59.8.4. Vorau, Augustiner-Chorherrenstift, Stiftsbibliothek, Ms. 273 (olim VIII)
Bearbeitet von Ulrike Bodemann
KdiH-Band 7
1467.
Raum Wien/Wiener Neustadt.
Im 16. Jahrhundert Textkorrekturen eines späteren Benutzers (7v–8r u. ö. Bereinigung bairischer Mundartlesarten) sowie Überkritzelungen in den Federzeichnungen (v. a. Schnurrbärte, 190r–203r u. ö. – von Kinderhand?). Vor 1733 in die Stiftsbibliothek Vorau gelangt, Signatur nach dem 1733 entstandenen Handschriftenkatalog Julius Gußmanns, N VIII, auf dem Einbandrücken. 1r Eintrag des Stiftsbibliothekars Theodor Lampel (1896) zum Umfang.
1. | 1ra–355va | Historienbibel IIIb |
1ra–6vb Register
unvollständig, Anfang und Schluss fehlen wegen Blattdefekts
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7ra–355va | Alte Ee | |
7ra–8ra Prolog | ||
8ra–355va Genesis bis Makkabäer II
mit dem ›Hiob‹ des Österreichischen Bibelübersetzers und dem ›Prophetenauszug‹
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355va–447va | Neue Ee | |
355vb–356ra Prolog I | ||
356ra–357rb Prolog II | ||
357rb–365ra Leben Jesu
bis zum Bericht über den 12jährigen Jesus im Tempel
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365ra–384rb Evangelistar: Perikopenauswahl vom ersten Adventssonntag bis Gründonnerstag | ||
384rb–409rb Heinrich von St. Gallen, ›Passionstraktat‹ | ||
409rb–415rb Evangelistar: Perikopenauswahl von Karsamstag bis Pfingstsonntag | ||
415rb–447va Papst-Kaiser-Chronik | ||
2. | 448ra–458ra | Irmhart Öser, ›Epistel des Rabbi Samuel an Rabbi Isaak‹ |
Papier, 460 Blätter, neu gezählt 1–458 (+ 36a, 72a: bis auf wenige Reste fehlende Blätter, mehrere weitere Blätter defekt, es fehlen ein Blatt vor 1, mindestens zwei Blätter nach 6, zwei nach 454, ein Blatt nach 455, eins nach 456; die originale Foliierung ist fehlerhaft und zählt das Register nicht mit), 405–410 × 280–285 mm; zweispaltig, 37–38 Zeilen, saubere Bastarda, eine Hand (identisch mit Wien, Kapuzinerkloster und Wien, Schottenstift [Nr. 59.8.5. und Nr. 59.8.7.]); datiert 447va: 31. Oktober 1467; die Textualis-Buchstaben s k p im Anschluss an den Kolophon u. U. als Schreibermonogramm zu deuten; in der ersten Zeile einer Seite cadellenartig kalligraphierte Oberlängen, rote Überschriften, Strichel, abwechselnd rote und blaue Lombarden über drei Zeilen.
bairisch-österreichisch.
Text 1: 558 erhaltene von 560 ursprünglich vorhandenen kolorierten Federzeichnungen, davon 436 in der Alten Ee (394 Textillustrationen und 42 historisierte Initialen), 122 in der Neuen Ee (120 Textillustrationen und zwei historisierte Initialen). Hinzu kommen zwei einfarbige Ornamentinitialen (236v und 352v). Es fehlen die Darstellungen 35rb (trunkener Noach), 406rb (Kreuzigung): ganz herausgerissen bzw. -geschnitten. 72vb (Initiale) und 180rb (Ripzas Totenklage) wegen Blattdefekts fragmentarisch, 136rb nur die Figur des Gideon silhouettiert ausgeschnitten. 204vb jüngere Bildinschrift Veris[i]milia, – Text 2: eine historisierte Initiale. Ein Zeichner.
hochrechteckig (ca.
sehr bewegte und lebendige Kompositionen. Geradlinige, lebhafte Zeichnung einer geschulten Hand, die sich eher an Holzschnitten zu orientieren scheint als an Deckfarbenminiaturen. Die Protagonisten agieren in bewegter Haltung, jedoch oft ohne Bodenhaftung, auf bzw. vor einem in linearen Rundungen, Auswölbungen und Einkerbungen umfassten, manchmal zu bizarren Formationen hochwachsenden Bodenstück, das auf einem sockelartigen, rötlich lavierten Unterbau ruht; gelegentlich wird der Schauplatz auch auf mehrere Bodenplateaus verteilt. Bewuchs und Architekturen nur, wenn vom Text gefordert (z. B. 252rb Nebukadnezzar im Wald, 262rb Romulus und Remus im Wald), lediglich manchmal Unterteilung in mehrere Bildebenen durch markig eingeschnittene Wasserläufe (z. B. 308vb). Keine Innenraumdarstellungen. Hintergrund freistehend. Perspektive spielt in der Komposition keine Rolle. Der Schwerpunkt liegt auf der Figurenzeichnung. Handelnde Personen meist recht gedrungen mit großen Köpfen, runden Gesichtern, emotionsloser Mimik, dennoch auch ohne farbliche Akzentuierung markant gestalteter Physiognomie (auffallend die großen Augen, die dicke, knollige Nase, die durch einen Strich und einen Haken für die Unterlippe gebildeten Münder, die merkwürdig angesetzten Bärte), Profilzeichnungen dabei fast karikaturistisch überzogen. Bewegung kommt vornehmlich durch die ausdrucksstarke Gestik ins Bild. Plastizität, v. a. der voluminösen Gewandfältelungen, wird sowohl durch Schraffen, Häkchen und Kritzel, als auch durch farbliche Differenzierung der Schattenpartien erreicht, wobei in starkem Maße der Papiergrund mit einbezogen wird. Vor allem Grün ist jedoch flächig aufgetragen. Gelegentlich sehr kontrastreiche Kontur- und Faltenbetonung durch Pinselstriche dürften sekundär sein. Vielfach modische Kleidungsaccessoires, z. B. Hennin ( 339va, 343rb, 363rb u. ö.) oder Schmetterlingshaube (163va, 258vb, 268va u.ö.). Schöpfungsbilder sind durch differenzierte Farbgebung von dem Rest des Zyklus abgehoben (
Auch in den Initialen stehen oder sitzen die Leitpersonen innerhalb der Majuskeln vor bzw. auf einem kargen Bodenstück, nur hier ist gelegentlich ein Himmelsstreifen angedeutet, die Buchstabenkörper selbst sind karg, selten gehen Schäfte in eine kurze Akanthusranke über oder ist außen ein Strahlendekor angebracht. Bei W-Initialen wurde für ein Bildmotiv kein Platz gefunden, sie sind lediglich mit einem Bodenstück versehen.
Detaillierte Malanweisungen am unteren und oberen Blattrand meist wegen Beschnitts entfallen; vgl. aber 63r, 65v, 69v, 86r, 362r, 363v, 375v u. ö.; sie werden aber nicht immer befolgt: 91r oben etwa schreibt die Malanweisung vor, dass durch die Ringe an den Ecken des Tabernakelbodens goldene Stangen (zum Tragen) führen (das Vorbild hierfür könnte die Handschrift des Wiener Kapuzinerklosters gewesen sein), diese fehlen in der Zeichnung.
(Bildthemenlisten bei
Gelegentlich neigt der Vorauer Zeichner zur Wahl recht derber, aber sehr textgetreuer Szenen (z. B. zur Plage der Philister nach ihrem Raub der Bundeslade: 150va Zwei Männer auf Stühlen, ihnen hängen die Gedärme aus dem After, Mäuse nagen daran), oder auch zum Ergänzen von Nebenszenen, bei deren Auswahl er sich ebenfalls eng am Text orientiert (z. B. indem er zur Opferung Isaaks noch die beiden Diener und den Esel einfügt: 48va), diesen aber zuweilen auch misszuverstehen scheint (wenn er zum Begräbnis des toten Ägypters durch Mose die zwei Israeliten einfügt, diese aber als teigwirkende Jünglinge darstellt: 75rb).
Bei den Ägyptischen Plagen ist statt des Viehsterbens die Blatternplage dargestellt (79vb), dann folgt statt der im Text beschriebenen Blatternplage die Hagelplage (80ra, die entsprechende Kapitelüberschrift zur 7. Plage fehlt) und dann, nachgeschoben, noch einmal ein Bild zur Blatternplage (80rb).
Grün, gelegentlich teilweise mit Gelb oder Braun übermalt, Rosa, transparente Brauntöne, blasses Blau, Rostrot, Ockergelb, Grau, leuchtendes Rot.
Teilfaksimile:
Vollfaksimile: Vorauer Volksbibel. Vollständige Faksimileausgabe im Originalformat des Codex 273 aus dem Besitz der Stiftsbibliothek Vorau. [Vier Bände, jeweils mit Interimskommentar von
Abb. 39: 36v. Turmbau zu Babel.