KdiH

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73.18.1. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2752

Bearbeitet von Kristina Domanski

KdiH-Band 8

Datierung:

Ende 15. Jahrhundert / Anfang 16. Jahrhundert (Menhardt 1 [1960] S. 260).

Lokalisierung:

Nürnberg.

Besitzgeschichte:

Unter Napoleon 1809 aus der Hofbibliothek nach Paris verbracht, 1814 zurückerstattet.

I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament, III + 153 Blätter (Zählung des 19. Jahrhunderts übergeht 129a, springt von 140 auf 142), 128 × 94 mm, Textualis, eine Hand, einspaltig, 19 Zeilen, fünf- bis achtzeilige Initialen mit üppigen Bordüren auf den Seitenrändern an den Abschnittsanfängen, in den Rankenbordüren Drolerien und Tierdarstellungen sowie häufiger am unteren Rand szenische Darstellung (im Einzelnen siehe unten), in dichter Folge dreizeilige Initialen mit einseitigen Rankenausläufern für die kleineren Abschnitte, oft mit feinliniger Goldhöhung und rotem Federwerk (z. B. 7v, 8v, 9r, 10r, 10v), Cadellen, rote Überschriften und Strichelungen.

Schreibsprache:

nordbairisch (Mitteilung von Nigel F. Palmer).

II. Bildausstattung:

29 Deckfarbenminiaturen, szenische Darstellungen in den Rankenbordüren auf den jeweils gegenüberliegenden Seiten, eine Nürnberger Werkstatt mit mehreren Künstlern.

Format und Anordnung:

Durchgängig die gleiche Gestaltung eines Abschnittsbeginns als Doppelseite: Auf der Versoseite wird jeweils die ganzseitige Miniatur, die von einer profilierten, goldenen oder einfarbigen Leiste gerahmt wird, platziert, während auf der gegenüberliegenden Rectoseite der Text mit einer fünf- bis achtzeiligen Initiale einsetzt, von der aus sich eine üppig wuchernde Ranke über die Seitenränder ausbreitet. In die meisten Rankenbordüren sind entweder Bildfelder mit alttestamentlichen Szenen (z. B. 2r, 20r, 96r, 132r, 150r) oder Tierdarstellungen (z. B. 17r, 108r, 111r, 117r, 130r, 145r) integriert, nur die wenigsten Bordüren weisen keinerlei Drolerien auf (114r, 115r, 136r). Die zugehörigen Rubriken der Abschnittsbeginne nur in Einzelfällen auch auf der Rectoseite platziert (2r, 7r, 20r, 35r, 78r), meist sind sie vorgezogen.

Bildaufbau und -ausführung:

Die gewöhnlich im Vordergrund platzierte, oft vielfigurige Hauptszene spielt sich in Räumen ab, die der Betrachter perspektivisch und aufgrund seiner Alltagserfahrung als realistisch nachvollziehen kann, ganz nach dem Vorbild niederländischer Malerei in der Nachfolge Jan van Eycks. Dabei kann es sich um Innenräume handeln, die durch Fenster oder Türöffnungen den Blick in anschließende Räumlichkeiten erlauben oder auf städtische Ansichten, Straßenzüge (71v, 107v), Plätze (114v) oder Brunnen (6v) eröffnen. Nur in wenigen Fällen scheinen die perspektivischen Verkürzungen der Architekturen nicht ganz gelungen (23v). Die Außenräume zeigen zumeist Ideallandschaften, die sich in die Tiefe erstrecken und von einem atmosphärisch abgetönten Himmel überwölbt werden (z. B. 68v, 149v, beide Male mit See und Stadtvedute). Die städtischen Ansichten zeigen überwiegend zeitgenössische Architekturen, gemauerte Häuser mit Erkern, aber auch Fachwerkbauten (77v), Kirchenportale mit Spitzbögen (114v, 34v) und Maßwerk (68v), für die vedutenhafte Zitate nicht ausgeschlossen werden können. Die Ausstattung der Räume mit kostbaren Alltagsgegenständen (16v Noppenglas, Glaspokal, Deckenleuchter, 23v Taubenkäfig, 71v Pokale aus Goldschmiedearbeit) verstärkt die intendierte Vergegenwärtigung des Geschehens. Zudem fällt der durchgängige Verzicht auf Heiligenscheine bei den Aposteln und den Marien auf, während Christus erst ab dem Abendmahl mit einem dezenten Strahlennimbus ausgezeichnet wird.

Außergewöhnlich innovativ bleiben die Anpassungen der Himmelsfarbe an die Tageszeit des biblischen Geschehens, etwa die Abenddämmerung bei den Darstellungen im Garten Gethsemane (77v, 95v und 98v) und der Grablegung (129v) sowie der Morgenröte bei der Auferstehung (131v), ebenso wie das Heraufziehen dunkler Wolken bei der Kreuztragung und der Rast auf dem Kreuzweg, deren Zusammenballung sich von einem Bild zum nächsten verstärkt (119v, 121v) und die Verdunklung des Himmels beim Tod Christi ankündigt. Die Bilderzählung bemüht sich hier nicht nur um eine Lokalisierung der Szenen in ein wirklichkeitsnahes, gegenwärtiges Umfeld, sondern auch um eine plausible Situierung der Geschehnisse in der erzählten Zeit. Während die Einbeziehung von Licht- und Wetterphänomenen dabei einen neueren, erst in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eingesetzten Kunstgriff darstellt, ist die Platzierung von Nebenszenen im Hintergrund der Hauptszene weit geläufiger (z. B. 95v Judas naht mit den Soldaten, 102v Verleugnung Petri, 107v der erhängte Judas und Christus wird zu Pilatus geführt).

In welcher Nürnberger Werkstatt die Miniaturen und Illuminationen der Handschrift angefertigt wurden, lässt sich wohl vorerst nicht eindeutig klären. Georgi (2013) schlägt die Aufteilung der Miniaturen auf zwei Künstler vor, unter denen sie der ersten Hand die Miniaturen 1v, 6v, 16v, 19v, 23v, 26v, 66v, 68v, 71v, 74v zuordnet, während die Miniaturen ab Bl. 77 dem Buchmaler Jakob Elsner zuzuweisen seien. Der Beobachtung, für zwei der Miniaturen (31v, 34v) sei eine abweichende stilistische Lage festzustellen, ist aufgrund des deutlich feiner gemalten, rosig-zarten Inkarnats, insbesondere des Christuskopfes, sicher zuzustimmen. Für eine Zuweisung an Jakob Elsner mangelt es hingegen an gesicherten Vergleichsstücken (siehe auch Nr. 73.15.1.), zumal eines der wenigen ihm in überzeugender Weise zugewiesenen Werke dieser Zeit, ein Gebetbuch für Katharina Muffel, insbesondere in der Gestaltung des Rankenwerks einen anderen Stil aufweist (München, Cgm 177, Nr. 43.1.127., vgl. Cermann [2014] S. 138, Anm. 113, zur Diskussion um das Werk Jakob Elsners vgl. Merkl [1999] S. 58–62).

Bildthemen:

Außer dem Bildthema der Miniatur auf der Versoseite wird jeweils die szenische Ausgestaltung der gegenüberliegenden Rectoseite verzeichnet, da diese als Antitypen des Alten Testaments oder auch als tierische Paraphrasen zur Miniatur in Bezug gesetzt werden können.

1v Auferweckung des Lazarus, innerhalb einer städtischen Bebauung, 2r achtzeilige E-Initiale, Christus als Weltenschöpfer, 6v Beratung der Hohepriester in einer Loggia, Aussicht auf einen Platz mit Brunnen, 7r achtzeilige D-Initiale, Bordüre mit Vögeln, darunter rechts eine Eule, 16v Salbung durch Maria Magdalena, 17r dreizeilige A-Initiale A, Bordüre mit Igel unten, oben Vogelpaar beschnitten, 19v Einzug nach Jerusalem, 20r siebenzeilige D-Initiale, Erschaffung Adams, 23v Vertreibung der Händler aus dem Tempel, auf dem Altar aufgeklappte Steintafel, ein junger Mann mit Taubenkäfig, einer mit zwei Ziegen, 24r sechszeilige U-Initiale, Erschaffung Evas aus Adams Seite, in der Ranke ein Dompfaff, 26v Christus und die Ehebrecherin (in burgundischer Tracht), Christus beugt sich nieder, um auf die Erde zu schreiben, 27r siebenzeilige U-Initiale, Sündenfall, auf der Mauer des Garten Eden eine Elster, 31v Predigt in Bethanien vor den Heiden, 32r sechszeilige E-Initiale, Vertreibung aus dem Paradies (auch der Schlange), 34v Jesu Streit mit den Schriftgelehrten, 35r siebenzeilige U-Initiale, Bär in der Ranke, 66v Judas erhält die 30 Silberlinge, 67r siebenzeilige D-Initiale, Adam und Eva in der Wildnis, 68v Jesu Abschied von den drei Frauen in Bethanien, Maria kniet, 69r siebenzeilige U-Initiale, Brandopfer von Kain und Abel, 71v Fußwaschung, Christus im weißen Gewand, 72r siebenzeilige U-Initiale, Kain erschlägt Abel mit einem Eselskinnbacken, 74v Abendmahl, Christus, hier erstmals mit Strahlennimbus, hält eine Hostie in der Hand, 75r siebenzeilige D-Initiale, Verbannung Kains, 77v Christus in Begleitung Petri überschreitet den Bach Cedron, 78r siebenzeilige D-Initiale, Katze mit erlegtem Vogel, in der Ranke des Weiteren Igel, Taube, Granatapfel, 95v Gebet im Garten Gethsemane, im Hintergrund naht Judas mit den Soldaten, 96r fünfzeilige U-Initiale, Moses und der brennende Dornbusch, in der Ranke eine Maske, 98v Gefangennahme mit Judaskuss, 99r sechszeilige D-Initiale, Ranke mit Meerkatze, deren Rücken ein Vogel pickt, 102v Verspottung Christi, im Hintergrund Christus vor Kaiphas und die Verleugnung Petri, 103r fünfzeilige D-Initiale, Ranke mit Fuchs, der sich an einen Vogel anpirscht, 107v Judas bringt den Hohepriestern das Geld zurück, im Hintergrund wird Christus zu Pilatus geführt, der erhängte Judas am Baum, 108r fünfzeilige E-Initiale, Ranke mit lagernder Hirschkuh, 110v Christus vor Herodes, der ihn verspottet, Jesus mit weißem Umhang, 111r fünfzeilige U-Initiale, Ranke mit Jagdhund, der einem Hasen nachsetzt, 113v Christus an der Geißelsäule, Ausblick in eine Straßenflucht, 114r fünfzeilige B-Initiale, Blütenranke mit aufgeplatztem Granatapfel, 114v Dornenkrönung, Ausblick auf ein Kirchenportal, 115r fünfzeilige U-Initiale, Blütenranke mit Falter, 116v Ecce Homo, 117r sechszeilige S-Initiale, Ranke mit Raubvogel, der einen Hasen schlägt, 119v Kreuztragung mit Veronika und Simon, der das Kreuz fasst, 120r fünfzeilige S-Initiale, Ranke mit Wolf, der ein Lamm schlägt, 121v Christus in der Rast, im Hintergrund Maria, die zusammengebrochen ist, Johannes und Magdalena stützen sie, 122r vierzeilige U-Initiale, Auszug Abrahams und Isaaks zum Opfer, Isaak schleppt das Brennholzbündel auf dem Rücken, 122v Kreuzigung, links unter dem Kreuz die drei Marien, rechts Longinus und ein Hohepriester, 123r fünfzeilige U-Initiale, Ranke mit Vögeln, unten eine Eule mit Beute im Schnabel, 129v Grablegung, Christus wird in ein Felsengrab getragen, Abenddämmerung, 130r fünfzeilige A-Initiale, Ranke mit Hahn, der seinen Kopf in einer Blüte verbirgt, 131v Auferstehung, Christus vor dem versiegelten Felsengrab, Morgenröte, 132r fünfzeilige A-Initiale, Samson mit den Türen des Tempels, 135v Noli me tangere, im Hintergrund Stadtvedute, 136r vierzeilige M-Initiale, Ranke ohne Szene oder Tiere, 144v der ungläubige Thomas, Christus führt seine Hand, Thomas wehrt mit der Linken ab, 145r fünfzeilige N-Initiale, Ranke mit lagerndem Löwen, 149v Himmelfahrt, mit Stadt am See im Hintergrund, 150r fünfzeilige A-Initiale, Himmelfahrt des Elia mit Elisa.

Dem Text folgend setzt die Bildfolge bereits mit der Auferweckung des Lazarus ein, also deutlich vor dem Einzug nach Jerusalem am Palmsonntag. Der Aufenthalt in Bethanien bzw. die Karwoche erhält mit einem Drittel der Miniaturen außergewöhnlich viele Illustrationen, in denen die Geschehnisse von Beginn an in mehreren Erzählsträngen verfolgt werden können. Neben der Person Christi finden auch Petrus und insbesondere Judas in den Bildern große Aufmerksamkeit. Judas’ Geschichte lässt sich in mehreren Miniaturen in Haupt- und Nebenszenen verfolgen: von der Rückkehr in das Haus Symons, bei dem der Geldbeutel um seinen Hals den späteren Verrat bereits ankündigt (16v), über das Zusammenraffen der Silberlinge bei den Hohepriestern (66v), seine Betrübnis bei der Fußwaschung (71v), seine falsche Unschuldsbeteuerung beim Abendmahl (74v), den tatsächlichen Verrat im Garten Gethsemane (95v, 98v), seine Reue, die ihn veranlasst, seinen Lohn den Pharisäern vor die Füße zu schleudern und Selbstmord zu begehen (107v). Die Miniaturen machen dabei seine wechselnden emotionalen Beweggründe, Gier, Scham und Reue, sichtbar. Inwieweit hier theologische, über die Darbietung des Evangelientextes hinausgehende Interpretationsangebote durch die Miniaturen – etwa im Sinne eines vorreformatorischen oder humanistischen Verständnisses – gemacht werden, wäre einer genaueren Untersuchung wert. Einen Hinweis in diese Richtung könnte die Aufnahme der Szene mit Christus und der Ehebrecherin bieten, da diese in der Exegese als Ausweis der Sündenvergebung für den reuigen Büßer gewertet wird. Weiterhin stellt sich die Frage, ob der Umstand, dass alle Heiligen, die Apostel, die Marien, einschließlich Jesus bis zum Abendmahl, ohne Nimbus dargestellt werden, als künstlerische Vorliebe oder als ›Vermenschlichung des Heiligen‹ zu interpretieren ist. Wenn allein Jesus – allerdings erst ab dem Abendmahl – mit einem sehr dezent bleibenden Strahlennimbus ausgezeichnet wird, mag dies theologisch bedeuten, dass er gleichsam mit der Stiftung des Sakraments zu Christus wird bzw. seine göttliche Natur erkennbar wird.

Die den Miniaturen gegenüberliegenden Szenen verfolgen zunächst Episoden aus der Schöpfungsgeschichte (2r, 20r, 24r) und dem Leben der Ureltern nach dem Sündenfall (27r, 32r, 67r), einschließlich des Brudermords Kains an Abel (69r, 72r, 75r). Dabei lassen sie sich vielfach unmittelbar als Vorläufer des Alten Testaments zum Leben Jesu bzw. seinem durch die Passion vollzogenen Erlösungswerk begreifen. Z. B. erkennt Christus beim Gebet am Ölberg den göttlichen Willen, wie Moses im brennenden Dornbusch Gottes ansichtig wird (95v–96r), Christi Weg zur Kreuzigung ist im Opfergang Isaaks ebenso vorgebildet (121v–122r) wie seine Himmelfahrt in derjenigen des Elia (149v–150r). Auch eine Vielzahl der Tierszenen, die zu den einzelnen Passionsstationen Momente der Jagd, vom Anpirschen bis zur Präsentation der Beute, zeigen, sind wohl als visuelle Parallelen zum biblischen Geschehen zu interpretieren, wie es der Tradition der Bas de page-Illustration entspricht. Dabei sind auch vereinzelt groteske Verhaltensweisen der Tiere zu beobachten, die sich als rustikale Paraphrasen lesen lassen: Dem Hahn, der seinen Kopf in einer Blüte verbirgt und auf diese Weise nur scheinbar verschwindet, gleicht Christus, der zur Abenddämmerung ins Grab gelegt wird und am nächsten Tag doch wieder aufersteht (129v–130r). Diese außerordentlich kunstvolle Darbietung der Passionsgeschichte auf mehreren Bildebenen lässt die vorliegende Handschrift zu einem Paradebeispiel spätmittelalterlicher Buchkunst werden, wie sie insbesondere die Nürnberger Werkstätten um 1500 herstellten.

Farben:

reiche Farbpalette, Gold für Höhungen der Gewänder.

Literatur:

Menhardt 1 (1960) S. 260. – Menčik (1910) S. XIX; Georgi (2013) S. 28–30.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 64: 107v. Die Reue des Judas, sein Selbstmord, Christus wird zu Pilatus geführt.

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Abb. 64.