KdiH

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26A.36.2. München, Bayerische Staatsbibliothek, Cgm 9470

Bearbeitet von Ulrike Bodemann

KdiH-Band 3

Datierung:

1499 (92r) / um 1500 (Beginn de Intervalltafeln mit 1500).

Lokalisierung:

Kempten oder Umgebung.

Besitzgeschichte:

Entstehung in oder nahe Kempten wegen Inhalt und Schreiber naheliegend. Unbestätigt ist der Besitz durch die Benediktinerabtei Kempten im Jahre 1802 (Sigrid Krämer: Handschriftenerbe des Deutschen Mittelalters, Teil I. München 1989 [MBK I,1], S. 392); 1924 (laut handschriftlicher Beschreibung von Hermann Menhardt für das Handschriftenarchiv, verfügbar unter: Handschriftenarchiv der BBAW online) in Privatbesitz (Ernst Urbas, Klagenfurt). Seit 1991 im Kunsthandel: Sotheby’s, London, 18. Juni 1991; Christie’s, London, 7. Juli 2010. 2010 von der Ernst von Siemens Kunststiftung erworben und als Dauerleihgabe an die Bayerische Staatsbibliothek gegeben.

Die folgenden Angaben zu Inhalt und Kodikologie stützen sich auf die vorläufige Beschreibung durch Elisabeth Wunderle (online unter http://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/kempten-cgm9470).

Inhalt:
1. 3r–21r Kalender mit Monats-, Aderlaß- und Wetterregeln (in der Art eines Iatromathematischen Hausbuchs; vgl. Stoffgruppe 87. Medizin)

3r–12v Kalender (Augsburger und Konstanzer Heilige) mit Monats- und gereimten Laßregeln; 13r ›Des Menschen Art‹ Item dye verstennuß dem menschen ligt Jm Jnn der Styeren …, 13v–15r Computistische Berechnungen und Aderlaßregeln; 17v–18r Blutschau Nun merck wie man das bluͦt beschawen sol …; 18r Intervalltafel (Nativitas – Estomihi) 1500–1557; 19r Mondphasenzirkel; 19v–20r Wetterregeln bezogen auf die Planetenstellung Item Es ist ze wissen ob es jn eynem yedlichen zaichen schon oder regnen werde …; 20r–21r Von den Temperamenten Sangwineus. Item Jst ain Mensch beschaffen von vier feuchtigkeit der Element Der des lufftes mer hatt denn der anndern vnd ist dy Edlest …

2. 24r–92r Johannes Birk (?), ›Stifftung des gotzhaus Kempten› (›Karlschronik ‹)
3. 146v–147r Baumzuchtregeln

Item wilt du jung bǒm ziehen, so mach ainen Garten X schuͦch wyt vnd brait …

I. Kodikologische Beschreibung:

Papier, 147 Blätter (moderne Foliierung; alte Zählungen A-W, i–70; nach Blatt 5 fehlen zwei Blätter [alt D, E], nach Blatt 38 eines [alt 16]; unbeschrieben 21v–23v, 92v–145v), 302 × 202 mm, einspaltig, zwei Schreiber, I: 3r–21r Buchkursive, 22–27 Zeilen, II: 24r–92r, Kanzleibastarda, Peter Brack (vgl. Blatt 92r: Disß biechlin ist volendet und geschriben am dornstag vor unser lieben frowen tag irer rainigung zuͦ liechtmesß Anno domini Mo cccco lxxxxviiijno per me Petrum Brack von Minderdorff; hierzu ein Randeintrag im Kalender 11v zum 22. November: vf den tag ist min lieber vater gestoben [!] got gnad der sel anno septimo[?] mit name peter back[!] zuͦ oberminderdorf jn sultzbergen pfor [der Ort mit der heute abgetragene Burg Oberminderdorf lag in der Pfarrei Sulzberg]), 25–29 Zeilen, Text 4 Nachtrag vermutlich ebenfalls von Peter Brack. Rote Strichel, Überschriften und Kapitellombarden über zwei bis drei Zeilen (Rubrizierung erfolgte vor Bildausstattung). Mehrfach Notizen wohl mehrerer Hände des 16. und 17. Jahrhunderts (darunter am Seitenrand anfangs zuweilen die zum Text passenden Jahreszahlen in arabischen Ziffern, dazu Notazeichen).

Schreibsprache:

schwäbisch (Text 2 und 3 mit mehr alemannischen Merkmalen als Text 1 [Wunderle]).

II. Bildausstattung:

Zu Text 2 59 kolorierte Federzeichnungen: 24r, 24v, 26r, 27v, 29r, 30r, 32r, 33v, 34v, 36r, 39v, 44r, 45v, 47v, 49r, 51r, 51v, 52r, 52v, 53r, 53v, 54r, 54v, 55r, 55v, 56r, 56v, 57v, 58r, 62r, 63r, 63v, 64v, 65r, 66r, 66v, 67v, 68v, 69r, 70r, 70v, 71r, 72r, 72v, 73r, 73v, 74v, 75r, 75v, 76r, 77r, 77v, 78r, 79v, 81r, 87r, 88v, 89r, 89v, wegen Blattverlusts nach 38 fehlt eine Zeichnung. – Zu Text 1 drei Computus-Tafeln, zwei computistische Zirkeldiagramme.

Format und Anordnung:

bis 79v meist halbseitige Streifenbilder, ungerahmt, nur unten durch eine Basislinie vom Textraum abgegrenzt, in der Breite stets genau in den vorgezeichneten Schriftspiegel eingepaßt; mit roter Bildüberschrift, die zugleich als Überschrift des nachfolgenden, mit roter Lombarde beginnenden Kapitels dient. Ab 81r, zuvor ausnahmsweise auch 30r, 44r, 45v und 49r, viertelseitige Bilder, in der Position von Initialen linksbündig zu Kapitelbeginn eingefügt.

Bildaufbau und -ausführung:

hintergrundlose Darstellungen in schlichter, aber sicherer Konturzeichnung mit feiner Feder und schwarzer Tusche, gelegentlich leicht nervöse Strichführung, mehrfach neu ansetzend; für Schattierungen Strichel in parallelen Lagen; unter Einbeziehung des weißen Papiergrunds in wenigen Farben laviert. Dabei sorgfältige Farbschattierung besonders mit Grau (z. B. Kleid 26r) und als Inkarnat. Zum Schluß nochmals mit der Feder nachgearbeitet: schwarze Kreuzschraffuren besonders an der oberen Wölbung der Bodenpartien über dessen grüne Kolorierung mit kreuzweisen Pinselschraffen, feine rote Federstrichel als Akzentuierung des Inkarnats. Personen agieren auf einem leicht hochgewölbten, grün lavierten Bodenstück (78r stattdessen blaßbraun lavierter Acker); Figuren gut proportioniert, mit rundlichen Köpfen, in lebendiger, eleganter Körperhaltung, Gewänder mit plastischem Faltenwurf, Frauenkleider mit hoher Taille und voluminösem, meist geschürztem Rock. Gesichtszeichnung in der Regel gleichförmig aus kurzen Stricheln zusammengesetzt: Augen kommaförmig, ohne unteren Lidrand, darüber kurzer leicht gebogener Strich für die Braue; flache Nasenrücken, schmaler Mund aus zwei nicht zusammengefügten Stricheln; nur gelegentlich sind Physiognomien weiter ausgearbeitet (Wangen- und Kinnfalten etc.). Die beiden Riesen 29r durch Nahsicht vergrößert. Grab Hildegards (und Ludwigs) 63r in Architekturrahmen: Arkadenbogen gibt den Blick frei auf einen in Vogelschau einsehbaren quadratischen Raum mit offener Gruft, in der beide nebeneinander ruhen (ähnlich 79v, hier nur Hildegard). Gebäude perspektivisch verzogen, jedoch mindestens im Fall der Abteikirche mit Bemühen um sachgetreuer Darstellung: die zweitürmige romanische Kirche mit Vierung, niedrigem Seitenschiff und rundem Kapellenanbau entspricht zeitgenössischen Darstellungen (z. B. auch ehem. Sigmaringen, Cod. 23, 5r). Die Repetition gleicher Darstellungsmuster hebt einige Sequenzen aus dem Bilderfluß heraus: 51r–56v die zwölf Fürsten in stereotyper Weise jeweils als Vollbildnis (links) mit Banner, dazu rechts (Phantasie-)Wappenschild mit Helmzier. 63v–77v die Wunderzeichen mit dem wiederkehrenden Motiv der Hand Gottes (nicht 68v–69r) und meist (63v–67v und 73r) mit Hildegard und Ludwig, die als heiligmäßiges Paar dem Wunder beiwohnen (Hildegard stets mit erhobener Weisehand).

Stilistisch Augsburger und ostschwäbischen Federzeichnungen der zweiten Jahrhunderthälfte nahestehend; eine Verbindung des vermutlich in Kempten ansässigen Zeichners zu dem bis 1477 in Kempten bezeugten (danach in Ravensburg nachgewiesenen) Maler Ulrich Mair läßt sich bislang nicht bestätigen. Ulrich Mair (Albrecht Miller: Kunstgeschichte der Stadt Kempten im Mittelalter. In: Volker Dotterweich u. a. [Hrsg.]: Geschichte der Stadt Kempten. Kempten 1989, S. 156–163, hier S. 161 f.) werden, abgesehen von einem Zuschreibungsvorschlag – Bernd Konrad (2005) zu Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod. 3011, dessen detailliert ausgearbeitete Federzeichnungen sich jedoch deutlich von dem wesentlich schlichteren Cgm 9470 abheben; siehe Nr. 26B.1.8. – bisher keine Handschriftenillustrationen zugewiesen.

Bildthemen:

Der Zyklus dürfte mit dem in Cgm 9280 geplanten auf eine beiden gemeinsame Konzeption zurückgehen. Er beginnt mit der Darstellung der Muttergottes mit Kind in Mandorla neben der Kemptener Abteikirche (24r); es folgt eine Sequenz zum Leben Hildegards und der Gründungsgeschichte des Klosters (24v–34v), darunter zum Kapitel über die Herkunft Hildegards die Darstellung Hildegards als Kind (mit offener Krone) mit ihren Eltern (26r), wobei bezeichnenderweise die Mutter eine Bügelkrone trägt wie sonst Hildegard (als Gattin Karls des Großen). Hiermit dürfte auf die im Text intendierte genealogische Aufwertung Hildegards Bezug genommen werden: Hildegards Herkunft mütterlicherseits wird vom bayerischen Herzogshaus abgeleitet, sie soll Tochter einer Regarda und auf Andechs geboren worden sein. Zur Reliquienliste eine einzige Sammelillustration (36r vier Reliquiare); die verlorene Zeichnung nach Blatt 38 stellte vermutlich die Römer dar, die den Reliquientransport begleiteten und selbst in Kempten bestattet wurden (vgl. Cgm 9280, 15v Die burger von Rom). Zur Passage über die Patrone Gordianus und Epimachus drei Bilder (39v Gordianus und Epimachus sowie Muttergottes mit Kind in Mandorla [wie 24r], 44r Epimachus mit seinen Insignien: 45v Marina, die Frau des Gordianus). Sehr unterschiedlich sind die beiden Kapitel über die Indulgentien des Hildegard-Altars in der Stiftskirche und der Kapelle auf der Burghalde illustriert (47v: Papst Hadrian I. übergibt dem Kemptener Abt den Ablaßbrief für den Altar, 49r: Ansicht Burghalde). Die zwölf Könige und Adeligen in der Begleitschaft Hildegards jeweils mit Vollbild (51r–56v), dabei wird in unmittelbarer Aufnahme der Textvorgabe durch Wahl der Kopfbedeckung deutlich unterschieden zwischen Königen (Krone), Herzögen (Hut) und Königssöhnen (barhäuptig); 57v die fünf Wappenschilde des Stifts Kempten (Hildegard) und seiner Schutzmächte mit Bezeichnung von deren Hofämtern (Bayern [Marschalk], Sachsen [Schenk], Montfort [Truchseß], Nellenburg [Kämmerer]). Recht breit sind die Wunderzeichen Hildegards und Ludwig des Frommen bebildert: 58r einleitend Vollbildnis Hildegards als Kaiserin, 62r Hildegard und Ludwig der Fromme, mit Hand Gottes, 63r Grab Hildegards und Ludwigs, dann in 23 Zeichnungen die im Text durchgezählten Wunderzeichen am Grab Hildegards, zu denen auch die Wiederauffindung und Öffnung des Grabes Hildegards (78r, 79v) gehören; bei den Wunderdarstellungen sind Personen, ihre Gebrechen oder Heilung mit wenigen Details geschickt charakterisiert (z. B. Aussätziger mit Rassel [65r], Besessenheit verläßt den Körper in Form schwarzer Raben [67v] oder eines Teufels [73v]; taube Frau mit langem Taststock [72r]; Frau im Veitstanz mit aufgelöstem wirrem Haar exaltiert tanzend [77r]; nur beim Blutfluß einer Frau [73r] sowie bei der Gelbsucht einer anderen [75r] keine markante Kennzeichnung). Gelegentlich veranschaulichende Details auch über den Textbezug hinaus: Hufschmied mit vielfältigem Werkzeug (68v), auf Wunder vertrauende Personen mit Rosenkranz (70v, 72r), Gefangene im Fußblock angekettet (69r, während im Text nur von Ketten die Rede ist). Abschließend Karl der Große, der von einem Engel Stiefel, Schwert und Reichsapfel erhält (81r). – Zu den lokalgeschichtlichen Denkwürdigkeiten Kemptens (82r–87r) keine Bilder; die Sage vom Ritter Heinrich von Kempten führt statt zu erwartender Handlungsbilder vier Einzeldarstellungen des Ritters in Rüstung und mit unterschiedlichen Waffen.

Literatur:

Menhardt (1927) S. 262. – Western Manuscripts and Miniatures [Auktionskatalog Sotheby’s, London, 18.6.1991]. London 1991, Nr. 116, S. 165–170; Bürgerfleiß und Fürstenglanz. Reichsstadt und Fürstabtei Kempten. Katalog zur Ausstellung in der Kemptener Residenz 16. Juni bis 8. November 1998, hrsg. von Wolfgang Jahn u. a. Augsburg 1998 (Veröffentlichungen zur Bayerischen Geschichte und Kultur 38/39), S. 134–140, Nr. 68 (Klaus Schreiner), Abb. S. 135–138 (27v, 33v, 52r, 66v, 68v, 69r, 74v, 79v); Birgit Kata: Jubelfeiern zur Geschichte des Fürststifts Kempten zwischen 1777 und 2002 in ihren historischen Kontexten. Ein Beitrag zur Erforschung historischer Festkultur. In: Birgit Kata u. a. (Hrsg.): Mehr als 1000 Jahre … Das Stift Kempten zwischen Gründung und Auflassung. Friedberg 2006, S. 77–150, Abb. 2–5 (Nachzeichnungen von 32r, 24v, 27v, 34v); The Arcana Collection: Exceptional Illuminated Manuscripts and Incunabula, Part I [Auktionskatalog Christie’s, London, 7.7.2010]. London 2010, Lot 43.

Weitere Materialien im Internet:

Handschriftencensus

Abb. 212: 81r. Karl der Große erhält von einem Engel Insignien.

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Abb. 212.