KdiH

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99.0.5. München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 19

Bearbeitet von Gabriel Viehhauser

KdiH-Band 9

Datierung:

Mitte 13. Jahrhundert (nach Schneider [1987] Textbd. S. 152).

Lokalisierung:

Bairisch-ostalemannischer Sprachraum.

Besitzgeschichte:

Wie aus dem gemalten Exlibris im inneren Vorderdeckel mit der Jahreszahl 1568 hervorgeht, befand sich die Handschrift zu dieser Zeit im Besitz des Sebald Müllner von Zweiraden, der dem Münchener Hof Herzog Wilhelms V. als fürstlicher Rat, Küchen- und Hofmeister angehörte. Dieser schenkte die Handschrift im Jahr 1578 der Münchner Hofbibliothek, wie am unteren Rand des hinteren Deckelspiegels vermerkt ist.

Inhalt:
1. 1r–70v Wolfram von Eschenbach, ›Parzival‹
Handschrift G
2. 71r–74r Wolfram von Eschenbach, ›Titurel‹
74v Federproben
3. 75r Drei Prosatexte: ›Der nackte Bote‹, ›Die ertrunkene Seele‹, ›Ritter Poppe und Graf Wernart von Lewenperch‹
Nachtrag einer Hand aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts, der dritte Text unvollständig
4. 75v Wolfram von Eschenbach, zwei Tagelieder (›Den morgenblic‹, ›Sîne klâwen‹)
I. Kodikologische Beschreibung:

Pergament, 75 Blätter, 295–300 × 210 mm, Textualis, sechs Schreiber und ein Nachtragsschreiber (I: 1ra–32vc, Z. 44 und 71ra–74rc, II: 32vc, Z. 45–54vc, III: 55ra–68va, Z. 3, 69rb, Z. 11 und 69vc–70vc, IV: 68va, Z. 4–69rb, Z. 10, V: 69rb, Z. 12–69vb, VI: 75v, VII: 75r, Schreiber I ist auch Hauptschreiber des Cgm 51, aus dem gleichen Skriptorium stammen zudem die Fragmente Cgm 194/III und vermutlich auch Salzburg, Stiftsbibliothek St. Peter, Cod. a VI 56), dreispaltig (außer 75r: zweispaltig und 75v: einspaltig), 52–79 Zeilen, Initialen in Rot, Blau, Rosa und dunkler Tintenfarbe, zwei Großinitialen (1r zu Textbeginn und 15v zur Verschleierung eines Pergamentschadens).

Schreibsprache:

bairisch-ostalemannisch.

II. Bildausstattung:

Zwölf in Deckfarben und Gold ausgeführte Illustrationen (Bl. 49 und 50).

Format und Anordnung:

Die Bilder befinden sich auf einem eigens in den Text eingeschobenen Doppelblatt. Die vier Seiten sind jeweils horizontal durch ocker-orangerote Querbalken dreigeteilt. Für diese Anordnung der Bildseiten wurden unterschiedliche Vorbilder vermutet, etwa Skizzen für Wandteppiche (Dreßler in Augst/Ehrismann/Engels [1970] S. 25), vor allem aber religiöse Texte wie die Ambrosianische Bibel (Klemm [1998] Textbd., S. 218), der Bamberger Davidzyklus und weitere biblisch-narrative Zyklen (Suckale-Redlefsen [1986] S. 34, Saurma-Jelsch [1992] S. 128–138, Ott [1993] S. 54f.). Möglicherweise sollte bereits der Bezug auf diese Vorbilder zu einer religiösen oder gar heilsgeschichtlichen Interpretation des Parzival-Stoffs beitragen, die sich dann auch durch die Auswahl der Bildmotive anzudeuten scheint (etwa in den Tafelszenen, aber auch in der abschließenden Darstellung der Taufe des Feirefiz in Bild 12).

Eine ähnliche Anordnung in Register zeigt auch das Bildprogramm der Münchner ›Tristan‹-Handschrift Cgm 51, die (wie das ›Parzival‹-Fragment 17 [Cgm 194/III] und vielleicht auch Fragment 20 des ›Wilhelm von Orlens‹ von Rudolf von Ems [Salzburg, Stiftsbibliothek St. Peter, Cod. a VI 56]) im selben Skriptorium erstellt worden ist (siehe dazu künftig die Stoffgruppen 129. und 138.).

Bildaufbau und -ausführung:

Im Gegensatz zum Bildprogramm des Cgm 51, das stark auf Dynamik ausgelegt ist, sind die Bilder des ›Parzival‹ deutlich auf bildliche Geschlossenheit und Symmetrien hin konzipiert, welche auch durch die Bildabfolge noch betont werden.

So weisen die Seiten mit den drei Registern in mehrfacher Hinsicht eine rhythmische Gliederung auf. Das betrifft zunächst die Bildhintergründe, die auf 49r von oben nach unten grün, gold und blau gestaltet sind, auf der entsprechenden Versoseite gold, grün und blau (vgl. hierzu Schirok [2011] S. 388). Dieselbe Umkehrung bei konstantem Hintergrund des jeweils dritten Bildregisters findet sich auch auf Bl. 50, hier sind die Hintergründe auf der Rectoseite blau, gold und grün sowie auf der Versoseite gold, blau und grün.

Jede Bildseite scheint zudem zwar auf ein bestimmtes Thema zentriert (Ott [1992c] S. 113: 49r: Konfliktlösung zwischen Gramoflanz und Gawan, 49v: Parzivals Begegnung mit Feirefiz, 50r: Parzivals Berufung, 50v: Parzival, Condwiramurs und Feirefiz auf der Gralburg), zugleich wird diese thematische Gliederung durch eine Gliederung in Innen- und Außen-Szenen überspielt (Ott [1992c] S. 113), die von außen nach innen führt (drei Bilder Annäherung zwischen Gramoflanz und Gawan, gefolgt von einer Gastmahl-Szene, dann drei Bilder Feirefiz’ Annäherung an den Artushof, wieder gefolgt von einer Gastmahl-Szene; dann ein Bild mit dem Ritt zur Gralburg mit folgender Gastmahl-Szene und schließlich zwei weitere Bilder, die als parallele Abschluss-Szenen der Parzival- und der Feirefiz-Geschichte interpretiert werden können).

Auch innerhalb der einzelnen Bildseiten zeigt sich ein auffälliges Bemühen um Symmetrie, mit deren Hilfe offensichtlich Korrespondenzen und Kontraste verdeutlicht werden sollen (Saurma-Jeltsch [1992] S. 127f., Stolz [2020] S. 109, Schirok [2011] S. 339f., zur Gliederung der Bildseite auf 49r, die die Versöhnung zwischen Gramoflanz und Artus auch durch ein kompositorisches Näherrücken der beiden Kontrahenten inszeniert, vgl. Unzeitig [2004]).

Die wichtigsten der dargestellten Figuren sind in der Regel mit Textbändern versehen, die deren Namen tragen (in manchen Fällen ist die Ausführung des Namenszugs unterblieben). Zum Teil sind die Namen auch in den Querbalken der Bilder festgehalten.

Bildthemen:

Die Bilder zeigen Szenen aus dem Schlussteil des Parzival. Ob weitere Illustrationen vorgesehen waren oder verloren gegangen sind (entsprechende Vermutungen bereits bei Dreßler in Augst/Ehrismann/Engels [1970] S. 20), lässt sich heute nicht mehr feststellen. Der Bildblock ist im Text eigentlich etwas zu früh positioniert. Ob er ursprünglich an anderer Stelle eingeordnet war oder Bildseiten fehlen, die in ihrer Motivik näher an die Textstelle der Einfügung heranreichen, muss letztlich auch offen bleiben.

Die erste Bildseite stellt die Versöhnung zwischen Artus und dem König Gramoflanz am Heerlager von Joflanze dar, die sich in drei Bildern vollzieht, wobei sich die beiden Kontrahenten auch kompositorisch immer mehr aufeinander zubewegen. Den Höhepunkt stellt schließlich im dritten Bild der Versöhnungskuss zwischen Orgeluse und Gramoflanz vor dem versammelten Artushof dar sowie, im auf der nächsten Seite folgenden vierten Bild, ein Festbankett, die erste von drei Tafelszenen des Bildzyklus.

Danach folgen in den Bildern 5 und 6 zwei Darstellungen, die den Kampf von Parzival mit dessen Halbbruder Feirefiz sehr textgetreu in Szene setzen: In Bild 5 tragen die beiden Kontrahenten Helme, die ein gegenseitiges Erkennen verhindern. Gezeigt wird genau der Moment, in dem – durch Gottes Eingreifen bedingt – Parzivals Schwert zerspringt. In Bild 6 sind die beiden Kontrahenten in der darauf folgenden Kampfpause ohne Helm gezeigt, der Moment ihres Erkennens wird durch die Namensbänder unterstrichen, die die beiden Brüder in ihren Händen halten. Im siebenten Bild gelangen Parzival und Feirefiz an den Artushof, worauf im achten Bild erneut eine Tafelszene mit einem Festbankett folgt. Bei diesem Bankett befindet sich die textgetreu mit Eberzähnen dargestellte Gralbotin Kundrie zu Füßen von Parzival, den sie offensichtlich für ihre Beschuldigungen um Verzeihung bittet. Insbesondere für diese Szene wurden Anklänge an christliche Ikonografien wie die Fußwaschungsszene und zum Teil auch die Übertragung entsprechender religiöser Sinngehalte auf den ›Parzival‹-Text vermutet.

In Bild 9 reiten Parzival und Feirefiz gemeinsam mit Kundrie zur Gralburg, dort folgt, auf der nächsten Seite in Bild 10 dargestellt, eine dritte Tafelszene. In Bild 11 ist die Szene festgehalten, wie Parzival nach Jahren der Trennung wieder auf seine Frau und seine zwei Söhne trifft (anders als im Text findet diese Begegnung auf offenem Feld zu Pferd statt). Im zwölften Bild sind schließlich zwei Szenen vereint: Auf der linken Seite die Taufe des Feirefiz, auf der rechten Seite eine so nicht im Text vorkommende Szene, in der Feirefiz, offenbar den heidnischen Göttern abschwörend, eine Götzenstatue zerschlägt. Auch mit diesem finalen Bild wird eine letztlich eigenständige Akzentuierung des Textes im Bildprogramm ersichtlich, die auf eine Hervorhebung der religiösen Komponente hinausläuft.

Farben:

Rot, Grün, Gold, Blau, Rosa, Braun.

Literatur:

Petzet (1920) S. 33–36; Klemm (1998) Textbd. S. 217–219. – Petzet/Glauning (1912) Taf. 33; Becker (1977) S. 82–85; Schirok (1985); Schneider (1987) S. 150–154; Klein (1992); Ott (1992c) S. 112f.; Saurma-Jeltsch (1992) S. 124–152; Ott (1993b) S. 54f. und S. 60–64; Klein (2000) S. 197; Montag/Schneider 2003 S. 42–45 (Nr. 12); Stephan-Chlustin (2004) S. 13–37; Unzeitig (2004); Walworth (2004); Baisch (2006) S. 100–108, 110–113, 123–131, 133–145; Ernst (2006) S. 165; Klein (2011) S. 943; Schirok (2011) S. 338–341; Schmitz (2012) S. 224–232; Baisch (2013); Stolz (2013) S. 37, Anm. 3, S. 43, 49, 51–53; Ohlendorf (2017) S. 27–33, 113–135; Stolz (2020) S. 105–126.

Abb. 209: 49v. Parzivals Begegnung mit Feirefiz.

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Abb. 209.