Literarische Werke, die von einem Herzog Ernst von Bayern berichten, wurden seit dem 12. Jahrhundert sowohl in Prosa als auch in Reim, in Deutsch ebenso wie in Latein geschaffen (vgl. Hans Szklenar / Hans-Joachim Behr: ›Herzog Ernst‹. In: 2VL 3 [1981], Sp. 1170–1191; Hans-Joachim Behr: Herzog Ernst. Eine Übersicht über die verschiedenen Textfassungen und deren Überlieferung. Göppingen 1979 [Litterae. Göppinger Beiträge zur Textgeschichte 62]). Neben vier mittelhochdeutschen Versfassungen sind zwei mittellateinische Prosafassungen sowie eine in Hexametern abgefasste Dichtung Odos von Magdeburg bekannt. Zudem entstanden drei frühneuhochdeutsche Bearbeitungen: noch im 14. Jahrhundert eine Liedfassung, im 15. Jahrhundert ein Prosaroman als Übertragung einer der lateinischen Fassungen und schließlich eine gekürzte Version des Prosaromans, auch als »Volksbuch« oder »Frankfurter Prosafassung« bezeichnet, die in Druckausgaben des 16. Jahrhunderts Verbreitung fand. In den Grundzügen stimmen die Versionen inhaltlich überein: Der Protagonist Herzog Ernst, Stiefsohn Kaiser Ottos, ist gezwungen, seine Heimat zu verlassen, nachdem er seinen verräterischen Widersacher, den rheinischen Pfalzgrafen Heinrich ermordete. Auf der Reise nach Jerusalem bringt ihn ein Sturm vom Weg ab, so dass er zunächst im Orient zahlreiche Abenteuer, unter ihnen eine Begegnung mit den Kranichmenschen sowie eine Fahrt auf einem unterirdischen Fluss, zu bestehen hat. Als siegreicher Kämpfer gegen die Heiden kann er schließlich in seine Heimat zurückkehren, vom Kaiser Vergebung erlangen und seinen Titel zurückgewinnen.
Die früheste bildliche Umsetzung, die sich allerdings der Zuordnung zu einer bestimmten Textfassung entzieht, hat sich in einem um 1390 hergestellten, stark beschädigten Bildteppich erhalten (Braunschweig, Städtisches Museum; Tanja Kohwagner-Nikolai: »per manus sororum …«. Niedersächsische Bildstickereien im Klosterstich [1300–1583]. München 2006, Kat.-Nr. 20, S. 266–272). Zwar kann dort die Nennung des Protagonisten HERT[O]G[HE]N · E[RNEST] in einem Schriftband zu »Herzog Ernst« ergänzt werden, doch wird an der Szenenfolge eine Durchdringung mit Motiven aus dem Sagenkreis um Heinrich den Löwen und dem ›Herzog von Braunschweig‹ deutlich (vgl. zu den Aventiuren auch Michel Wyssenherre ›von dem edeln Hern von Bruneczwigk‹, Stoffgruppe Nr. 56.2.). Ansonsten sind Illustrationen zum Stoffkreis nur für die frühneuhochdeutschen Prosafassungen und die Liedfassung (Fassung G) bekannt und finden sich nahezu ausschließlich in Druckausgaben von der Inkunabelzeit bis ins späte 16. Jahrhundert hinein. Allein in der Dresdener ›Heldenbuch‹-Handschrift (Nr. 57.1.1.) erhielt die dort nur 55 Strophen umfassende Version der Liedfassung G ebenso wie die anderen Texte der Sammlung ein Titelbild (vgl. auch Stoffgruppe 53. Heldenbücher), und in einer der Handschriften der frühneuhochdeutschen Prosafassung (Fassung F), die möglicherweise in Augsburg entstand, blieben die für Illustrationen vorgesehenen Freiräume leer (Nr. 57.2.1.).
Im 16. Jahrhundert wendet sich das Rezeptionsinteresse zunächst stärker der Liedfassung (Fassung G) zu. Bereits 1493 war mit Hans Sporers Bamberger Druck eine erste illustrierte Ausgabe mit 89 Strophen erschienen, der eine Bildfolge aus einem Titelholzschnitt und zehn Textholzschnitten beigegeben wurde (Nr. 57.1.a.). Entsprechend der inhaltlichen Verschiebung im Text, in dem die politischen Zusammenhänge nur am Rande erwähnt werden und die entführte Prinzessin nicht zu Tode kommt, folgt die Holzschnittserie vor allem der abenteuerlichen Befreiung der indischen Prinzessin aus der Gewalt der Kranichschnäbler und ihrer Heimführung durch Herzog Ernst und seinen Begleiter Graf Wetzel. Diese Szenenfolge wird in den nachfolgenden Drucken des 16. Jahrhunderts etwa jenen der Kunigunde Hergotin mit nur geringen Variationen übernommen (Nr. 57.1.f. bis 57.1.h.).
Die Bildfolgen zum frühneuhochdeutschen Prosaroman (Fassung F) in den Drucken Anton Sorgs und Heinrich Knoblochtzers (Nr. 57.2.a. und Nr. 57.2.b.) umfassen dagegen jeweils 32 Holzschnitte und setzen dabei einen Schwerpunkt auf die Rahmenhandlung, die politischen Verwicklungen vor der Abreise, einige Aventiuren zu Beginn der Reise und die legendenhaften Episoden zur Kaiserin Adelheid nach der Rückkehr Herzog Ernsts. Die ausgeprägten Übereinstimmungen der beiden Bildserien reichen über Szenenauswahl und Ikonographie hinaus bis in zeichnerische Details wie den Faltenwurf oder die Gestaltung des Landschaftsterrains. Die geringen Differenzen, die sich auf Einzelheiten der zeichnerischen Ausführung beschränken, lassen eine gemeinsame Vorlage in Erwägung ziehen.
Schließlich erscheint in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine gekürzte Prosafassung in einer Reihe bebilderter Drucke (57.2.e.–57.2.h.). Allerdings handelt es sich hierbei nicht um eine speziell für den Text angefertigte Illustrationsfolge, denn für die Bildausstattung werden vorhandene Druckstöcke aus anderen Werken verwendet (vgl. Nr. 57.2.e.).
Literatur zu den Illustrationen: Die Forschung konzentriert sich bislang auf die Darstellung der Kranichschnäbler: David Blamires: Herzog Ernst and the Otherworld Voyage. A Comparative Study. Manchester 1979, S. 29–40. – Horst Brunner: Der König der Kranichschnäbler. Literarische Quellen und Parallelen zu einer Episode des ›Herzog Ernst‹. In: Ders.: Annäherungen. Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Berlin 2008, S. 21–37 (Erstabdruck in: Die Wandmalereien in der Kaiserpfalz Forchheim. Hrsg. vom Förderkreis Kaiserpfalz Forchheim e.V. 2007, S. 94–112).