KdiH

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76.7.1. Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. Donaueschingen 120

Bearbeitet von Nicola Zotz

KdiH-Band 8

Datierung:

Um 1480/90 (I), um 1485/90 (II).

Lokalisierung:

Südlicher Oberrhein.

Besitzgeschichte:

Nach Ausweis des Buchschmucks wohl in einem Frauenkloster (Steer [1975, S. 206–210] vermutet das Zisterzienserinnenkloster Wonnental) in der südlichen Ortenau (Wasserzeichen, Schreibsprache) entstanden. Die zwei ursprünglich selbständigen Faszikel I und II wurden spätestens im 16. Jahrhundert zusammengebunden, wo sie in Münsterlingen (Besitzeintrag Magtalena Frenckin S. 3) und in Mühlhausen im Elsass (Besitzeintrag Frans Spies 1578 S. 1) nachweisbar sind. Von dort gelangte die Handschrift 1589 in das Benediktinerinnenkloster Hermetschwil (Besitzeintrag von dessen Priorin Meliora Muheim S. 3). 1852 von Carl Johann Greith (1807–1882) dort gekauft, kam sie ein Jahr später durch Tausch in den Besitz Joseph von Laßbergs (durch ihn nach Donaueschingen, schließlich 1994 nach Karlsruhe). Siehe ausführlich Eichenberger/Mackert (2012/2013).

Zu Faszikel I (Text 1 und 2) siehe Beschreibung der Handschrift unter Nr. 27.0.3.

Inhalt:
3. S. 205–321 Donaueschinger Liederhandschrift
40 Lieder in 21 Tönen. Teil I: sieben geistliche Lieder in Tönen verschiedener Meister (S. 205–224), Teil II: sechs Marienlieder Reinmars von Zweter und Frauenlobs (S. 225–248), Teil III: geistliche Lieder in zwölf Tönen Frauenlobs (S. 249–321). Vgl. Steer (1980a) Sp. 196f.
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, V Blätter + 322 Seiten + VI Blätter, 280 × 205 mm, Bastarda, zwei ursprünglich selbständige Faszikel (I: S. 1–204; II: S. 205–322), II: von derselben Hand wie I, dazu eine weitere Hand, die die Noten und unter ihnen stehenden Texte schrieb (Steer [1975] S. 200f.), einspaltig, bis zu 35 Zeilen, drei- bis fünfzeilige Schmuckinitialen für Lied- und Strophenanfänge (S. 227 zwei Fünftel der Seite einnehmend) in Rot, Grün und Rot-Grün (Blauschwarz S. 294), oft mit Gelb verziert, häufig mit Akanthusblatt-Ausläufern und Fleuronné (ohne Textbezug in die Initialen eingefügt: Gesicht S. 218, 219, 227, 259, 318, Blume S. 240, 250; Gesicht in Buchstabenausläufer S. 300), mehrfarbige vegetabile Schmuckranken, meist unten auf der Seite (S. 209, 211, 215, 226, 233, 240, 241, 243, 248, 251, 260, 301, 304), rote Überschriften mit Angabe des Ton-Erfinders und -Namens, Melodien. Sorgfalt und Qualität der Ausstattung lassen ab S. 266 graduell nach (ab S. 304 nur noch rote Initialen).

Schreibsprache:

alemannisch.

II. Bildausstattung:

Acht kolorierte Federzeichnungen, ein Maler oder eine Malerin.

Format und Anordnung:

Die ungerahmten Illustrationen haben unterschiedliche Formate: Sie nehmen ein Viertel bis die Hälfte der Seitenhöhe ein, die Figuren stehen vor blankem Papiergrund, wobei manche von ihnen auf einem grünen oder braun-grünen Bodenstück platziert sind, das dann (außer auf S. 264) jeweils Schriftraumbreite erreicht (nur auf S. 278 ragt die Zeichnung bis zum Blattrand hin und wird von ihm angeschnitten). Sie stehen meist vor (S. 264, 280, 287, 291, 311), aber auch in (S. 281) oder nach (S. 274, 278) dem Lied, auf das sie sich beziehen.

Bildaufbau und -ausführung:

Gedrungene Figuren mit überlangen Armen und großen Köpfen, Gewänder mit üppigen, sich am Boden stauenden Falten, die den Figuren in ihrer steifen Gestik dennoch wenig Beweglichkeit verleihen. Die Gesichter haben breite Nasen und, wenn sie größer sind, schwere Lider (S. 264, 291, 311). Die Darstellungen bleiben flächig, ein Ansatz zu Perspektive und Tiefe sind die schraffierten und dunkler kolorierten Unterseiten der Holzbalken bei den Kreuzdarstellungen (S. 264, 274 und 287) oder Rundungen von Körperteilen (S. 280, 281, 287).

Verglichen mit dem ersten, nach Ausweis der Wasserzeichen etwas später entstandenen Faszikel (vgl. Nr. 27.0.3.) ist der Stil ähnlich, die Ausführung jedoch etwas ungeübter. So ist etwa das nackte Jesuskind auf S. 6 weich und rundlich und hat Babyfalten am Bauch, wohingegen das Jesuskind auf S. 287 im Vergleich zum Kreuz unproportional und mit seinem hängenden Bauch verunglückt scheint.

Bildthemen:

Acht Illustrationen zu sieben Liedern in Teil III (Frauenlob-Töne). Sehr klare Text-Bild-Beziehungen: Offenbar wurden die Bildthemen unmittelbar aus den Liedern abgeleitet.

S. 264: Hieronymus, der sich mit einem Dolch eine Seitenwunde zufügt, neben ihm der Löwe vor dem Kreuz (mit Nägeln, Geißel und Rute). Das Bild bezieht sich auf die S. 265–271 überlieferte Passionsbetrachtung im Neuen Ton (Haustein/Stackmann [2000] XI,211), Beginn: Wiltu mensch tragen aller bilde volkomen genod, so fúr an dinem schilde die marter cristi dines herren (S. 265). Haustein/Stackmann (2000, S. 627) erläutern die Stelle: »wenn du die Summe aller gnadenvollen Wirkungen, die von einem Heiligenbild ausgehen können, auf dich vereinigen willst, dann mußt du …«. Offenbar hat die Evokation des Bildes im Text zur Abbildung eines eben solchen Gnadenbildes (hier mit einer Auswahl der Arma Christi) geführt.

S. 274: Christus am Kreuz. Das S. 271–274 überlieferte Lied im Neuen Ton (Haustein/Stackmann [2000] XI,210) endet mit Trinitätsspekulationen; auch wenn Jesus hier nicht als Gekreuzigter vorgestellt ist, wird doch die Darstellung als Verbildlichung des im Lied evozierten Gottessohns zu verstehen sein.

S. 278: Neben einem Zelt steht nackt Frau Welt, aus deren Rücken und zu deren Füßen sich Schlangen winden. Illustration zu dem Lied im Tannton (S. 275–278; Runge [1896] Nr. 23): Ein Ich begegnet auf einem Feld bei manig her gezelt zunächst Frau Ehre und berichtet im Folgenden von einer Begegnung mit Frau Welt, die zwar von vorne wunderschön scheint, aber Do sy sich von mir vmbe want sy tet mir yren ruck bekant der waz mit bósen wúrmen gar besessen (S. 276). Auch wenn Frau Ehre und Frau Welt in der bildlichen Darstellung zu verschmelzen scheinen, kannte der Maler / die Malerin offensichtlich den Text (Platzierung der Frau vor einem Zelt). Zur Darstellung von Frau Welt siehe auch Nr. 76.4.1.

S. 280: Elefant, dem ein Turm auf den Rücken geschnallt ist; S. 281: Schlange. Lied im Gekrönten Ton (S. 280–282; Runge [1896] Nr. 28), Beginn: Gar starck bekant ist der helfant creftig sin bein ein lid gros swere last er treit. Ende des den Noten untergelegten Textes: weger [›wahrscheinlicher‹] leg by im [i. e. dem Sünder] […] ein slang mit gift (S. 281; direkt danach Bild der Schlange).

S. 287: Drei der fünf Strophen dieses Liedes im Zarten Ton (S. 287–290; Haustein/Stackmann [2000] VIII,217) besingen den Gottessohn. Auf die Menschwerdung ebenso wie auf die Passion deutet das Bild, das das nackte Jesuskind mit strahlenförmigem Kreuznimbus zeigt, hinter ihm das Kreuz mit den Löchern der Nägel, in der Rechten ein rotes durchstochenes Herz, möglicherweise in Anspielung auf den Beginn des Abgesangs der ersten Strophe (Sun het sich zu der meide hercz geruket, S. 288).

S. 291: Maria vor einem Bäumchen mit roten und weißen Blüten. In diesem Marienlob im Zarten Ton (S. 291–295; Haustein/Stackmann [2000] VIII,208) beginnen Stollen und Abgesang je anaphorisch mit Mari(a); der erste Vers apostrophiert sie als das berent riß, das man wohl in dem Bäumchen abgebildet sehen darf.

S. 311: Links steht ein Gelehrter in braunem Rock in Interaktion mit einer rechts auf einem Sockel stehenden, blau gewandeten Frau (oder mit dem unverbunden über ihr schwebenden aufgeschlagenen Buch?). Es handelt sich um die Illustration des Anfangs von einem Lied im Grünen Ton (S. 312f.; Runge [1896] Nr. 51): Her Simeon der wise der fant an einem búche stan wie […] daz ein maget reine gebern ein kint solt one man (S. 312). In einem recht komplexen Verweissystem stellt das Bild Simeon also als Leser des Buches dar, das auf seinen unter ihm abgebildeten Inhalt verweist, nämlich Maria, die stellvertretend für das Mysterium der jungfräulichen Geburt zu sehen ist. (Die unkolorierte Federzeichnung einer Kirche auf einem Berg am rechten Rand stammt von einer späteren Hand und hat keinen erkennbaren Textbezug.)

Farben:

Faszikel II: im Vergleich mit Faszikel I gedecktere Farben wie Blaugrün, dunkles Gelb, Blauschwarz, Ocker, Braun, Rot.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 124: S. 311. Gelehrter (Simeon) mit Buch und Maria.

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Abb. 124.