66.1.3.ehem. Strasbourg, Bibliothèque municipale, ohne Signatur [›Rolandslied‹]
Bearbeitet von Kristina Domanski
KdiH-Band 7
Datierung:
Ende 12. Jahrhundert.
Lokalisierung:
Niedersachsen.
Besitzgeschichte:
1870 beim Brand der Stadtbibliothek zerstört.
Inhalt:
Pfaffe Konrad, ›Rolandslied‹
gekürzte Fassung/Fragment mit 4521 Versen (bei Scherz [1727] 4621 Verse gezählt, Verszählung springt aber von 2099 auf 2200; Vv 515–838; 979–1607; 900–2727; 3225–3829; 4466–5898; 8049–8474; 8707–8738; 8771–9016; vgl. Gutfleisch-Ziche [1996] S. 145)
Handschrift
I. Kodikologische Beschreibung:
Pergament, weitere kodikologische Angaben sind nicht überliefert.
Schreibsprache:
mitteldeutsch-niederdeutsch (ostfälisch) (Klein [1988] S. 130).
II. Bildausstattung:
Mindestens zwei Illustrationen, überliefert als Kupferstichabdruck in Scherz [1727], in den meisten Exemplaren der Edition aber irrtümlicherweise der Textausgabe von Strickers ›Karl‹ beigebunden (Kern [1972] S. 248).
Format und Anordnung:
Den Kupferstichreproduktionen nach 180 × 200 mm und 130 × 185 mm. Durch die Bezeichnung der Stiche mit »Ad Pag. 3« und »Ad Pag. 8« sind die bei Scherz (1727) wiedergegebenen Illustrationen in ihrer Reihenfolge eindeutig und in ihrer Platzierung im Text relativ sicher zuzuordnen. Ihre Abfolge ist daher gegenüber der in der Forschungsliteratur üblichen Wiedergabe, die meist »Ad Pag. 8« vor »Ad Pag. 3« abbildet, umzukehren. (Lejeune/Stiennon [1966] Bd. 2, Abb. 91, 93; zuletzt Nagel [2012] S. 455 f., Abb. B10, B11).
Bildaufbau und -ausführung:
Die Illustration »Ad Pag. 3« platziert die Figuren unter einer turmbewehrten Rundbogenarchitektur, einen entsprechenden architektonischen Rahmen deuten bei »Ad Pag. 8« die beiden Kapitelle am äußeren Bildrand an, denen in der Reproduktion allerdings die tragenden Säulen fehlen. Die bisherige Zuordnung der Illustrationen zum Regensburg-Prüfeninger Kunstkreis (Lengelsen [1972] S. 110–112) kann aufgrund deutlicher stilistischer Divergenzen nicht befriedigen. Stilistische Vergleiche sprechen selbst bei Berücksichtigung der Tatsache, dass nur zwei Illustrationen und diese nur in reproduzierter, also möglicherweise Stilmerkmale verunklärender Form überliefert sind, für eine Entstehung in Niedersachsen. Der Figurenstil mit ausladenden Proportionen und relativ breiten, kantigen Gesichtern war ebenso bekannt wie die architektonische Gestaltung des Rahmens und einzelne motivische Details, etwa die gesträhnte Barttracht oder der wegflatternde Mantelzipfel. Diese Merkmale lassen sich nicht nur in älteren Miniaturen aus dem Skriptorium in Helmarshausen nachweisen, wie etwa in dem Dedikationsbild des Evangeliars, das um die Jahrhundertmitte für den Dom in Lund entstand (Uppsala, Universitetsbiblioteket, C 83, 1v; Harald Wolter–von dem Knesebeck: Buchkultur im geistlichen Beziehungsnetz. Das Helmarshausener Skriptorium im Hochmittelalter. In: Helmarshausen. Buchkultur und Goldschmiedekunst im Hochmittelalter. Hrsg. von Ingrid Baumgärtner. Kassel 2003, S. 77–122, Abb. 11, S. 99).
Stilistisch ist eine besondere Nähe zu Manuskripten aus dem Skriptorium St. Pancratius in Hamersleben und insbesondere dem Evangeliar Moskau, Russisches Staatliches Archiv für ältere Akten, Fond 1607, Inv. 1 (olim Dresden Sächsische Landesbibliothek, Mscr. A 94) zu konstatieren (Aliza Cohen-Mushlin: Scriptoria in Medieval Saxony. St. Pancras in Hamersleben. Wiesbaden 2004, S. 74–95, Kat.-Nr. 4, S. 204–209, Abb. 68–75). In vergleichbarer Weise werden dort die Figuren selbst bei einer gedrehten Körperhaltung durch eine flächige Gewandgestaltung, besonders die metallisch steifen Mäntel, in der Bildfläche verspannt. Zudem zeichnen sich die Figuren gleichermaßen durch massive Köpfe und flächige Gesichter mit voluminösen Bärten aus. Die rahmenden Architekturen zeigen große Ähnlichkeit, sie bestehen ebenfalls aus übereinandergestellten Turmelementen, die sich nach oben hin verjüngen und durch einen oder zwei Bögen miteinander verbunden sind.
Einer Lokalisierung nach Niedersachsen kommen überdies sowohl die jüngeren lautsprachlichen wie auch die literaturhistorischen Untersuchungen entgegen (Gutfleisch-Ziche [1996] S. 147, 185; Beckers [1982] S. 5 f.; Bastert [2002] S. 195–210; Bastert [2010] S. 78–80).
Bildthemen:
Die zweite Illustration (»Ad Pag. 8«) ist der Textpassage ab Vers 1165 zuzuweisen, sie kann wie bisher als Illustration zum Rat der Franken unter dem Vorsitz Bischof Turpins gedeutet werden und stimmt damit im Hinblick auf Positionierung und Inhalt mit der sechsten Szene im Heidelberger Manuskript (Nr.66.1.1., 15v) überein. Die Deutung des Bildinhaltes von »Ad Pag. 3« hingegen ist entsprechend der Reihenfolge im Text zu korrigieren (vgl. auch Kern [1972] S. 248 f., aber mit anderem Ergebnis). Das Bild zeigt demnach eine frühere Episode und ist der Ankunft der Boten im Lager Karls bzw. dem Auftritt Blanscadiz’ vor Kaiser Karl zuzuordnen (V 675 bzw. V 709). Die Illustration weist in der Figurenanordnung allerdings Übereinstimmungen mit der dritten Szene der Heidelberger Handschrift auf (Nr.66.1.1., 6r), wobei dort jedoch die beiden Gestalten am linken Bildrand fehlen.
Farben:
keine Angabe überliefert.
Literatur:
Johann Georg Scherz: Anonymi Fragmentum de Bello Caroli M. contra Saracenos […], in: Johannes Schilter: Thesaurus Antiquitatum Teutonicarum […], Bd. 2, Ulm 1727, darin Teil [3]; Grimm (1838) S. XVIII–XXIII; Oechelhäuser (1887) S. 68 f.; Konrad, der Pfaffe: Das Rolandslied. Hrsg. von Karl Bartsch. Leipzig 1874, S. XXI; Wesle (1928) S. XXII–XXXVI; Lejeune/Stiennon (1966) Bd. 1: S. 135 f., 137, Bd. 2: Abb. 91, 93; Werner/Zirnbauer (1970) S. 38 f.; Kern (1972) S. 248 f; Lengelsen (1972) S. 110–112; Beckers (1982) S. 4–6 f.; Klein (1982) S. 297–366; Bertemes (1984) S. 44–46; Gutfleisch-Ziche (1996) S.142–186, besonders S. 147 f.; Bastert (2010) S. 123; Nagel (2012) S. 217, S. 455 f.