31.0.3. Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 2861
Bearbeitet von Marcus Schröter
KdiH-Band 4/1
1474.
Schwaben (Pfaffenhausen, nördlich von Mindelheim).
Aus der Bibliothek der Grafen von Zimmern (Signatur: 42). 1576 als Teil der von Wilhelm von Zimmern veranlaßten Schenkung an Erzherzog Ferdinand II. von Tirol nach Schloß Ambras (Signatur: Ms. Ambras. 294) gebracht. 1665 durch Erbfall mit einem Großteil der Ambraser Bibliothek in die Hofbibliothek Kaiser Leopolds I. nach Wien gelangt (Signatur: Hist. prof. 534).
1. | 1ra–95r |
Heinrich von Veldeke, ›Eneas-Roman‹
Hs. w Insbesondere in der zweiten Hälfte stark kürzende Bearbeitung. |
2. | 97ra–209rb |
›Weihenstephaner Chronik‹
Hs. Wi
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Papier, 209 + 1 Blatt (94v, 95v, 96r, 96v leer; Foliierung von jüngerer Hand), 290 × 205 mm, Bastarda, eine Hand, Jorg von Elrbach (jorg von elrbach 1474, 93rb, Amen 1474 an sant mangētag vsgeschriben zů pfaffenhusē, 209r), zweispaltig, 33–39 abgesetzte Verse (Text 2: 36–40 Zeilen), zweizeilige rote Initialen (Lombarden), rote Strichelung der Versanfänge in Text 1, rote Initialen und Überschriften in Text 2.
(ost-)schwäbisch.
152 teilweise absichtlich beschädigte, gerahmte kolorierte Federzeichnungen auf 37 Bildseiten (3v, 4r, 10r, 10v, 15v, 16r, 21v, 22r, 28r, 28v, 32v, 33r, 39v, 40r, 45v, 46r, 52r, 52v, 55v, 56r, 61v, 62r, 66v, 67r, 71r, 71v, 79v, 80r, 82r, 82v, 86r, 86v, 90v, 91r, 93v, 94r, 95r) zu Text 1, vier Leerräume für nicht ausgeführte Miniaturen (82v, 93v), am Ende von Text 1 befinden sich leere Seiten ohne Rahmungen, die möglicherweise für weitere Illustrationen vorgesehen waren (94v, 95v, 96r, 96v), Bildbeischriften von der Hand des Schreibers, ein Zeichner.
Der Text wird in relativ unregelmäßigen Abständen durch jeweils zwei aufeinanderfolgende Bildseiten mit je drei bis sechs querrechteckigen und/oder quadratischen Miniaturen unterbrochen. Die Bilder befinden sich entweder auf der Recto- und Versoseite desselben Blattes oder jeweils auf der Verso- und Rectoseite zweier aufeinanderfolgender Blätter. Eine Bildseite wird in der Regel durch drei querrechteckige Bildregister in Schriftspiegelbreite gegliedert. Ein Bildregister kann dabei in zwei quadratische Einzelbilder analog zur Textspaltenbreite unterteilt werden, so daß auf einer Seite drei bis sechs Miniaturen Platz finden. Die Bilder sind durch einfache, schwarze Federlinien gerahmt und werden von Bildtituli begleitet. Obwohl durch das Illustrationssystem nur ein relativ loses Verhältnis zwischen Text und Bild hergestellt werden kann, unterliegen die einzelnen Illustrationseinheiten sowohl im Hinblick auf ihre Positionierung innerhalb des Layouts als auch im Hinblick auf ihre Binnenkonzeption einer durchdachten Planung, die den Grundriß einer Bildseite den inhaltlichen Schwerpunkten und narrativen Strategien des Textes anpaßt. Insbesondere die nebeneinander liegenden Bilddoppelseiten zeigen, wie bewußt die Möglichkeiten des gewählten Illustrationssystems ausgenutzt werden: In einem Fall schließen sich zwölf auf einander gegenüberliegenden Seiten verteilte Miniaturen zu szenisch zusammengehörigen Bildsequenzen zusammen (39v, 40r). In der Regel befinden sich die beiden aufeinander folgenden Bildseiten etwa in der Mitte der zu illustrierenden Textpartie, so daß eine räumliche Nähe zwischen Text und Bild immer nur partiell und gegen Ende des Textes kaum mehr erreicht wird. Vom standardisierten Seitengrundriß wird nur in drei Fällen abgewichen: Auf der Bildseite 3v befindet sich auch ein Textstück, auf der Bildseite 15v ist das mittlere Register schmaler, um mehr Raum für die Darstellung der Hirschjagd im unteren Register zu gewinnen, auf der Bildseite 79v umfaßt die Darstellung des Grabmals der Camilla die beiden unteren Register. Einfache erläuternde Bildtituli (z. B. 28vIII: da vand eneaσ σein vater der zaigt im σein σun) von der Hand des Schreibers befinden sich über den Miniaturen. Zwei beschnittene Maleranweisungen von der Texthand zu zwei Miniaturen sind am rechten Blattrand von 94r erhalten.
Die Miniaturen zeigen ausnahmslos Ausschnitte der dargestellten Szenen, die grundsätzlich auf einem olivgrünen Bodenstück im Vordergrund angesiedelt sind. Alle Szenen sind in offener Landschaft lokalisiert, ohne nähere Charakterisierung der Räumlichkeit – auch wenn der Text Innenräume fordert. Eine Differenzierung der unterschiedlichen Bildebenen ist nicht vorgenommen. Als Hintergrund dient stets der freigelassene, nichtkolorierte Papiergrund. Im Zentrum fast sämtlicher Miniaturen stehen flott und sicher gezeichnete, ikonographisch stereotype Figuren, die lediglich durch Beischriften und Attribute eine Individualisierung erfahren. Die Illustrationen sind auf das handlungsnotwendige Personal beschränkt und stellen vorwiegend räumlich und zeitlich einheitliche, abgeschlossene Szenen dar. Charakteristisch ist die schematisierte, lebhafte Gestik und das Fehlen der Mimik. Die Figuren tragen entweder lange Gewänder oder gegürtete, seitlich geschlitzte Röcke, enge Hosen und spitze Schuhe. Der Faltenwurf der langen Gewänder besteht aus Parallelfalten, s-förmigen Faltenwürfen und eckigeren Faltenbrüchen bei aufstoßenden Gewändern der Sitzfiguren. Nur selten wird versucht, durch Landschafts- oder Stadtansichten eine Integration figürlicher Szenen in einen konkreten Raum vorzunehmen. Naturräumliche und antiquarische Details werden in äußerster Reduktion verwendet, bestimmen jedoch wesentlich die Aussage der Bildinhalte. Dazu gehören: maßstäblich zu kleine Architekturen (z. B. Stadtansichten), Landschaften, Tiere, Schiffe, Götter, Möbel, Rüstungen und Waffen, sonstige antiquarische Details. Anwendung zeichnerischer Perspektive bei Betten, Bänken, Tischen etc. Die abgeschlossenen Szenen sind inhaltlich und kompositorisch oft unmittelbar aufeinander bezogen. Plastische Modellierung von Figuren und Gegenständen wird durch lavierenden Farbauftrag oder Schraffuren erreicht. Der stereotype Schematismus der Einzelminiaturen wird aufgebrochen durch ihr oft originelles Arrangement innerhalb des Zyklus. Nicht alle Illustrationen stimmen mit der zugrunde liegenden Textpassage überein, oft sind Personen aus kompositorischen Gründen hinzugefügt. Der bei aller zeichnerischen Einfachheit insbesondere durch routinierte Figurenwiedergabe charakterisierte Zyklus ist trotz seiner stilistischen Individualität, die möglicherweise durch die zeitgenössische Holzschnittillustration beeinflußt ist, ikonographisch abhängig von den Miniaturen der älteren Berliner Handschrift.
Siehe Bildthementabelle der Einleitung zur Stoffgruppe 31. Obwohl die Illustrationen im Rahmen relativ unregelmäßig über den Text verteilter, eigener Bildseiten vereinigt sind und ein unmittelbarer Text-Bild-Bezug nur partiell realisiert werden kann, findet eine kontinuierliche Illustration des Textes statt. Trotz der durch das Layout vorgegebenen formalen Rahmenbedingungen werden innerhalb des Zyklus eigene Erzählschwerpunkte formuliert. Die Bildmotive lassen sich anhand der Beischriften identifizieren, wenn auch in einigen Fällen Titulus und Motiv nicht übereinstimmen oder nachträgliche Korrekturen vorgenommen wurden (10rIIIa, 10rIIIb, 22rIIb, 33rIIIa, 33rIIIb, 52rIII, 52vII, 61vIII, 62rIIa, 62rIII, 66vIa, 82rII). Während der Illustrationszyklus von dem der Heidelberger Handschrift abweicht, steht er in engerer ikonographischer und inhaltlicher Beziehung zur Berliner Handschrift. Auf Zusammenhänge zwischen dem Berliner und Wiener Bildprogramm weisen insbesondere die Darstellungen hin, die in beiden Zyklen Parallelen aufweisen, obwohl sie sich nicht zwingend aus dem Wortlaut des Textes entwickeln lassen. Den erhaltenen 137 Miniaturen der Berliner Handschrift stehen 126 Bilder der Wiener Handschrift gegenüber, von denen 79 dieselbe Szene illustrieren. Die Dialogszenen, die den größten Teil des Zyklus ausmachen, sind auf das nötigste Handlungspersonal reduziert. Der ritterlich-höfische Charakter der Miniaturen der Berliner Handschrift ist in der jüngeren Wiener Handschrift fast gänzlich zurückgedrängt.
Die Illustrationen setzen folgende inhaltliche Schwerpunkte: Die erste Handlungsphase umfaßt die Darstellung des brennenden Troja und die Flucht des Eneas (3vIb, 3vII, 3vIIIa), die Landung in Libyen und die Aufnahme bei Dido (3vIIIb, 4rI, 4rIIa, 4rIIb, 4rIII, 10rI, 10rIIa, 10rIIb), wobei sich dieser Erzählabschnitt auf der gesamten ersten Bilddoppelseite vor dem Blick des Lesers entfaltet. Die Erzählung von der Liebe zwischen Dido und Eneas nimmt mit 17 Miniaturen im Vergleich zu den anderen Illustrationszyklen den breitesten Raum ein (10rIIIa, 10rIIIb, 10vIa, 10vIb, 10vIIa, 10vIIb, 10vIIIa, 10vIIIb, 15vIa, 15vIb, 15vII, 15vIII, 16rIa, 16rIb, 16rIIa, 16rIIb, 16rIII) und bietet ein prägnantes Beispiel für die geschickte Anpassung visueller Erzähleinheiten an die Struktur einer Bilddoppelseite. Die Abfahrt des Eneas und der Tod der Dido hingegen werden deutlich knapper erzählt als in der ikonographisch verwandten Berliner Handschrift (21vIa, 21vIb, 21vIIa, 21vIIb, 21vIII, 22rIa), woraus ersichtlich wird, daß die jüngere Handschrift trotz ihrer Abhängigkeit von einer älteren Vorlage eigene Akzente zu setzen versteht. Die anschließende Sizilienepisode wird nur knapp visualisiert (22rIb, 22rIIa, 22rIIb) und stellt den Übergang zur ausführlichen Erzählung vom Abstieg in die Unterwelt in 15 Einzelminiaturen (22rIIIa, 22rIIIb, 28rIa, 28rIb, 28rIIa, 28rIIb, 28rIIIa, 28rIIIb, 28vIa, 28vIb, 28vIIa, 28vIIb, 28vIII, 32vIa, 32vIb) her. Die Ankunft der Trojaner in Latium und die Gesandtschaft an König Latinus werden ebenfalls auf einer Doppelseite in zehn Miniaturen breit entfaltet (32vIIa, 32vIIb, 32vIIIa, 32vIIIb, 33rIa, 33rIb, 33rIIa, 33rIIb, 33rIIIa, 33rIIIb). Im Gegensatz zum Berliner Zyklus fehlt der Bau von Montalbane vollständig. Ein Höhepunkt des Zyklus ist wie in den beiden anderen Handschriften die kompakte Visualisierung der Hirschjagd des Ascanius auf der Doppelseite 39v/40r in zwölf Einzelbildern (39vIa+b, 40rIa+b, 39vIIa+b, 40rIIa+b, 39vIIIa+b, 40rIIIa+b). Die Formierung der feindlichen Fronten der Rutuler und der Trojaner wird im Vergleich zur ausführlicheren Berliner Handschrift nur in vier Bildern auf einer Versoseite (45vIa, 45vIb, 45vII, 45vIII) erzählt, während die daneben liegende Rectoseite des folgenden Blattes mit sechs Einzelbildern (46rIa, 46rIb, 46rIIa, 46rIIb, 46rIIIa, 46rIIIb) ausschließlich der Visualisierung der Bitte der Venus um Waffen für Eneas bei ihrem Mann Vulcanus vorbehalten ist, die hier viel ausführlicher erzählt wird als in den beiden anderen Zyklen. Es folgen die Darstellung der Fahrt des Eneas zu König Euander (52rI, 52rII, 52rIII) in drei Bildern und Episoden des Kampfes um Montalbane (52vI, 52vII, 52vIII, 55vI, 55vII, 55vIII, 56rI, 56rII, 56rIII) in neun Einzelminiaturen. Die Rückkehr des Eneas mit Hilfstruppen aus Pallanteum, Tod und Beisetzung des Pallas wird dicht in vierzehn Bildern erzählt (61vI, 61vII, 61vIII, 62rIa, 62rIb, 62rIIa, 62rIIb, 62rIII, 66vIa, 66vIb, 66vII, 66vIII, 67rI, 67rII). Die Darstellung des Rates bei König Latinus (67rIII) stellt den Übergang her zu den Taten und dem Tod der Camilla (71rI, 71rII, 71rIII, 71vI, 71vII, 71vIII). Die Ikonographie ihres Grabmals, die nicht aus dem Text, der in der Kurzfassung der Wiener Handschrift ausgefallen ist, abgeleitet werden kann (79vI, 79vII+III), steht in enger Verbindung mit der entsprechenden Darstellung im Berliner Zyklus. Der Darstellung der Minne zwischen Dido und Eneas wird aufgrund der gekürzten Textfassung mit acht Bildern (80rI, 80rIIa, 80rIIb, 80rIII, 82rI, 82rII, 82rIII, 82vI) ein sehr viel geringerer Raum eingeräumt als in der Berliner Handschrift. Am Ende des Zyklus erzählen 15 Miniaturen die abschließende Auseinandersetzung zwischen Eneas und Turnus (82vII, 86rI, 86rII, 86rIII, 86vI, 86vII, 86vIII, 90vI, 90vII, 90vIII, 91rIa, 91rIb, 91rIIa, 91rIIb, 91rIII) und die Krönung und Hochzeit von Lavinia und Eneas (93vIa, 93vIIa, 93vIIIa, 94rI, 94rIIa, 94rIIb, 94rIII, 95rI, 95rII, 95rIII). Die partielle Redundanz der Bildmotive weist auf die Verwerfungen hin, die das Ende des Text-Bild-Gefüges insgesamt charakterisieren, zumal auch der Text Veldekes in diesem Bereich die quantitativ und qualitativ einschneidendsten Veränderungen erfahren hat.
Olivgrün und Dunkelbraun als überwiegende Farben meist deckend, zahlreiche Brauntöne (gelbliches, rötliches, grünliches Braun), Graublau und Grau laviert, vereinzelte Verwendung von Gelb, Blau und Rot, Rosa für Inkarnat, deckendes Schwarz für Umrißlinien; abgestufte Ausmischungen der wenigen verwendeten Farben.
Abb. 56: 39v/40r. Heinrich von Veldeke, ›Eneas-Roman‹: Ascanius trifft den zahmen Hirsch / Flucht des sterbenden Hirschen zur Burg des Tyrrhus / Ascanius sieht zu, wie die Tyrrhäer einen seiner Jagdgenossen töten / Ascanius tötet Tyrrhusʼ Sohn.
Abb. 57: 79v. Heinrich von Veldeke, ›Eneas-Roman‹: Turnus geleitet den Sarg der Camilla / Grabmal der Camilla.