45.6.1. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. hist. 4º 584
Bearbeitet von Peter Schmidt
KdiH-Band 6
Anfang 16. Jahrhundert (Teile 1487, 1656).
Weingarten oder Konstanz?
Klosterbibliothek Weingarten: Auf 1v deren Signatur G. 30, unter dieser auch verzeichnet nach der alten Bibliothekssystematik bei
1. | 7v–48v |
Reihe welfischer und staufischer Fürstenbildnisse mit biographischen Erläuterungen
Titel 7v: Diß nachgemalte sind die stiffter des hailigen römischen reichs gotzhaus Wingarten |
2. | 49r–59r |
Texte zur Geschichte des Heiligen Blutes von Weingarten, lateinisch
49r–53v ›Inclitus martyr‹, 53v–55v ›Tempore quo‹, 55v–57v ›Ea tempestate‹, 57v–58r ›De translatione‹, 58v–59r ›Sancrosancte Dominice‹ |
3. | 61r–64r | Altäre der Klosterkirche (Weihen, Reliquien) |
4. | 64r–65r | Altäre der Klosterkirche, jüngere Nachträge (1656) |
Pergament, 67 Blätter (das heutige Blatt 1 ehemals Deckelspiegel), 265 × 170 mm (Blatt 1–59), 250 × 180 (Blatt 60–67), Text 1 in anspruchsvoller humanistischer Übergangsschrift, die Tituli der Bilder noch stärker an einer Minuskel des 12. Jahrhunderts orientiert als der Haupttext (zur Schrift dieses Codex siehe
alemannisch.
41 ganzseitige Bildnisse von meist stehend, nur die ersten drei thronend dargestellten Herrschern und Herrschergattinnen: 8r, 9v, 10r, 11v, 12r, 13r, 14v, 15r, 16r, 17r, 18v, 19r, 20r, 21v, 22r, 23r, 24r, 25v, 26r, 27r, 28v, 29r, 30r, 31r, 32r, 33v, 34r, 35r, 36r, 37r, 38r, 39v, 40r, 41r, 42r, 43r, 44r, 45r, 46r, 47r, 48r. Deckfarbenmalerei von einer Hand.
Für jede Person ist eine ganze Bild- und eine Textseite vorgesehen, wobei letztere jeweils eine Beschreibung mit Kurzcharakteristik etwa bedeutender Taten von stark schwankender Länge bietet (2 bis 19 Zeilen, auf 2v, 19v, 29v, 34v, 36v und 37v fehlte offenkundig jede Information, die Seiten bleiben leer). Die Bildnisse von Ehepartnern wurden nach Möglichkeit auf einer Doppelseite gegenübergestellt. In diesen Fällen geht die zugehörige Textseite dem auf der Versoseite befindlichen Bild auf der Rectoseite voraus, seinem Pendant folgt die Beschreibung auf der Versoseite nach. Um alle textlichen und bildlichen Informationen über ein Paar zu erhalten, muss also zweimal umgeblättert werden. Da auch einige Herrscher ohne Partner auftauchen und konsequent ohne Pendant auf Rectoseiten präsentiert werden, war ein regelmäßiger Rhythmus von bebilderten Doppelseiten nicht realisierbar.
Der architektonische Aufbau aller Bildseiten ist gleich angelegt, in den Detailformen jedoch raffiniert variiert. Die Personen stehen stets auf Rasengrund – zu ihren Füßen ihr Wappenschild – in einem Rahmen, der ein üppig ornamentiertes Relief mit blauem Grund und goldenen Einfassungen imitiert und dessen Binnenflächen teils mit spätgotischen Maßwerkmustern, teils mit antikisierenden Grotesken gefüllt sind. Vorbildern der italienischen Renaissanceornamentik folgen auch die Girlandenpaare, die über den meisten Personen hängen, teils durch ähnlich angeordnete Fabelwesen oder Blattmasken ersetzt. Vor dem breiten Feld am unteren Rand des Rahmen jeweils eine Kartusche, oft von Tieren oder Putten von beiden Seiten gespannt, die einen zwei- bis vierzeiligen Titulus mit dem Namen der Person und manchmal einer knappen Charakterisierung enthält.
Gemalt in sehr kräftigen, leuchtenden Deckfarben, die durch Abmischungen in einem weiten Spektrum sehr fein schattiert sind. Höhungen in Weiß, in hellen Ausmischungen der Grundfarbe sowie in Pinselgold tragen zusätzlich zur plastischen Differenzierung und zu einer reichen Oberflächenwirkung bei. Die Konturen sind in feinen schwarzen Pinselstrichen gezogen. Wappen, Metallteile der Kleidung, Waffen und Rüstungen sind in Blattgold und -silber auf roter Grundierung angelegt. Diese Metallauflagen sind oft noch mit Weißhöhungen oder schwarzen Schraffuren strukturiert, auch wurde Muschelgold auf Silberflächen mit diesem Zweck aufgebracht.
Die teils altertümlichen Formen, die sich sowohl im Figurenstil als auch in den Kostümformen finden, ziehen sich nicht konsequent genug durch die ganze Bildfolge, um als bewusstes historistisches Konzept einer bildlichen Betonung von altehrwürdiger Tradition gedeutet zu werden. Vielmehr scheint eine Sammlung von älteren Herrscherdarstellungen vorgelegen zu haben, aus der sich der Buchmaler bedienen konnte. Auffallend ist die Häufung von Zaddelgewändern, die charakteristisch für das späte 14. bis frühe 15. Jahrhundert sind. Ob man daraus einen vollständigen genealogischen Zyklus dieser Zeit rekonstruieren kann, der verloren ist, hier aber einen späten Widerhall findet, muss offen bleiben. Schwierig bleibt auch die Bestimmung des Herstellungsortes. Dass die Konzeption eines solchen Programms nur in Weingarten zu denken ist, steht außer Zweifel. Eine Buchmalerwerkstatt existierte dort zu jener Zeit jedoch nicht mehr.
Der Fürstenreihe vorangestellt ist eine Darstellung des thronenden Kaisers Maximilian I. mit Bügelkrone, Sphaira und Schwert. Sie dürfte zunächst als Referenz an den aktuellen Herrscher zu verstehen sein; der Vorschlag von
Blau, Grün, Rot, Rosa, Inkarnat, Gelb, Ocker, Grau, Schwarz, Weiß, Braun, Violett, Blattgold und -silber, Pinselgold.
Abb. 45.VIII: 15r. Beata von Hohenwart.