63.1. Frau Ava, ›Der Antichrist‹ / ›Das Jüngste Gericht‹
Bearbeitet von Ulrike Bodemann
KdiH-Band 7
Unter den älteren Dichtungen zum Jüngsten Gericht in deutscher Sprache ist eine Bildüberlieferung ausgerechnet für das wohl früheste Zeugnis, das bereits um 1100 in Niederösterreich entstandene Gedicht der Frau Ava, belegt. In ihrem Gedicht beschreibt Ava in ungleich langen Versikeln zunächst die Fünfzehn Zeichen vor dem Jüngsten Gericht in einer Petrus Damiani folgenden Version, um sich dann im längeren Teil des Gedichts den Aktionen des Weltgerichts selbst zuzuwenden. Das Gedicht bildet den Abschluss eines Zyklus geistlicher Dichtungen, ihm geht Avas Version der Antichrist-Vita (wohl nach einer auf Adso von Montier-en-Der beruhenden Fassung) unmittelbar voraus. Der Zyklus ist in den zwei einzigen bezeugten Handschriften als geschlossenes Textkorpus überliefert, wobei in der älteren Handschrift (Vorau, Stiftsbibliothek, Cod. 276) das die jüngere, heute verschollene Görlitzer Handschrift (Nr. 63.1.1.) einleitende Johannes-Gedicht fehlt. Während die Vorauer Handschrift keinerlei Indizien für eine Bebilderung enthält, ist die jüngere als durchdachtes Text-Bild-Ensemble angelegt, wobei sich allerdings nicht entscheiden lässt, ob sich diese Anlage an einer verlorenen bebilderten Vorlage orientierte oder originär ist.
Die religiösen Dichtungen des 11. und 12. Jahrhunderts. Hrsg. von