KdiH

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73.9.1. Colmar, Bibliothèque municipale, Ms. 306

Bearbeitet von Kristina Domanski

KdiH-Band 8

Datierung:

1410–1420.

Lokalisierung:

Elsass.

Inhalt:
1ra–281vb ›Spiegel des Leidens Christi‹, integriert in den Text finden sich:
177va–180vb Jean de Mandeville, ›Reisebeschreibung‹, deutsch von Otto von Diemeringen
Vgl. Stoffgruppe 107. Reisebücher
262ra–269vb ›Der Antichrist‹
Freie Bearbeitung des siebten Buchs des ›Compendium theologicae veritatis‹ von Hugo Ripelin von Straßburg (vgl. die abweichende Bearbeitung unter Nr. 63.3. ›Antichrist-Bildertext‹)
276rb–277vb ›Visio Sancti Pauli‹ I
Prosaübersetzung 4, vgl. Stoffgruppe 62a. Jenseitsvisionen
I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament, II + 281 + II Blätter erhalten (Blatt 194–195 verloren, Text bricht auf Blatt 281 am Seitenende ab, originale Blattzählung in roten römischen Ziffern am oberen Blattrand Mitte, Blattnummer 220 doppelt vergeben), 343 × 247 mm, Textura, zwei Hände, I 1r–25r, II 25v–281v, zwei Spalten, 34–39 Zeilen, zwei- bis dreizeilige Initialen, Rubriken, Überschriften und lateinische Zitate in Rot, Rubrizierung.

Schreibsprache:

alemannisch.

II. Bildausstattung:

141 kolorierte Federzeichnungen, neun Freiräume für Illustrationen (131rb, 132ra, 132vb, 134va, 136ra, 141rb, 241va, 249vb, 278rab).

Format und Anordnung:

Die Illustrationen (figurae) sind zunächst fortlaufend mit römischen Ziffern in Rot nummeriert, beginnend mit der Trinitätsdarstellung 1vb zum ersten Kapitel bis zum 96. Bild (129vb). Nicht berücksichtigt wurde dabei die erste Illustration 1rab, eine halbseitige über beide Spalten reichende Darstellung, die Christus in der Kelter und die sieben Sakramente zeigt. Offenbar erfolgte eine Korrektur der Nummerierung ab 83v (Bild Nr. 61). In der zwölften Lage sind sechs aufeinander folgende Freiräume leer geblieben (131rb, 132ra, 132vb, 134va, 136ra, 141rb). Da sich dort keine weiteren Illustrationen befinden, kann wohl davon ausgegangen werden, dass die gesamte Lage bei der Anfertigung der Bilder übersehen wurde. Die Zählung der Illustrationen wird nach der Lücke nicht wieder aufgenommen. Auf 87r wird die Zählung erstmals um eine Angabe zum Bildinhalt erweitert, Also cristus in dem garten was, die danach immer regelmäßiger erfolgt. Die Illustrationen nehmen in der Regel die Breite der Spalte ein, doch wird das Bildfeld des Öfteren auf den Seitenrand ausgedehnt, so dass ein eher quadratisches Format erreicht wird. In einigen Ausnahmefällen werden zwei Illustrationen zu einem Bildfeld verbunden, auch wenn die dargestellten Szenen nicht in unmittelbarem Zusammenhang stehen. Die Taufe Christi (15ra) und die Wandlung von Wasser in Wein (15rb) sind wohl ebenso wie Samsons freiwillige Fesselung (74ra) und die Verleugnung Christi durch Petrus vor der Magd am Feuer (74rb) eher aus optischen denn inhaltlichen Gründen zusammengefasst worden. Für die beiden Demütigungen Christi (102r), bei denen er getreten wird (102ra, dem Titulus nach wird Christus auf den Hals geschlagen) und seine Peiniger als Verspottung in höhnischer Verehrung vor ihm niederknien (102rb), besteht hingegen ein unmittelbarer erzählerischer Zusammenhang. An zwei Stellen werden narrativ verknüpfte Szenen durch ein fortlaufendes Terrain über einen leichten Höhenunterschied verbunden. Sowohl für die Verhöhnung Davids (122ra) und die Verspottung seiner Boten (122rb) wie auch für die Entkleidung Christi (123va) und die Kreuztragung (123vb) wird der Versuch unternommen, eine fortlaufende Bilderzählung durch die Komposition zu suggerieren.

Von deutlich größerem Format sind außer der ersten Illustration (1rab), deren Verknüpfung der Leiden Christi – symbolisiert durch die mystische Kelter – mit den sieben Sakramenten programmatischer Charakter zugesprochen werden dürfte, nur zwei weitere Illustrationen. Bei beiden Illustrationen, die halbseitig in der Höhe über beide Spalten gehen (78rab, 79vab), handelt es sich inhaltlich um nahezu identische Szenen, die im (apokryphen) Nicodemus-Evangelium überliefert werden.

Gewöhnlich folgt der Illustration unmittelbar die entsprechende Textstelle. Nur bei der Himmelfahrt Christi kam es offenbar zu einem Koordinationsproblem. Da die Himmelfahrt in Anwesenheit der Jünger bereits 241rb zur Überschrift hoͤre von der uffart cristi eingefügt wurde, verblieb für den Freiraum 241va, dessen Überschrift die Anweisung enthält Hie mach ein figur der uffart cristi, kein passendes ikonografisches Motiv.

Bildaufbau und -ausführung:

Grundsätzlich gemeinsam ist den Illustrationen die nahsichtige Platzierung der handelnden Personen auf einem grünen Terrain ohne besondere Spezifizierung des Ortes und die Füllung des Hintergrunds mit grünen Ranken. Trotz der insgesamt einheitlichen Gestaltung der umfangreichen Illustrationsfolge im Hinblick auf Bildaufbau, Figurenanordnung und Hintergrund ist aufgrund der unterschiedlichen Ausführung der einzelnen Arbeitsschritte, insbesondere beim Einsatz von Pinsel- und Federzeichnung, bei der Kolorierung und der Gestaltung von Rahmen und Hintergrund die Beteiligung mehrerer Personen anzunehmen. Jerchel (1932, S. 45f., 74) hat die Illustrationen lagenweise zwei Gruppen zugewiesen, die er meinte einem Maler in zwei unterschiedlichen Arbeitsphasen zuschreiben zu können, die erste Gruppe umfasse Bl. 1–106, 167–212, 250–255. Jänecke (1964, S. 57–63) hingegen unterscheidet vier Gruppen, stellt aber Überschneidungen der einzelnen Gruppen fest und geht von mehreren Händen aus. Jänecke folgend lässt sich eine erste Gruppe anhand des Figurenstils für die ersten fünf Lagen, bis einschließlich 59v, abgrenzen: wohlproportionierte, eher zierliche Figuren mit rundlichen Köpfen, deren Gewänder zuweilen in weichen mäandernden Säumen auslaufen, wie sie für den Internationalen Stil typisch sind. Die ersten Illustrationen sind dabei sehr differenziert mit Deckfarben koloriert, unter Verwendung von Ultramarinblau und Weißhöhungen, das sorgfältig ausgearbeitete Inkarnat mit Weißhöhungen und die Abschattierung des Rotorange für den Hautton fallen auf. Insgesamt ist allerdings eine Tendenz zu abnehmender Sorgfalt zu bemerken. Ab Bl. 34 wird für die Lavierung, die ausgiebig mit dem Bildgrund arbeitet, nur noch Grün, ein braunrosa Mischton und Blau verwendet. Diese Form der Kolorierung findet ihre Fortsetzung auch in den folgenden fünf Lagen. Ab Bl. 61 mit Beginn der zweiten Gruppe stammen die Szenen allerdings von einem Zeichner, der wesentlich mehr mit der Feder als mit dem Pinsel und insgesamt kursorischer arbeitete. Eine dritte Ausführungsvariante kann mit Jänecke ab 116v festgestellt werden. Die Figuren werden durch eine durchgehende schwarze Konturlinie bestimmt. Der Pinsel wird auch verwendet, um mit wenigen präzisen Bögen und Kringeln die Gesichter und Bart- und Haartrachten zu kennzeichnen. Die wenigen Darstellungen zeitgenössischer Mode lassen sich hier finden: schmale Zaddeln an den Kleidersäumen, herabhängende Puffärmel, mit Schellen besetzte Schärpen oder Gürtel, z. B. bei Pilatus (116va) oder David (122ra–b). Gleichzeitig wird die Kolorierung nun mit wenigen, kaum abschattierten Farbtönen (Rostrot, Grün, Braun) flächenfüllend ausgeführt. Diese Farbgebung findet sich auch in der vierten Gruppe, die Jänecke ab Blatt 192 aufgrund leicht gelängter Proportionen der Figuren einem vierten Zeichner zuweist. Die Gestaltung von Ranken und Rahmen variiert im Verlauf der Handschrift auf eine Weise, die sich zum Teil mit der oben vorgestellten Gruppeneinteilung deckt. Auf den ersten fünf Lagen, innerhalb der ersten Gruppe, sind allerdings mehrere Wechsel zu bemerken. Während zunächst ein Rahmen aus kräftigen Ästen mit breiten Blättern gebildet wird (etwa bis Bl. 24), werden die Hintergründe in der Folge zuweilen mit filigranen Füllungen versehen, bevor ab Bl. 61 mit der grünen Deckfarbe ein einfacher Rahmen gezogen und der Freiraum kursorisch mit einfachen Ranken bestückt wird. Ab Bl. 116 bis zum Ende bilden zwei an den seitlichen Bildrändern aufsteigende Ranken zugleich den Rahmen der Szene. Die feinen Ranken, ausgeführt in einem hellgrünen lavierten Farbton, bestehen dabei meist aus wenigen langen, schlanken Elementen.

Bildthemen:

siehe die Tabelle bei Jänecke (1964) S. 233f. Für die nicht ausgeführten Illustrationen lassen sich anhand des Textes die geplanten Bildthemen erschließen. Für die zwölfte Lage war eine Fortsetzung der Passionsstationen vorgesehen: 131rb Christus in der Rast bzw. Kreuztragung, 132ra Würfeln um das Gewand Christi, 132vb Kreuzannagelung, 134va Kreuzaufrichtung, 136ra Zersägung des Jesaja als Antitypus, 141rb unklar, Verweis auf Tobias, Christus am Kreuz. Für 241va war dem Titulus nach die Himmelfahrt Christi geplant. Für die beiden letzten Freiräume (249vb, 278rab) finden sich zwar Bildüberschriften, doch handelt es sich bei ihnen nicht um geläufige Bildmotive, 249vb: was die junger tatent do jnen die engel erschinen warent. Gleiches gilt für den halbseitigen Freiraum zum Abschnitt, der die Freuden des ewigen Lebens schildert (278rab), für den die Darstellung des Himmlischen Jerusalem denkbar wäre.

Im Vergleich zu anderen Bildzyklen zum Leben Jesu fällt die enorme Ausweitung der Darstellungen zur Passion auf. Zur Kindheit Christi sind einige Illustrationen vorhanden, doch kaum Darstellungen zum öffentlichen Leben. Dagegen kommt es im Passionsteil aufgrund der Kompilation verschiedener Quellen zu Doppelungen. Auf 86vb springt mit der Erzählung, die bereits bei der Dornenkrönung angelangt war, auch die Illustrationsfolge zurück zur Gefangennahme Christi (die Vorlage wechselt, was der Verfasser auch angibt). Allerdings vermeidet die geschickte Bildauswahl zumeist Wiederholungen von Bildthemen. So wird 174va die Grablegung gezeigt, 177rb findet sich dann aber mit der Darstellung des Jonas im Maul des Walfischs der im Text erwähnte Antityp aus dem Alten Testament. Bei einer späteren nochmaligen Schilderung der Grablegung Christi, die im Rahmen der Verarbeitung einer weiteren Textquelle erfolgt, kündigt auch der Titulus 187rb die Grablegung an. Gezeigt wird aber wiederum ein im folgenden Text erwähnter Antityp, nämlich wie Joseph von seinen Brüdern in den Brunnen geworfen wird.

Im Rahmen der ausführlichen Bebilderung fallen einige Sequenzen auf: Die Serie der zwölf Edelsteine (28rb–32rb) und ihre allegorische Ausdeutung zeigt die Edelsteine als korrekte Abbilder der Natur. Bemerkenswert scheint auch die von einer dichten Bildfolge begleitete Schilderung der Misshandlungen Christi, die die Schläge auf die einzelnen Körperteile veranschaulicht (100va–102rb).

Die Illustrationen zur Bearbeitung des ›Antichrist‹ 262rb–269ra zeigen einige Bildthemen, die auch in den späteren umfangreich illustrierten Handschriften zu finden sind (Nr. 63.3.). Bei der Predigt des Antichrist vor seinen Jüngern (263ra) werden mehrere Momente zu einer Darstellung zusammengezogen, denn der Antichrist lässt einen dürren Baum erblühen und Feuerzungen auf seine Jünger niederfallen. Die Vermutung liegt nahe, dass hier auf eine bestehende Bildtradition zurückgegriffen werden konnte.

Farben:

Kolorierung variiert in den Abschnitten, zumeist Rostrot, Grün, Braun, zu Beginn auch Blau, Gelb und Weißhöhungen.

Literatur:

Schmitt (1969) S. 100, Nr. 213. – Jerchel (1932) S. 45f., 74; Jänecke (1964) S. 57–63; Masser/Siller (1987); Ridder (1991) S. 124f.; Jiroušková (2006) S. 155f.; Hamburger (2011) S. 26–28; Hamburger/Palmer (2015) S. 300f., 303, 318, 327f., 349.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

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Abb. 11.