67a. ›Die goldene Kette‹ (Thomas von Aquin,
›Catena aurea‹, deutsch)
Bearbeitet von Kristina Domanski
KdiH-Band 7
Die ursprünglich als ›Glossa continua super evangelia‹ bezeichneten Evangelienkommentare des Thomas von Aquin entstanden in den Jahren 1263–1267 im Auftrag Papst Urbans IV. als Aneinanderreihung, als »Kette« exegetischer Zitate griechischer und lateinischer Kirchenväter zu den Versen der Bibel. Bei der hier vorzustellenden ostmitteldeutschen Übertragung des seit dem 14. Jahrhundert unter dem Titel ›Catena aurea‹ bekannten Werkes handelt es sich mutmaßlich wie bei der ›Prophetenübersetzung‹ des Klaus Kranc um ein Auftragswerk des Deutschen Ordens, das im Verlauf des 14. Jahrhunderts zum Zwecke der Bildung und Erziehung der Brüder angefertigt wurde. Die einzelnen Glieder der ›Goldenen Kette‹, die Kommentare zu den vier Evangelien, sind nicht vollständig und nicht im Verbund, sondern jeweils als Einzelwerke, teils auch nur fragmentarisch überliefert, aber über verschiedene Bibliotheksverzeichnisse des Ordens mehrfach nachgewiesen. Zahlreiche Fragen, z. B. zu Initiator, Bearbeiter und Entstehungszeit des umfangreichen Übersetzungsunternehmens, müssen ungelöst bleiben. Ob der Anstoß möglicherweise auf Winrich von Kniprode, Hochmeister von 1351 bis 1382, zurückgeht, wie die Übersetzungsarbeit von̵statten ging, ob sie – wie im Fall des Franziskaners Klaus Kranc – außerhalb des Ordens angefertigt wurde, ist nicht zu beantworten. Doch gehört die ›Catena aurea‹ zu der besonders vom Deutschen Orden rezipierten geistlichen Literatur, ebenso wie die ›Apokalypse‹ Heinrichs von Hesler oder einige epische Bibeldichtungen zu Büchern des Alten Testaments, etwa ›Judith‹, ›Hester‹ oder ›Hiob‹ (vgl. die Stoffgruppen 6.1. und 15.3.).
Die einzelnen Evangelienkommentare sind in sehr unterschiedlichem Umfang überliefert. Seit dem Verlust des Matthäus-Teils aus dem Besitz der ehemaligen Königsberger Staats- und Universitätsbibliothek (Nr. 67a.0.2.) nach 1945 ist der Text nur noch in Fragmenten erhalten, deren umfangreichstes neun Blätter einer Abschrift bilden, die im 16. und 17. Jahrhundert als Einbände für Amtsrechnungen verwendet wurden. Für den Kommentar zum Johannes-Evangelium gilt hinsichtlich Umfang und Überlieferungskontext Vergleichbares, auch hier sind lediglich Bruchstücke einer Handschrift erhalten (Nr. 67a.0.1.), die als Einbände für Rechnungsbücher dienten. Der Markus-Teil hingegen ist in einem vollständigen Exemplar (Nr. 67a.0.4.) überliefert, ebenso der Lukas-Kommentar (Nr. 67a.0.3.), der allerdings nur die ersten acht Kapitel des Evangeliums enthält. Trotz der lückenhaften Überlieferung sind einige gemeinsame Merkmale der Manuskripte bestimmbar: ein beeindruckendes Großformat, eine klar gegliederte Einrichtung, eine sorgfältige Ausführung sowie eine anspruchsvolle Ausstattung, bei der Initialen und Rubrizierung die einzelnen Textabschnitte, Bibelverse und Väterkommentare kenntlich machen. Für die aufgeführten Handschriften lässt sich zudem ein einheitliches System der Illustration feststellen, das eine Miniatur jeweils zu Beginn eines neuen Kapitels bzw. der Vorrede vorsah, wenngleich die Bilder nur beim Markus-Teil vollständig (Nr. 67a.0.4.) und beim Lukas-Kommentar teilweise zur Ausführung (Nr. 67a.0.3.) kamen.
Von den erst vor wenigen Jahren entdeckten Teilen einer bairischen Übersetzung der ›Goldenen Kette‹, die den Passionsbericht des Matthäus-Evangeliums (Mt 26,1–27,66) sowie einen Teil des Markus-Evangeliums (Mc 14,1–13) umfassen, ist bislang nur ein nicht illustriertes Exemplar bekannt (München, Cgm 795, 1r–73v und 74r–79v).