KdiH

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6.2.1. Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Ms. germ. fol. 88

Bearbeitet von Gisela Fischer-Heetfeld

KdiH-Band 1

Datierung:

Letztes Viertel 15. Jahrhundert (1498. 1499).

Lokalisierung:

Elsaß (Wegener: Die nicht illustrierten Teile sind bayerischer Herkunft).

Besitzgeschichte:

Herkunft unbekannt, Illustrationen und Inhalt deuten auf ein Frauenkloster hin. Aus dem Besitz Daniel Sudermanns (1550–1631) in Straßburg.

Inhalt: Sammelband verschiedener theologischer Schriften aus zwei sich deutlich unterscheidenden Teilen (2–161 und 169–263)
1. 2r–74v Heinrich von St. Gallen, Marienleben
2. 74v–93r Heinrich von St. Gallen, Magnificat-Auslegung
3. 93v–136v Heinrich von St. Gallen, ›Extendit manum‹-Passionstraktat
4. 136v–147r Konrad Bömlin, Passionspredigt
5. 147r–152r Konrad Bömlin, Eucharistiepredigt
6. 152r–155r Betrachtung über das Wort Jesu am Kreuz »Mich dürstet«
7. 155r–161v Beichtspiegel
8. 169r–186r ›Abendrede Christi‹
9. 187r–212r ›Apokalypse‹, deutsch
mit Vorrede des Hieronymus und Glosse
10. 218r–255v Johannes Geiler von Kaysersberg, Predigt
11. 255v–260v Heinrich Seuse, Predigt über Ct 1,15
12. 260v–263r Thomas von Lampertheim, ›Von sechs Stunden der Nacht‹
I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, Bl. 1 und 190 Pergament, 334 Blätter, 162r–168v und ab 263v leer, 293 × 215 mm, Bastarda, zwei Hände (I: 2r–161v, II: 169r–263r), einspaltig, unterschiedliche Zeilenzahl, vor den Kapitelanfängen vier- bis achtzeilige, meist blau-rot gespaltene Schmuckinitialen auf rotem oder blauem Fleuronnée, z. T. mit Blattgold oder oxydiertem Blattsilber belegt (verschiedentlich eingezeichnete Blumen oder Tiere: 198v Fabeltier, 207r Maiglöckchen, 209r Alpenveilchen, Einhorn), 189v zu Beginn des Apokalypse-Textes prächtige 15zeilige A-Initiale, Buchstabenkörper mit bräunlich-rotem Blattwerk belegt, rote Überschriften, Bezeichnung von Text und Glos, Unterstreichungen, Strichelung.

Schreibsprache:

westschwäbisch, bis 161v mit schweizerischen, ab 169r mit elsässischen Einschlägen.

II. Bildausstattung:

Zwei ganzseitige Federzeichnungen auf den beiden Pergamentblättern des Codex, eine vor Text 1 (1v), eine zu Text 9 (190r), aber inhaltlich und formal wohl beide Text 9 zugehörig, und zehn fünf- bis 19zeilige figurierte Deckfarbeninitialen, drei zu Text 8 (169r, 172r, 177v), sechs zu Text 9 (187r, 191r, 196v, 198v, 205r, 211r), eine zu Text 10 (218r), zwei Hände (A: 1v und figurierte Initialen, B: 190r).

Bildaufbau und -ausführung, Bildthemen:

1v (ca. 207 × 145 mm) Baum des Lebens: Christus am Baumkreuz als Weinstock, in den Zweigen die Halbfiguren der zwölf Apostel, über dem Kreuz die Taube des Heiligen Geistes; Gottvater bearbeitet mit einer Hacke den Boden, Maria begießt mit einer Kanne den Stamm. Kaum schraffierte Federzeichnung; die Gesichter, Hände und der Körper Christi in hellem Fleischton laviert, sonst keine Kolorierung. Sehr feine, sicher hingesetzte Linien, auffallend die überhöhten Stirnen und die charakteristische Lippenbildung der halbgeöffneten Münder im Profil. – 190r (ca. 205 × 140 mm): Johannes auf Patmos, die Vision empfangend. Johannes in einer durch stilisierte Bäume angedeuteten Landschaft sitzend und schreibend, zwischen seinen Füßen geduckt der Adler, vor ihm der Engel mit leerem Spruchband; in der himmlischen Zone links Weib und Kind (als Halbfiguren) auf der Mondsichel, in der Mitte Gott und das Lamm auf dem Buch mit noch zwei verschlossenen Siegeln, die Taube des Heiligen Geistes (auf Johannes’ Nimbus sitzend), rechts ein musizierender Engel. Die Mondsichel in Blattsilber, Nimben, Engelskrone, Gewandsäume und Fidel in Blattgold, sonst keine Bemalung (wohl als Vorzeichnung für spätere Ausmalung zu verstehen, bei der mit dem Blattgoldauftrag begonnen wurde). Skizzenhafte, oft neu ansetzende Federführung.

187r A-Initiale am Beginn der Vorrede: Hieronymus mit dem Löwen vor aufgeschlagenem Buch sitzend; 191r U-Initiale: Gott mit den sieben Sternen und den sieben Leuchtern; 196v D-Initiale: Christus mit Schwert und Blütenzweig aus dem Mund, die Wundmale weisend, über Auferstehenden; 198v U-Initiale: Posaune blasender Engel; 205r U-Initiale: Johannes mit Kelch und Schlange; 211r U-Initiale: Johannes weist auf das Lamm Gottes über dem Quell des Lebens, rechts belaubter Baum, darauf Vogel. Die Initialen sind mit dick aufgetragenen, die feine Zeichnung überdeckenden Farben in buntem Kolorit ausgeführt. Keine Modellierung; ein Teil der Konturen ist mit schwarzer Tinte oder dunklerer Farbe nachgezogen.

Literatur:

Degering 1 (1925) S. 10; Wegener (1928) S. 119f., Abb. 99 (1v); Hardo Hilg: Das ›Marienleben‹ des Heinrich von St. Gallen. Text und Untersuchung. Mit einem Verzeichnis deutschsprachiger Prosamarienleben bis etwa 1520. München 1981 (MTU 75), S. 17–20. – Vollmer, Bibel und deutsche Kultur 8 (1938) S. 116f., Taf. I (190r). Taf. III (1v); Hellmuth Bethe: Baumkreuz. RDK 2 (1948) Sp. 100–105; von Heusinger (1953) S. 91f.; Schiewer (1987) S. 6f., Abb. 1 (190r).

Zu den Illustrationen von Text 8 und 10 siehe Nr. 93. Mystische Traktate.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 128: 189v. A-Initiale zu Beginn der Apokalypse.

Abb. 129: 190r. Johannes auf Patmos, die Vision empfangend.

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Abb. 128.
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Abb. 129.