text ohne Tituli und meist auch ohne Rahmen an verschiedenen Stellen der Seiten. Bezogen auf den Inhalt sind sie »vor, nach oder mitten in die entsprechende Textpassage eingefügt« (Butz [1987] S. 21), öfter auch mitten in einen Satz hinein, wodurch sich unmittelbare Verbindungen zwischen Bild und Text ergeben.

Einmal (3r) verweist das zentriert in der letzten Zeile platzierte Wort figura, im Zuge der Rubrizierung mit zwei dünnlinig angedeuteten Wappenschilden flankiert, auf eine Illumination, die Sterndeutung, für die erst auf der folgenden Seite genug Platz ausgespart werden konnte. Die einzige ganzseitige Miniatur (72r), Gis und Meliora im Sperberschloss, dient als Einleitungsbild zu einem neuen Abschnitt, der im Text direkt davor (71v) angekündigt wird. Format, Rahmung und das Verhältnis der Miniaturen zu Schriftspiegel und Blattgröße werden in auffälligen Varianten vorgeführt. Ein Teil passt sich den durch den Schreiber definierten, mehr oder weniger halbseitigen Freiräumen an, ohne dabei in jedem Fall die Grenzen des Schriftspiegels zu beachten. Viel öfter breiten sich die Kompositionen ohne abgeschlossenes Bildfeld und ohne Bearbeitung des Bildgrundes über den zur Verfügung stehenden Weißraum aus, nutzen auch die Ränder für breit gelagerte Szenen oder hoch aufragende Bildgegenstände und lassen kleine Details in die Textzeilen hineinragen. Die präzise Platzierung der Bilder im Textverlauf spricht eher nicht für einen »spontanen« (Butz [1987] S. 21) Umgang des Miniaturisten mit seiner Aufgabe. Exemplarisch zeigt sich dies an der singulären Darstellung der Bergung des toten Grafen nach dem Jagdunfall (8r). Das Bild platzt mitten in die Klagen der Hofleute über das ungewisse Schicksal ihres Herren herein und verbreitet die Nachricht über dessen Tod, noch bevor sie im Text berichtet wird. Das notwendige Umblättern (8v) um den vom Bild unterbrochenen Satz zu Ende zu lesen, erhöht die Dramatik und die Spannung zwischen sprachlicher und bildlicher Erzählung. Hier wie in einer Reihe von weiteren Beispielen zeigt sich die enge Verschränkung der Bilderzählung mit dem Textverlauf. Darin liegt ein wesentlicher Unterschied zu den mit Titeln versehenen Handschriften und Drucken, die andere, auch untereinander wiederum abweichende Platzierungen wählen.

Bildaufbau und -ausführung:

Die Szenen spielen etwa zu gleichen Teilen in den beschriebenen Innenräumen, die sich zum Betrachter hin in das Format überspannenden Bögen öffnen, aber auch einfach nur durch Versatzstücke wie Fliesenboden und Möblierung angedeutet sein können (z. B. das Brautbett, 12v), oder in ›freier Natur‹, assoziiert durch grasgrüne Aktionsflächen der Figuren. Diese grünen Flächen erweisen sich motivisch und formal als sehr flexibel und lassen geschickte räumliche Kompostitionen entstehen, wie z. B. bei der Überbringung der Botschaft von Froymonds Klostereintritt an Geoffroy (40v), wo sich Raumtiefe suggerierende Verkürzung bis zum mittig im Hintergrund aufragenden Baum mit einer Staffelung von Bildebenen durch plastisch erscheinende braun-grüne Felshügel verbindet, die für den Auftritt und Abgang von Figuren genutzt werden. Nur ein einziges Mal breitet sich Himmel über einer Landschaft aus, und zwar bei der Erzählung der schicksalhaften Deutung der Gestirne (3v), die eine explizite Darstellung einfordert. Die sparsame Ausgestaltung der jeweiligen Szenerie dient im Wesentlichen der formalen Unterstützung der Figurenkomposition. Die einzige zweiteilige Szene, die Hochzeit Anthonis, zeigt mit der kompositorischen Trennung der Vermählung links von dem anschließenden Fest rechts den zeitlichen Abstand der Ereignisse. Mit einer gewissen Gewitztheit füllte der Maler die leere Mitte prominent mit einem Hündchen, das als Symbol für die eheliche Treue gelesen werden kann, das aber zugleich beide Gruppen verbindet. In den rechteckig begrenzten Formaten kommt die lockere Zeichnung und der rasche Farbauftrag nicht so sehr zur Geltung, und die Tendenz zu großen, groben Gesichtern führt zu überzeichneter Disproportionalität. Für die Differenzierung von mehreren Händen taugt das nicht zwingend, eher für eine mal sorgfältige mal eher schnell und nachlässig skizzierende Vorgehensweise einer Werkstatt.

Bildthemen:

Die unvollständig erhaltene Bildfolge weist grundsätzliche thematische Übereinstimmungen mit den anderen Handschriften und den frühesten Drucken auf. Mit der Illustration zum Schlossbau von Lusignan (14r) und der Kindbettszene zur Geburt des ersten Sohnes Uriens (15r) entspricht sie dem Druck Johann Bämlers (Nr. 90.0.b.), der sich wie die Handschriften darin vom Richeldruck (Nr. 90.0.a.) unterscheidet. Zwei Themen sind in der deutschen Überlieferung singulär: die Bergung des toten Grafen (8r) und die Botschaft über den Feuertod Froymonds infolge der Brandschatzung des Klosters Maillezais durch Geoffroy (43v). Die mit 48 deutlich geringer angenommene ursprüngliche Gesamtanzahl gegenüber den 65 bzw. 67 bis 72 zählenden Holzschnitten oder Miniaturen resultiert aus dem Fehlen der Eingangsminiatur sowie aus der Reduzierung der Ausschmückung mehrerer Episoden eines Erzählabschnittes, wie etwa bei der Begegnung am Turstbrunnen, bei den Hochzeitsfeierlichkeiten oder bei den verschiedenen Aventüren der Söhne.

Farben:

Feder- und teilweise Pinselzeichnung, schwarze und braune Tinte, Kolorierung in Rot, Blau, Grün und Braun, wenig Grau und Weiß.

Literatur:

von Scarpatetti 1 (1977) S. 217f. (Nr. 602). – Schneider (1958) S. 8, Nr. 3; Butz (1987); Clier-Colombani (1991) S. 49–51; Backes (1996) S. 71–80; Backes (2004) S. 104, 136–154; Benker (2005) S. 59–61; Harf-Lancner (2008) S. 152–156; Domanski (2010) S. 268f.; Hespers (2010) S. 151–153; Colwell (2012) S. 293f.; Stein-Kecks/Hespers/Feraudi-Denier (2012) S. 31f.; Clier-Colombani (2013) S. 337f.; Feraudi-Denier (2013) S. 271–274; Stein-Kecks (2015) S. 244–246, 250.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus; e-codices

Abb. 115: 8r. Bergung des toten Grafen.

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Abb. 115.