KdiH

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9.2.3. Kassel, Universitätsbibliothek – Landes- und Murhardsche Bibliothek, 4º Ms. poet. et roman. 5

Bearbeitet von Gisela Fischer-Heetfeld

KdiH-Band 1

Datierung:

3. Drittel 15. Jahrhundert.

Lokalisierung:

Miniaturen: flämisch-französischer Raum? Text: Mittelrhein. (Broszinski: Miniaturen Niederlande um 1470, Text Mittelrhein um 1485; Rosenfeld: Text älter).

Besitzgeschichte:

1679 im Besitz des nachmaligen Kurfürsten Karl von der Pfalz.

Inhalt:
›Kasseler Totentanz‹ (›Mittelrheinischer Totentanz‹, ›Achtzeiliger oberdeutscher Totentanz‹, ›Jüngerer Totentanz‹, ›Totentanz mit Figuren‹)
Abdruck: M. Rieger: Der jüngere Todtentanz. Germania 19 (1874), S. 263–280.
I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament, 26 von ursprünglich wohl 37 einseitig beschriebenen Blättern (die alte Anordnung war schon im 17. Jahrhundert gestört; 1930 bestand die Handschrift noch aus 35 Blättern; neun von Struck beschriebene, aber bis dahin nicht abgebildete Blätter gingen bei Kriegsende verloren), 215 × 145 mm, Textura, eine Hand, zweispaltig, 11–14 Zeilen, Blattgoldinitialen auf farbigem Grund, farbige Zeilenfüller mit Blattgoldverzierung.

Schreibsprache:

mittelrheinisch.

II. Bildausstattung:

26 Deckfarbenminiaturen, eine Hand.

Format und Anordnung:

Zwei Spalten breite, ungefähr quadratische Miniaturen, jeweils in der unteren Hälfte der Rectoseite unter dem zweispaltigen Text.

Bildaufbau und -ausführung:

26 Reigenpaare in gerahmten Einzelbildern. Der Tod – nicht als Gerippe, sondern als Leichnam mit eingetrockneter Haut, Totenschädel und aufgeschnittenem Bauch und Brustkorb – greift mit heftiger, seltener auch zarter Gebärde nach seinem Partner im makabren Tanz, während die andere meist ein Instrument hält; die Bewegungsrichtung verläuft im großen ganzen wie im fortlaufenden Totenreigen zum linken Bildrand. Die vehementen Schritte und Sprünge, Gesten und Körperdrehungen übersteigern Tanzfiguren der Basse danse. Die vom Tod ergriffenen Menschen reagieren unterschiedlich betroffen und verhaltener in ihren Bewegungen. Sie tragen die vornehme, flämisch-burgundische Tracht der Zeit um 1460, die aber in vielen Fällen nicht zum im Text angesprochenen Stand paßt (Offizial 28r, Domherr 9r, Nonne 1r, u. a., vgl. Hammerstein S. 200–202). Umstritten ist die Zuordnung des Wappentuches im Grafenbild (10r; Pfalz? Nassau? Holland?). Die Instrumente, die der Tod attributiv hält und nur in wenigen Fällen wirklich spielt, sind alle irgendwie verkehrt oder verfremdet »unter dem gemeinsamen Nenner der Abwertung« (Hammerstein S. 121).

Ort des Geschehens ist fünfzehnmal ein leerer oder karg ausgestatteter Innenraum mit Fliesenboden und Balkendecke, durch dessen Fenster und Bogenöffnungen man in die Landschaft sieht. Die übergroßen Gestalten scheinen ihn fast zu sprengen und stehen eher vor als in ihm wie vor einem Bühnenprospekt. In den übrigen Bildern begegnen sich Tod und Mensch in der Landschaft. Den Hintergrund bildet ein blau aufgehellter Himmel über hochliegendem Horizont, man sieht Hügel und kleine, vieltürmige Stadtsilhouetten mit blauen Dächern, im Vorder- und Mittelgrund eingetiefte Wege, sich windende Flußläufe, summarisch wiedergegebene Bäume und Gräser. Nur im Bild des Bürgermeisters gehen Tod und Mensch über einen von hohen Bürgerhäusern umstandenen Platz, sind die Häuser nicht nur Staffage, sondern Schauplatz der Begegnung. So wie Stand und Kleidung mehrfach nicht zusammenstimmen, paßt auch die Umgebung in einigen Fällen nicht zur Standesvorstellung (Franziskanermönch in der Einsiedelei des Waldes wie ein Eremit 6r, bewaffneter Räuber im Innenraum 13r).

Diese Widersprüche verschiedenster Art weisen darauf hin, daß Text und Bilder offensichtlich nicht aus derselben Quelle stammen: Während der mittelrheinische Text und der des Knoblochtzer-Druckes von 1488/89 nahezu gleichlautend sind und wahrscheinlich auf eine gemeinsame Vorlage zurückgehen, führen Malweise, Farbgebung, Raum- und Landschaftsgestaltung, Einzelheiten der Tracht, Format der Bilder sowie die Anordnung von Bild und Text eher in den flämisch beeinflußten französischen Raum (Hinweis Eberhard König; eine kunsthistorische Untersuchung steht noch aus).

Die kostbar illumierte Handschrift, die als Geschenk (aus dem Umkreis der Wittelsbacher?) in den Besitz des Kurprinzen Karl von der Pfalz kam, wird sicher in höfischem Auftrag entstanden sein.

Bildthemen:

Bildthemen nach dem heutigen Zustand der Handschrift, in dem die Abfolge der geistlichen und weltlichen Stände gestört ist (kurze Beschreibung der Bilder und ihrer Besonderheiten bei Struck, Benennung und Diskussion der Musikinstrumente bei Hammerstein S. 120–123): Tod und Nonne (1r); Jungfrau (2r); ungenannte Stände (3r); Kind (4r); fürstlicher Rat (5r); Mönch (6r); Doktor (7r); Bürgermeister (8r); Domherr (9r); Graf (10r); König (11r); Herzog (12r); Räuber (13r); Wucherer (14r); Bürger (15r); Handwerker (16r); Junker (17r); Wappenträger (18r); [verloren: Jüngling (19r); Spieler (20r)]; Wirt (von Bingen, 21r); Fürsprech (22r); Bürgerin (23r); Kaufmann (24r); böser Mönch (25r); Kaiser (26r); Papst (27r); Offizial (28r); [verloren: Kardinal (29r); Pfarrer (30r); Bischof (31r); Abt (32r); Schreiber (33r); guter Mönch (34r); Dieb (35r)].

Farben:

Fein abgestufte Palette aus Blau, Grün, Rot, Braun, Ocker, Schwarz, Weiß, Blattgold.

Literatur:

Struck (1930) S. 94–98. – Stammler (1948) S. 61–64, Abb. S. 62 (11r). S. 63 (28r); Rosenfeld (1954) S. 233–254, Abb. 28 (26r); Boeckler (1959) Abb. S. 79 (27r); Cosacchi (1965) S. 728–732; Erika Kunz: Die Handschriftensammlung der ehemaligen Kasseler Landesbibliothek. Prisma. Gesamthochschule Kassel o. J. [ca. 1979], S. 32–36, farb. Abb. 3 (26r); Hammerstein (1980) S. 83, 119–123, 198–206, Abb. 266–291 (alle Miniaturen); Broszinski (1985) Nr. 34, farb. Abb. S. 177 (28r); Hellmut Rosenfeld: ›Mittelrheinischer Totentanz‹. 2VL 6 (1987) Sp. 625–628.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 153: 4r. Der Tod und das Kind.

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Abb. 153.