KdiH

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63.4.1. Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 722

Bearbeitet von Ulrike Bodemann

KdiH-Band 7

Datierung:

1482.

Lokalisierung:

Augsburg.

Besitzgeschichte:

1853 über das Antiquariat Adolf Ashers in die Königliche Bibliothek gelangt (1r Acc. nr. 3728).

Inhalt:
1r–41v ›Berliner Weltgerichtsspiel‹
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, I + 43 + I Blätter (Vorsatzblätter und Foliierung neuzeitlich; Blatt 39 diagonal abgerissen; 1r nur Titelschrift, 1v und 42r–43v unbeschrieben), 305 × 197 mm, einspaltig, 30–31 Zeilen, Bastarda, ein Schreiber (datiert 41v: anno . 1482): Konrad Bollstatter von Öttingen (nach Schriftvergleich), Verse abgesetzt, rote Strichel am Versbeginn und Caput-Zeichen am Versende, Lombarden über zwei bis drei Zeilen am Anfang einer neuen Sprechpartie in Rot, Blau oder Grün, letztere manchmal mit Randornamentierung in Rot, der erste Vers einer Seite oft mit kalligraphisch ornamentierter Majuskel beginnend, rote oder schwarze Überschriften und Rubriken.

Schreibsprache:

ostschwäbisch.

II. Bildausstattung:

53 kolorierte Federzeichnungen: 2r, 2v, 3v, 4v, 5v, 6r, 6v, 7r, 7v (2), 8r, 8v (2), 9r, 9v (2), 10r, 10v, 11r (2), 11v, 12r, 12v, 13r, 14r, 14v, 15v, 16r, 17v, 19r, 22r, 22v, 26v, 28r, 31r, 31v, 35v, 36r, 36v, 37r (2), 37v (2), 38r (2), 38v (2), 39r (2), 39v (2), 40v, 41r. Ein Zeichner.

Format und Anordnung:

Unterschiedlich groß, 2r–6r, 12r–14r, 37r–39v hochrechteckig, die Hälfte der Schriftspiegelbreite (37r–39v) bzw. etwas mehr (2r–6r, 12r–14r) einnehmend, linksbündig in den Schriftspiegel eingesetzt oder zu zweit nebeneinander (37r, 38r, 39r–v) bzw. versetzt (38v) in den Text eingefügt; 6v–11v, 14v–36v, 40v–41r quer- bis hochrechteckige Bilder über die gesamte Schriftspiegelbreite, anfangs Streifenbilder, ab 14v meist großformatige Bilder, die bis zu drei Viertel der Schriftspiegelhöhe einnehmen. Mehrfach sind Bruchstücke von ansonsten durch Beschnitt entfallenen Randbemerkungen erhalten (14v, 18v, 32v, 36v), bei denen es sich um Hinweise für den Zeichner handeln dürfte.

Propheten- und Kirchenväterbilder mit Namensbeischriften, die zum Teil (2v, 6r) als Kapitelüberschriften in den nebenstehenden Text integriert, zum Teil als Rubriken an den oberen Randsteg platziert sind, ähnlich die Engelsbilder; die Apostelbilder sämtlich mit Namensüberschriften und/oder Sprechrollenüberschriften des Typs Sant Philippus spricht hienach im Text oder am oberen Randsteg. Fünfzehn Zeichen sämtlich mit Überschriften unmittelbar über dem Bild, ergänzend gelegentlich Kurztitel (als Seitentitel) am oberen Randsteg. Die Weltgerichtsdarstellungen nicht immer mit Bildüber- oder -unterschriften.

Inkongruenzen insbesondere bei der Anordnung der Bilder zu den Fünfzehn Zeichen: Bis zum 11. Zeichen dem Bezugstext jeweils vorangestellt; danach ab 10v (wegen eines Schreiberfehlers: kein Spatium vor dem 12. Zeichen) dem Bezugstext nachfolgend, beim 15. Zeichen hat der Schreiber seinen Fehler erkannt, er lässt nun zwei Spatien hintereinander frei, sodass die Bilder des 14. und 15. Zeichens unmittelbar aufeinander folgen und beim 15. Zeichen die Reihenfolge Bild vor Text wiederhergestellt ist. Kleine Widersprüche zwischen Text- und Bilderfolge auch bei den Weltgerichtsdarstellungen: 22v passt die Bildüberschrift Das jungst gericht mitt allen hayligen nicht zum Bild, das dem folgenden Kapitel vorangeht (dessen Überschrift wäre der korrektere Bildtitel: Christus spricht zu den verdampten 23r); 28r ist unter der textkonformen Überschrift Leyb vnd Sele ein falsches Bild eingefügt worden (Maria und Johannes als Fürbitter, siehe erneut 31v, hier richtig), was aber der Szenenfolge des ursprünglichen Textes (ohne den Leib-Seele-Einschub) entspricht (hierzu Schulze [1991] S. 10).

Bildaufbau und -ausführung:

Sämtliche Bilder in rot gefüllten Kastenrahmen eingefasst. Alle Figuren und Szenen, oft vom Rahmen überschnitten, in einem durch olivgrüne Bodenstücke und nach oben blasser werdenden blauen Himmelstreifen neutral bestimmten Raum. Einzelfiguren (2r–6r, 12r–14r, 37r–39v) auf vorderster Bildebene, in Redegestus oder mit Instrument (Engel) bzw. Attribut (Apostel) aufrecht stehend. Bis auf einige Apostelbilder stets nach rechts gewandt (Leserichtung); die Apostel wenden sich, wenn zwei Apostelbilder nebeneinanderstehen, einander zu, auch 38v, wo die Apostelbilder nicht parallel, sondern diagonal angeordnet sind und eine komplexe Ausrichtung von Körperhaltung und Blickrichtung aufeinander erfordern. Durch Blickausrichtung diagonal aufeinander bezogen sind auch die Darstellungen der Trinität mit Maria 40v und der Schar anbetender Erlöster 41r. Beides spricht für eine obwohl nicht originär aus der Situation der Handschrift gewonnene (siehe oben: Inkongruenzen), so doch deutlich an sie angepasste Bildkonzeption (weniger sind hierin Strukturen wie in den »Dialogbildern« des ›Kopenhagener Weltgerichtspiels‹ [siehe Nr. 63.4.3.] zu sehen). Die Fünfzehn Zeichen grob der aus der Handschriften- und Drucktradierung bekannten Ikonographie entsprechend (vgl. auch die zuschauenden Begleitfiguren beim 1. und 2. Zeichen), meist jedoch in eigener, eng an den Text angelehnter Interpretation, etwa beim 9. Zeichen, wo im Bild nicht die eingeebnete Erde, sondern die Aktion, die darauf hinführt, gezeigt wird (umfallende Bäume, zu Tal stürzende Berge; hierzu Blosen [1990] S. 220), oder beim 15. Zeichen, wo die Erneuerung der Welt nicht als Auferstehung der Menschen aus den Gräbern dargestellt wird, sondern je eine Gruppe Männer und Frauen in kniender Anbetungshaltung einander gegenüber zu sehen sind (ihre Nacktheit evoziert weniger ein Auferstehen aus Gräbern als einen paradiesischen Zustand).

Klare, sichere Konturzeichnung einhergehend mit flüchtig aufgetragenen Binnenschraffierungen, souverän modellierende Lavierung in wenigen Farben unter Einbeziehung des weißen Papiergrunds, Inkarnat in zurückhaltend angebrachten blassrosa Pinselstrichen. Die markante Figurencharakterisierung mit bewegten Körperhaltungen (in manchmal, etwa 5v, etwas unschlüssigen Proportionen) und ausdrucksstarken Physiognomien mit spitzer Nase und betonter Augenpartie kennzeichnet den Bollstatter-Zeichner und zeigt sich stilistisch gegenüber seinen bis zu mehr als 25 Jahre früher entstandenen Arbeiten kaum abgewandelt.

Bildthemen:

Siehe Wegener (1928) S. 110–112; Schulze (1991) S. 3–9. Übereinstimmungen mit dem ›Kopenhagener Weltgerichtsspiel‹ (Nr. 63.4.3.) sprechen für eine gemeinsame Vorlage, mit der jedoch individuell umgegangen wird. Zudem fügt die Berliner Handschrift nach separater Vorlage den Bildzyklus zu den Fünfzehn Zeichen bei, wo die Kopenhagener Handschrift lediglich Text überliefert. Bildüberschriften zu den Fünfzehn Zeichen mit dem Zusatz des Typs so hör und merck (3. bis 10. und 15. Zeichen) wie auch solche, die auf den gemälde-Charakter hinweisen (12. bis 14. Zeichen), tauchen nur hier auf und deuten auf eine von den Figurenbildern abweichende Funktion der Zeichendarstellungen hin; sie sprechen unmittelbar die Rezeptionshaltung des Lesers/Betrachters an.

2r–6r Sechs Alt- und Kirchenväter: Joel, Sophonias, Gregorius Magnus, Hiob, Salomo, Hieronymus;

6v–11v Fünfzehn Zeichen;

12r–14r Vier Engel mit Posaunen;

14v–36v 14 Szenen zum Weltgericht: 14v Auferstehung der Toten (motivgleich mit dem 11. Zeichen 10r); 15r Erscheinen Christi als Weltenrichter: Der Auferstandene in Regenbogenmandorla thronend, von seinem Gesicht gehen Schwert und Lilie aus, rechts und links Leidenswerkzeuge, unten rechts und links Papst und Kaiser mit Gefolge in Anbetung; 15v Scheidung von Gut und Böse: Der auf einem Regenbogen thronende Auferstandene, unten Engel zwischen zwei Menschengruppen; 17v Fürbitten Marias: Der Auferstandene spricht zu seiner vor ihm knienden Mutter; 19r Christus spricht zu den Aposteln: Der Auferstandene in Regenbogenmandorla thronend, umgeben von den zwölf Aposteln; 22r Berufung auf die Apostel: Der Auferstandene predigt Aposteln und Heiligen; 22v Schuldurteil über die Verdammten: Der Auferstandene in der Mandorla thronend, unten weichen König und Volk zurück und wenden sich ab; 26v Auslieferung der Verdammten an den Teufel: Der Teufel mit Kaiser, Papst und Volk, in einem Seil gefangen; 28r (dem Text vom Zwiegespräch zwischen Leib und Seele falsch zugeordnet): Der Auferstandene auf dem Regenbogen thronend, mit Schwert und Lilie, rechts und links knien Maria und Johannes (siehe 31v); 31r Der Teufel holt sich die Seele: Drei Teufel an einem Sterbebett, einer ergreift die Seele, die dem Sterbenden aus dem Mund entweicht; 31v Fürbitten von Maria und Johannes, wie 28r; 35v Christus verschließt die Hölle: Der Auferstandene mit Schlüssel am halb geöffneten Höllentor; 36r Rede Christi an Maria und Apostel: Der Auferstandene im Kreise von Maria und den Aposteln sitzend; 36v Christus im Himmel: Der Auferstandene über den Wolken thronend;

37r–39v Lobpreisungen der Apostel: Petrus, Paulus, Johannes d. Ev., Andreas, Johannes d. T., Bartholomäus, Thomas, Jakobus d. J., Philippus, Matthäus, Simon, Matthias;

40v/41r Schluss: Rede Gottvaters; 40v Gottvater, Christus, Maria in den Wolken thronend, darüber die Taube des Hl. Geistes; 41r Papst, Kaiser und geistliche wie weltliche Stände in Anbetung.

Farben:

Blau, Grün, Gelbocker, Braunocker, Grau, Rot, Violettrot, Rosa.

Literatur:

Degering 1 (1925) S. 95. – Wegener (1928) S. 110–112, Abb. 90 (15v); Lehmann-Haupt (1929) S. 186, Nr. 6, Abb. 59 (19r), 60 (40v); Ein Losbuch Konrad Bollstatters aus Cgm 312 der Bayerischen Staatsbibliothek München. Kommentiert von Karin Schneider. Wiesbaden 1973, hier S. 18, Nr. 8; Simon (1978) S. 188–191; Bergmann (1986) S. 61–63, Nr. 18; Blosen (1990) passim, Abb. 9 (9v Ausschnitt ), 11 (10r Ausschnitt); Berliner Weltgerichtsspiel. Augsburger Buch vom Jüngsten Gericht, Ms. germ. fol. 722 der Staatsbibliothek Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Abbildung der Handschrift mit einer Einleitung und Texttranskription. Hrsg. von Ursula Schulze. Göppingen 1991 (Litterae 114) passim (mit Abb. sämtlicher Blätter); Jürgen Wolf: Konrad Bollstatter und die Augsburger Geschichtsschreibung. Die letzte Schaffensperiode. ZfdA 125 (1996), S. 51–86, hier S. 60, Nr. 8; Trauden (2000) S. 9–15; Linke (2002) Bd. I, S. 13f.; Aderlass und Seelentrost (2003) S. 123–126, Nr. 57 [renate schipke], Abb. S. 125 (9v); Caroline Zöhl: Raum, Rezeption und Ritual. Der Berliner Totentanz im Kontext. In: Der Berliner Totentanz. Geschichte – Restaurierung – Öffentlichkeit. Hrsg. von Maria Deiters / Jan Raue / Claudia Rückert. Berlin 2014, S. 93–103, Abb. 7 (41r); Wagner (2016) S. 178–180, 182 u. ö., Abb. 51 (6r), 66 (6v/7r).

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Taf. XX: 40v/41r. Gottvater, Christus, Maria in den Wolken thronend, darüber die Taube des Hl. Geistes / Papst, Kaiser und geistliche wie weltliche Stände in Anbetung.

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Taf. XX.