59.12.1. Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 516
Bearbeitet von Ulrike Bodemann
KdiH-Band 7
Um 1457–60.
Niederrhein (Köln?).
1837 von der Königlichen Bibliothek aus dem Besitz des Medizinalrats Walther erworben (acc. nr. 890).
1ra–255rb |
Alte Ee, Genesis bis Makkabäer II
Anfang fehlt, Beginn in Kap. 14: Abraham und Melchisedek
darin: 222vb–226vb kurzer Prophetenauszug 249va–255rb wörtlicher Auszug aus der ›Historia Scholastica‹ des Petrus Comestor (De commendatione Hircani bis De offensa Herodis in filios) |
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255va–259rb | Hoheslied, deutsch Hey hait mir gegeuen den kuyss syns mondes … | |
260ra–331rb |
Psalter, deutsch Selich is der man der nyet engeynk in deme raide der boser …
mit Benedictus, Te deum, Symbolum Quicumque, Magnificat, Nunc dimittis, Antiphon Herre en gedencke nyet mynre mysdait …, Heiligenlitanei und Orationes
darin: 323va–331rb Tafel des Psalters |
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332va–349vb | Apokalypse Dye vnderwysonge Jhesu cristi de gaff got offenbar synen knechten … |
Papier und Pergament (Doppelblatt jeweils in der Lagenmitte), I + 349 + I Blätter (es fehlen: 12 Blätter [eine Lage] vor 1, ein Blatt vor 2; vor allem im hinteren Teil der Handschrift die Ränder der Pergamentblätter stark beschnitten, offenbar um sie als Falzstreifen benutzen zu können. – Blatt 347 gehört hinter 343; unbeschrieben: 259v, 331v–332r), 276 × 205 mm, zweispaltig, 40 Zeilen, sehr sorgfältige schlaufenlose Bastarda, eine Hand, rote Strichel, Kapitelüberschriften, als Seitentitel die Namen der biblischen Bücher auf zwei gegenüberliegende Seiten aufgeteilt), abwechselnd rote und blaue Lombarden über vier Zeilen (im Psalter und in den Orationes abwechselnd rote und blaue Majuskeln), an den Buchanfängen Initialen in Rot, Blau und/oder Grün über acht bis zehn Zei-len mit Fleuronnée, 90r, 126v, 222v mit Blattgold, 260r mit Randleiste in Perlfleuronnée, die in Dreipassblüten mit anschließenden Fleuronnée-Strahlen auslaufen.
ripuarisch.
Erhalten sind 100 von ehemals ca. 105 kolorierten Federzeichnungen zwischen 5r und 130r, eine Hand. – Die Apokalypse mit sieben bis zu ganzseitigen Freiräumen, die unter Umständen zur Aufnahme von Federzeichnungen gedacht waren: 335rb, 335v, 338vb, 346vb, 347rb, 347v, 348r.
Streifenbilder, fast durchwegs über zwei Spalten,
rahmenlose Konzeptionen, sehr breit, in der Horizontale fast ausufernd angelegt: Die Zeichnungen sind weder nach unten (durch eine lineare Begrenzung der Bodenstücke) noch nach oben (durch einen Himmelstreifen) gegen den Text abgegrenzt (gelegentlich ansatzweise in den angrenzenden Text hinein oder um ihn herum komponiert: 2r, 48r, 48v), an den Seitenrändern werden sie im Falz bzw. am Blattrand regelrecht abgeschnitten. Nur ausnahmsweise auf die Schriftspiegelbreite beschränkte Bilder, etwa das streng um Salomos Thron herum komponierte Urteil Salomos (144r), oder Josuas Begräbnis, das am linken Rand durch die am Schriftspiegel entlang aufstrebende Fleuronnéleiste der folgenden H-Initiale begrenzt ist (96v, vgl. auch 110r). Entworfen werden großartige Landschaften und figurenreiche Szenarien, in denen entweder der Blick trotz der Weitläufigkeit auf die Bildmitte hingeleitet wird (die in die Kulissen oft wie in eine halbrunde Schale gebettet oder von Flussläufen umschlossen ist, z.B. 33v, 39r, 44v–45v, 47r, 55v, 56r, 70v, 75r, 115r, 152r, 164v, 170v, 220r, 228v, 242ar, 250r), oder die deutlich zweigeteilt sind (durch strukturierende Landschafts- oder Architekturelemente, z.B. 32r, 43v, 50v, 99v, 138r, 154r, 155v, 163r, 166r, 175v, 222r). Personen agieren im Vorder- oder Mittelgrund einer sich oft nahezu in Diagonalen aufwerfenden Hügellandschaft, auf die der Betrachter wie von höherer Warte blickt; vorn ist das Terrain in hellem Olivgrün laviert; im Hintergrund versinken Landschaft und Architekturen in blassblauem Dunst. Durch Farbabstufung, perspektivische Verkleinerungen und Wege oder Flüsse, die sich weit in die Landschaft hinein verlieren, gelingt eine beeindruckende Raumtiefe, etwa in Landschaftspanoramen wie 14v (Jakobs Traum von der Himmelsleiter) oder 242ar (himmlische Reiter über Jerusalem). Selten Darstellung von Innenräumen. Sehr geschickte Figurenzeichnung: die Akteure schlank, in lebhafter Bewegung und abwechslungsreichen Körperhaltungen arrangiert, sie tragen detailreich ausgearbeitete und dekorierte Gewänder (lange Kleider mit in vielfältigen Fältelungen am Boden sich verteilenden Säumen), die Frauen vielfach mit modernsten Kopfputz (z.B. 193v, 197v Ester und ihr Gefolge).
Sehr individueller Zeichenstil in mehreren Arbeitsgängen: nach sehr feiner, zurückhaltender Konturlegung wurden Einzelflächen durchscheinend laviert, dann aber in weiteren Arbeitsschritten mit dichten, parallel und kreuzweise mit feinem Farbpinsel angelegten Schraffursystemen überlagert (dabei auch Kontur nachgearbeitet); impressionistisch anmutend liegen oft mehrere Farbstrichelschichten übereinander. Wohl als letzter Arbeitsgang erfolgte die Strichelung sowie die Nacharbeitung von Physiognomien und Dekor mit sehr spitzer schwarzer Feder; Schwarzstrichelung blieb vornehmlich den weißen Flächen vorbehalten, d .h. vorrangig den Gewändern der Figuren, die anfangs nicht farbig gestaltet waren (abgesehen höchstens von einem gelben Rand o.ä.), sondern allenfalls blassgrau laviert waren. Nur die Figur Gottvaters ist schon früh farbig herausgehoben, selten einmal ist Kleidung nicht schwarz, sondern blau gestrichelt (49v). So heben sich insgesamt die Figurengruppen aus dem ohnehin schon nicht bunten Ensemble noch hell hervor. Im Fortgang der Arbeit werden dann aber auch die Gewänder bunter vorlaviert und danach schwarz überstrichelt. Kompositorische Verwandtschaft wurde in der niederländisch-flämischen Buchmalerei (besonders Utrechter Schule) festgestellt (
(Bildthemenliste siehe
Dominierend ist helles Olivgrün, daneben blasse rostbraune und blaue Töne, selten Gelb, Rot taucht so gut wie gar nicht auf.
Abb. 44: 242ar. Himmlische Reiter über Jerusalem.
Abb. 45: 200v. Der aussätzige Ijob, seine Frau und Szenen der Unglücksfälle Ijobs.