9.2.3. Kassel, Universitätsbibliothek – Landes- und Murhardsche Bibliothek, 4º Ms. poet. et roman. 5
Bearbeitet von Gisela Fischer-Heetfeld
KdiH-Band 1
3. Drittel 15. Jahrhundert.
Miniaturen: flämisch-französischer Raum? Text: Mittelrhein. (
1679 im Besitz des nachmaligen Kurfürsten Karl von der Pfalz.
›Kasseler Totentanz‹ (›Mittelrheinischer Totentanz‹, ›Achtzeiliger oberdeutscher Totentanz‹, ›Jüngerer Totentanz‹, ›Totentanz mit Figuren‹)
Abdruck: M.
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Pergament, 26 von ursprünglich wohl 37 einseitig beschriebenen Blättern (die alte Anordnung war schon im 17. Jahrhundert gestört; 1930 bestand die Handschrift noch aus 35 Blättern; neun von
mittelrheinisch.
26 Deckfarbenminiaturen, eine Hand.
Zwei Spalten breite, ungefähr quadratische Miniaturen, jeweils in der unteren Hälfte der Rectoseite unter dem zweispaltigen Text.
26 Reigenpaare in gerahmten Einzelbildern. Der Tod – nicht als Gerippe, sondern als Leichnam mit eingetrockneter Haut, Totenschädel und aufgeschnittenem Bauch und Brustkorb – greift mit heftiger, seltener auch zarter Gebärde nach seinem Partner im makabren Tanz, während die andere meist ein Instrument hält; die Bewegungsrichtung verläuft im großen ganzen wie im fortlaufenden Totenreigen zum linken Bildrand. Die vehementen Schritte und Sprünge, Gesten und Körperdrehungen übersteigern Tanzfiguren der Basse danse. Die vom Tod ergriffenen Menschen reagieren unterschiedlich betroffen und verhaltener in ihren Bewegungen. Sie tragen die vornehme, flämisch-burgundische Tracht der Zeit um 1460, die aber in vielen Fällen nicht zum im Text angesprochenen Stand paßt (Offizial 28r, Domherr 9r, Nonne 1r, u. a., vgl.
Ort des Geschehens ist fünfzehnmal ein leerer oder karg ausgestatteter Innenraum mit Fliesenboden und Balkendecke, durch dessen Fenster und Bogenöffnungen man in die Landschaft sieht. Die übergroßen Gestalten scheinen ihn fast zu sprengen und stehen eher vor als in ihm wie vor einem Bühnenprospekt. In den übrigen Bildern begegnen sich Tod und Mensch in der Landschaft. Den Hintergrund bildet ein blau aufgehellter Himmel über hochliegendem Horizont, man sieht Hügel und kleine, vieltürmige Stadtsilhouetten mit blauen Dächern, im Vorder- und Mittelgrund eingetiefte Wege, sich windende Flußläufe, summarisch wiedergegebene Bäume und Gräser. Nur im Bild des Bürgermeisters gehen Tod und Mensch über einen von hohen Bürgerhäusern umstandenen Platz, sind die Häuser nicht nur Staffage, sondern Schauplatz der Begegnung. So wie Stand und Kleidung mehrfach nicht zusammenstimmen, paßt auch die Umgebung in einigen Fällen nicht zur Standesvorstellung (Franziskanermönch in der Einsiedelei des Waldes wie ein Eremit 6r, bewaffneter Räuber im Innenraum 13r).
Diese Widersprüche verschiedenster Art weisen darauf hin, daß Text und Bilder offensichtlich nicht aus derselben Quelle stammen: Während der mittelrheinische Text und der des Knoblochtzer-Druckes von 1488/89 nahezu gleichlautend sind und wahrscheinlich auf eine gemeinsame Vorlage zurückgehen, führen Malweise, Farbgebung, Raum- und Landschaftsgestaltung, Einzelheiten der Tracht, Format der Bilder sowie die Anordnung von Bild und Text eher in den flämisch beeinflußten französischen Raum (Hinweis
Die kostbar illumierte Handschrift, die als Geschenk (aus dem Umkreis der Wittelsbacher?) in den Besitz des Kurprinzen Karl von der Pfalz kam, wird sicher in höfischem Auftrag entstanden sein.
Bildthemen nach dem heutigen Zustand der Handschrift, in dem die Abfolge der geistlichen und weltlichen Stände gestört ist (kurze Beschreibung der Bilder und ihrer Besonderheiten bei
Fein abgestufte Palette aus Blau, Grün, Rot, Braun, Ocker, Schwarz, Weiß, Blattgold.
Abb. 153: 4r. Der Tod und das Kind.